Kapitel 11

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Das ging so lange, bis die Tür aufschwang und Manuel hereinkam. Seit wann war er denn da? Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er nach Hause gekommen war. "Hey." Begrüßte er mich freundlich lächelnd mit einem Tablett in der Hand.

Warum war er jetzt wieder so nett? Das war bestimmt eine Falle! Er war doch nicht umsonst so freundlich... Als er bemerkte, dass ich seine Begrüßung nicht erwidern würde, verrutschte sein Lächeln ein wenig und ein trauriger Seufzer entwich seinen Lippen. Nahm es ihn wirklich so stark mit, oder war er einfach so ein guter Schauspieler?

Ich tendierte ja eher zu letzterem. "Hör Mal zu..." Begann er, während er näher kam und sich neben mich setzte, genau auf die Stelle, wo vorhin noch Toby saß. Nicht gerade die beste Art und Weise, vertrauen zu mir aufzubauen, wenn ihr mich fragt, falls er das überhaupt wollte.

"... es tut mir leid, dass ich so grob mit dir umgegangen bin und zwischendurch nicht gerade nett war. Ich bin eigentlich nicht so... okay warte... das war glatt gelogen, was ich eigentlich sagen wollte ist, dass ich nicht immer so bin." Verzweifelt raufte er sich die Haare und seufzte auf, während ich ihn verwirrt ansah, hatte er sich gerade wirklich bei mir entschuldigt? Irgendwie wollte mein Hirn dies noch nicht so ganz begreifen, außerdem herrschte in mir immer noch dieses gewisse Misstrauen ihm gegenüber.

Er war doch genauso wie Toby und Jake, oder etwa nicht? "Sag doch was... bitte..." bettelte er, sah mich dabei flehend an. Er meinte es ernst, seine Entschuldigung war echt. "Warum tust du das Alles, wenn du es nicht willst?" fragte ich ihn zögernd mit zittrigem Unterton in der Stimme, während er über meine Frage nachdachte. Überlegte wie er es drehen konnte, sodass nicht er der Böse war, dies vermutete ich zumindest.

"Ich hab nie gesagt, dass ich es nicht will. Versteh mich bitte nicht falsch... klar es ist nicht richtig Menschen zu entführen und sie zu missbrauchen, aber ich bin der Gang treu. Sie ist meine Familie, bringt meine schlechten als auch meine guten Seiten zum Vorschein. Ohne Jake und Toby säße ich jetzt auf der Straße, würde wahrscheinlich nicht einmal mehr existieren. Und ich muss zugeben, dass ich es gar nicht mehr so schlimm finde, Leute ihrer Freiheit zu berauben. Aber ich finde es nicht okay, diese dann wie Dreck zu behandeln."

Wo sollte dieses Gespräch noch hinführen? Er wusste, dass es falsch war, fand es aber okay? Wo war da der Sinn? "Auf jeden Fall, wollte ich mich dafür entschuldigen, wie ich dich behandelt habe und wie ich in nächster Zeit mit dir umgehen werde. Genauso wie Jake, kann auch ich Mal die Kontrolle verlieren und außerdem sollten wir in seiner Nähe nicht allzu nett mit dir umgehen. Er ist manchmal echt unberechenbar... deshalb versuche lieber nicht abzuhauen und tu lieber das, was er sagt... er wird nicht so nett mit dir umgehen wie Toby." warnte er mich noch, bevor er das Tablett auf dem Nachtkästchen neben mir abstellte und sich verabschiedete.

"Bis nachher, oder Morgen... keine Ahnung..." Danach war er weg und ließ mich wieder alleine. Doch ich langweilte mich nicht, seit meiner... Entjungferung... genoss ich jede einzelne Sekunde, die ich alleine verbrachte, nützte die Zeit um in Erinnerungen zu schwelgen. Mich in eine Zeit zurück zu versetzen wo noch alles okay war, wo ich noch glücklich war.

Wo mein Bruder noch bei mir war.

Mir Streiche spielte und mich panisch versuchte aufzuheitern, wenn ich weinte, da er sonst wieder Ärger bekommen hätte. Ich erinnerte mich an eine Zeit zurück, wo beim Vater mir noch liebevoll und stolz übers Haar strich, als ich ihm meine erste Zahnlücke präsentierte. "Das hast du toll gemacht, Süße. Heute Nach kommt die Zahnfee und tauscht deinen Zahn gegen ein Geschenk aus." Erzählte er mir damals, trotz all der Anstrengung die er den ganzen Tag verrichtet hatte, mit sanfter Stimme und müden, erschöpften Augen.

Die nichts lieber wollten als Schlaf und doch nahm er sich die Zeit um mit mir zu spielen, verbrauchte dabei mühsam den letzten Rest seiner Energie. Ich weiß noch, wie ich damals meinem Bruder Adrian die Zunge entgegengestreckt hatte und: "Papa hat mich viel gerner als dich!" gerufen hatte. Wie gerne ich nur die Zeit zurückgedreht und den Satz zurück genommen hätte. "Das heißt 'lieber' mein Schatz und ich liebe euch beide gleich stark." Hatte er liebevoll gehaucht und uns in seine Arme gezogen.

Erschrocken fuhr ich hoch, als ich hörte, wie die Tür aufging. Meine Augen blickten automatisch in Tobys', welcher entspannt an dem Türrahmen lehnte und mich ruhig betrachtete. "Was hast du gemacht, während ich oben war?" fragte er misstrauisch und verschränkte dabei seine Arme ineinander.

