Kapitel 10

8.1K 360 14
                                    

Mittlerweile war es dunkel geworden und ich schaute vom Schatten des Zeltes aus zu, wie Tyler und der Mann, der mich versucht hat zu befragen (Er ist offentslichtlich Tylers Vater), das Feuer zu entzünden. Bisher hat mich noch keiner der Wasters richtig gesehen, mit wurden nur einige schräge Blicke zugeworfen, als sie mich über den Platz zu den Zelten führten.

Heute Abend wird Tyler mich vorstellen und ich solle einige Wörter zu mir sagen. Er hatte mir erklärt, dass die Leute zwar argwöhnisch und misstrauisch wären, aber mir nichts tun würden. Einigen sollte ich zwar besser aus dem Weg gehen, anderen könnte ich mein Herz ausschütten, wie er es genannt hatte. Er versuchte tatsächlich, mich hier zu integrieren. Mich. Weiß er auch, dass hier bald wieder ein Kampf stattfinden würde, wenn die Soldaten der Stadt ihr Camp finden sollte?

Ich beobachtete, wie er den großen Topf Kartoffeln auf eine Art Tisch wuchtete, der über dem riesigen Lagerfeuer stand. Er hatte sein Shirt ausgezogen, denn die Luft wollte sich nicht abkühlen, es schätzte es auf mindestens 35 Grad, immer noch. Als er sich vom Feuer abwandte, erkannte ich, dass sich leichte, silberne Narben über seinen Rücken zogen.

Er warf einen Blick in meine Richtung, aber konnte mich nicht entdecken, da ich in der Dunkelheit stand. Er fasste einen weiteren großen Topf an den Henkel und trug ihn zum Feuer. Die Muskeln traten deutlich hervor und zwei Sehnen zogen sich den Arm hinunter. Das Leben hier draußen macht offenbar sehr stark.

Unbewusst beobachtete ich ihn weiter, während meine Gedanken meiner Einheit galt. Solange ich mich als Liv gab, konnte ich mal unachtsam sein und mich gehen lassen.

,,Gefällt dir, was du siehst?" fragte mich eine raue Stimme dicht an meinem Ohr. Ich blickte in die Augen von Tyler, der sich grinsend an der stabilen Zeltwand anlehnte. ,,Ich denke an meine Mom. Ich vermisse sie so." Das kannst du besser, Valerie. Viel mehr Emotionen. Ich hatte zuviel Stolz, tief in meinem Inneren wollte ich einfach nicht, dass er mich wieder als Jammerlappen beleidigte.

Sein Gesichtsausdruck verutschte für einen Moment, dann legte sich wieder ein spöttisches Grinsen über seine Lippen. Hatte er nicht erwähnt, dass seine Mutter nicht mehr da ist? Entweder tot, oder sie hat sich 'nen anderen gesucht. Bei so einem Sohn wäre ich auch abgehauen.

,,Wenn sie sich meldet, kannst du mir ja Bescheid geben." Lässt sich für sowas überhaupt noch Worte finden? ,,Ganz sicher werde ich das." ,,Und wir kommen deinem wahren Gesicht schon ein Stückchen näher. Eine Persönlichkeit haben wir schonmal: Ironie." Schreibe doch eine Liste, Idiot.

,,Tyler, ich habe keine Ahnung wovon du redest." ,,Hast du sehr Wohl. Und jetzt wollen wir dich mal bekannt machen." Er packte mich am Handgelenk und zog mich mich auf ein kleines Podest hinter dem Feuer. Die Sonne warf ein paar letzte Strahlen durch die Baumkronen und tauchte sie in ein warmes Licht.

Ich prägte mir eingehend die Gesichter der Leute ein, die sich rund um das Feuer versammelt hatten. Zusammengeschlossen mit den anderen Wasters waren es an die zweihundert Stück, also beschloss ich mir nur die männlichen Gesichter einzuprägen, zumindest die, die so aussahen, als würden sie kämpfen können.

,,Liebe Brüder und Schwestern, wir haben uns hier nochmal versammelt, weil wir einen besonderen Gast hier haben." er zog mich am Ärmel weiter nach vorne, und ich bemühte mich, meinen Blick eher ängstlich als kühl wirken zu lassen, mit dem ich die Leute bedachte, die im Halbkreis um uns standen. Durch die Reihen ging ein Murmeln und ich hörte einzelne Wortfetzten wie: ,,Stadt", ,,Kämpfen", ,,Soldatin", ,,Komisch". ,,Das ist Liv." ergriff Tyler wieder das Wort. ,,Sie wird jetzt bei uns leben und wie werden uns bemühen, sie wie eine der Unseren zu behandeln." Das Gemurmel schwill an, die Blicke die auf mir ruhten waren entweder angewidert, geschockt oder neugierig.

Aber warum erzählte Tyler nichts von seiner Vermutung, dass ich jemand anderes bin, als ich zu sein schien. Warum rief er nicht dazu auf, mich zu verachten, da ich hier eh nur arbeiten solle? Vielleicht war das ja seine Taktik mich aus der Reserve zu locken. Und außerdem, war er hier der Anführer? Er war doch höchstens zwanzig, ich hätte eher darauf getippt, dass sein Vater hier das Wort hat.

,,Und um unseren Gast zu begrüßen, erkläre ich hiermit das Essen für eröffnet." er machte eine auslandene Armbewegung über den Platz und die Wasters begannen, durcheinander zu wuseln. Ich blieb einfach stehen. Jetzt wäre doch der perfekte Zeitpunkt, um in Tränen auszubrechen um zu zeigen, dass ich 'Angst' habe, oder? Tja, dumm nur, dass ich gerade das nicht kann.

,,Wer bist duuuu?" fragte mich das kleine Mädchen, mit den dunklen Zöpfen leise, nachdem mich Tyler auf einen Platz gezogen hatte. Ich konnte noch nie was mit Kindern anfangen. Okay, ich konnte noch nie was mit Menschen generell anfangen. ,,Ich bin Liv." ,,Liv, warum sagt meine Momma, dass ich nicht mit dir reden darf?" Vielleicht einfach, weil sie dich vor mir schützen will. ,,Ich weiß es nicht, vielleicht denkt sie ja, ich wäre gefährlich. Aber weißt du was? Ich möchte gerne nach Hause. Zu meiner Mom." Ich schenkte ihr ein Lächeln, obwohl ich mich lieber augendrehend abgewandt hätte.Das Mädchen machte große Augen, ehe ich mich wieder meinem Essen widmete. Karotten, Wildschwein und -welche Überraschung- Kartoffeln. Es schmeckte erstaunlich gut. ,,Du siehst schön aus, Liv." sagte das Mädchen direkt. ,,Kleine, deine Mutter ist bestimmt sehr schlau, oder?" ,,Ja, sie kennt alle Kräuter und weiß, wo die besten Beeren wachsen..." fing sie stolz an zu erklären, doch ich unterbrach sie. ,,Dann würde ich an deiner Stelle auf deine Mutter hören." Das Mädchen klappte ihren Mund zu, aber beobachtete mich bei jeder noch so kleinen Bewegug. Sie konnte kaum älter als sieben sein. Alle anderen Wasters beäugten mich argwöhnisch, aber taten so, als wäre ich Luft, wenn ich ihrem Blick (wie durch Zufall) begegnete.

Die Männer unterhielten sich größten Teils über den Vorfall und zeigten sich, welche Wunden sie davon getragen hatte. Die Frauen sprachen über alle möglichen Sachen und Tyler unterhielt sich mit einem blonden Mädchen in meinem Alter.

Allgemein hatte ich mir das Leben bei den Wastern etwas anders vorgestellt. Nicht so gesellig, freundlich und brüderlich. Ich bewahrte mir mein wahres Gesicht hinter der Fassade von Liv und ich fragte mich, ob es so jemanden wie Liv wirklich irgendwo gibt. Vorstellbar war es für mich nur schwer, in einer gewissen Weise hatte Tyler schon recht, Liv war ein Jammerlappen. Ich beobachtete das Mädchen, wie sie ihre geschmeidigen Haare nach hinten warf und kicherte, als Tyler ihr etwas erzählte, dann nickte er zu mir und ihr eiskalter Blick traf auf meinen und nur mühsam konnte ich meine zurückhaltene Mimik aufrecht erhalten.

Ich erforschte das Leben und Verhalten der Leute, bis es allmählig so spät wurde, dass die Kinder in die Zelte gebracht wurden. Das kleine Mädchen huschte nocheinmal zu mir rüber, tippte auf meine Schulter und wedelte mit ihrer kleinen Hand vor meinem Gesicht herum. 'Tschüss' formte sie mit ihren Lippen und ich wiederholte es.

Ein paar Minuten später kam Tyler mit ein paar anderen Leuten (ich schätzte sie auf ein Alter zwischen sechszehn und zwanzig) zu mir hinüber. ,,Setz dich doch mit uns da zum Feuer, Zeit für ein Interview." Jep, Tyler hatte ordentlich einen an der Krone, denn das Bier in seiner Hand war ganz sicherlich nicht sein erstes. So, jetzt wollen wir doch mal sehen, wie gut du in die Rolle von Liv wirklich schlüpfen kannst. Nichts auf der Welt ging mir so auf die Nerven, wie angetrunkene Jugendliche, die meinen, ihnen würde die Welt gehören.

Der Anfang des EndesWhere stories live. Discover now