Dachte er etwa, ich hätte versucht abzuhauen? "Versucht zu schlafen... und nachdenken..." antwortete ich wahrheitsgemäß, was er mit einem kurzen Nicken abtat. "Ich hab jetzt echt keinen Bock auf eine Diskussion... und da du mir sowieso nicht verraten würdest, über was du nachgedacht hast, nehme ich das Mal so hin..." seufzte er, löste sich von dem Türrahmen und näherte sich mir. Misstrauisch beobachtete ich ihn dabei, das war doch bestimmt noch nicht zu Ende.

"Sieh mich nicht so an, das Gespräch ist nicht vorbei, keine Sorge... ich habe es lediglich auf später aufgeschoben." Meinte er, als er anfing sich seine T-Shirts und seiner Hose zu entledigen, sodass er nur in Boxershorts bekleidet vor mir stand. Was zum Teufel... warum hatte er sich jetzt ausgezogen?! "Rutsch Mal rüber." Was? Nein! Warum?! "Was?" fragte ich irritiert, versuchte mir meine Unsicherheit und Angst dabei nicht ankennen zu lassen.

"Rutsch rüber, wenn ich schon eine Nacht mit dir in einem Bett ertragen muss, dann will ich auf der weichen Seite liege." Grummelte er genervt und auch ein wenig übermüdet, weshalb ich beschloss, ihn nicht allzu sehr zu reizen und seinem Befehl widerstandslos nachzugehen. Witzig... vorhin rissen sie sich noch darum, bei wem ich schlafen sollte und jetzt tat er so, als hätte er das nie gewollt. Als wäre ich eine Belastung für ihn... Müde ließ er sich neben mich gleiten, nachdem ich zur Seite gewichen war.

"Solltest du versuchen abzuhauen oder mich in der Nacht versuchen zu ersticken, wirst du es bitter bereuen." Warnte er mich, während er seine Augen schloss und tief ausatmete, so als würde ihm eine riesige Last von den Schulter fallen. Am liebsten hätte ich ihn gefragt, warum er so angespannt war, doch hielt mich zurück, da es mich im Grunde nichts anging und ich ihm nicht unnötig auf die Nerven gehen wollte.

Das Mondlicht, welches durchs Fenster schien, beleuchtete seine Gesichtskonturen, ließ ihn majestätisch wirken, während seine Wangenknochen, sowie seine Wimpern immer wieder zuckten. Irgendwas beschäftigte ihn, ließ ihn keine Ruhe finden. "Denk immer daran, Süße... niemand wird ohne Grund zu einem schlechten, bösen oder gefühlskalten Menschen." Hatte mein Vater damals gesagt, als ich mich weinend bei ihm über unseren alten, grimmigen Nachbarn beschwert hatte.

Der alte Mann hatte mich damals angeschrien, dass ich doch endlich verdammt noch Mal leise sollte, weil ich die ganze Zeit mit meiner Flöte im Garten herumgehopst war. Erst viel später, als er schon lange tot war, erfuhr ich, dass er früher jahrelang im Krieg um sein Leben gekämpft hatte und das eintönige Flötengeräusch ihn an Fliegerbomben zurück erinnert hatte.

"Hör verdammt nochmal auf mich anzustarren!" riss mich Toby aufgebracht aus meinen Gedanken, wodurch ich zusammenzuckte und mir erst jetzt auffiel, dass ich ihn die ganze Zeit gemustert hatte. "Tut mir leid." Murmelte ich eingeschüchtert und drehte mich um, woraufhin ein leises Seufzen hinter mir ertönte. Danach war es für ungefähr zehn Minuten still zwischen uns, bis er die Stille unterbrach und mich dazu brachte, mich wieder zu ihm umzudrehen.

"Was ist das?" fragte er und zeigte auf das Nachtkästchen, wo noch immer das Tablett unberührt dort stand. Das hatte ich ja ganz vergessen. "Das hat Manuel vorhin gebracht." Murmelte ich leise, während ich deutlich seinen Blick auf mir spürte. "Hast du schon was davon gegessen?" Seine Stimme war emotionslos, sodass ich keine Ahnung hatte, wie er aufgelegt war.

Wortlos schüttelte ich den Kopf, betete innerlich, dass dies die richtige Antwort war und er nicht ausrasten würde. "Befindest du dich etwa noch immer im Hungerstreik?" fragte er genervt, bevor er das Brötchen nahm, welches auf dem Tablett stand und es mir in die Hand drückte. "Ich war nie... also ich..." fing ich an zu stottern, überlegte wie ich mich am Besten erklären und verteidigen konnte, während Toby sich ein wenig aufsetzte und mich stumm betrachtete.

"Das Betäubungsmittel... diese komischen Tropfen, waren der Grund, warum ich nichts essen wollte..." sprach ich weiter und schaffte dies sogar ohne zu stottern. "Weil dir danach so übel war." Beendete der Mann neben mir meinen angefangenen Satz, woraufhin ich erleichtert nickte. Er hatte mich verstanden. "Du musst trotzdem was Essen, hab keinen Bock darauf dich wieder ins Bett schleifen zu müssen." Gab er kalt von sich, bevor er sich wieder hinlegte. Seufzend beschloss ich seinen Befehl zu befolgen, ehe ich das Brötchen verschlang, welches schon ziemlich trocken und fest war, da es schon eine Weile herumgelegen war. Gesättigt legte ich mich wieder hin und schloss die Augen.

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Danke an @LxVxA__ , dass sie mir bei der Namensauswahl für Adrian geholfen hat ^^ <3

Captured! - Slow UpdatesWhere stories live. Discover now