Kapitel 2: Verlassen

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Ich stand in meiner Uniform und der Seite der anderen Wachen. Dies gehörte ebenfalls zu meiner Ausbildung. Ich hatte noch nicht die Aufgabe im Ernstfall einzugreifen, doch sollte wissen, wie solcher Alltag aussieht. Alle standen an ihren Stellen und erledigten ihre Aufgaben, auch mein Vater, der neben dem König stand. Diese Möglichkeit nutze ich, um Lisa zu beobachten. Ich war neugierig, wie der auserwählte junge Mann aussieht. Doch ich brauchte sie nicht lange suchen, die Menschen bildeten ein Kreis um die beiden, als er sie zum Tanz einlud. Es wurde ruhiger und die Musik wurde langsamer. Man konnte Lisa genau ansehen, wie nervös sie den war. Sie nickte bloß auf seine Frage und reichte ihm die Hand, die er mit vergnügen entgegennahm. Er schien mir vom Aussehen nicht viel älter als sie. Vielleicht war er gerade so 19 geworden, womöglich ist er auch jünger. Ich kannte ihn nicht, auch gehört hatte ich nichts über ihn. Das Einzige was ich wusste, war dass er der jüngste Sohn einer Adels Familie war. Beide Tanzten seelenruhig, auch wenn ich Lisa ansehen konnte, dass ihr dies Situation unfassbar unangenehm war.

Doch aus dem nichts begann man schreie zu hören. Im nächsten Moment hörte man ein Schuss und eine Menschenmenge geriet in Panik. Angsterfüllte Schreie gingen durch meine Ohren. Ich hörte Kinder weinen. Es waren für mich zwar bloß Sekunden, aber es dauerte nicht lange, da sah ich zum Königspaar, wie sie in Sicherheit gebracht werden. Ich sah mein Vater nicht, hörte jedoch weitere Schüsse fallen. Als ich nochmal in die Richtung sah, in der Papa stand, entdeckte ihn jedoch auch nicht. Womöglich bringt er den König weg?

Ich war dabei, den Menschen rauszuhelfen, ihnen den Weg nach draußen zu zeigen, doch schaute hin und wieder, in die Richtung, in der ich Papa das letzte Mal sah. Auch die Prinzessin war in Sicherheit, wie auch der Kronprinz. Ich versuchte ruhig zu bleiben. Überall waren Wachen und es dauert auch nicht lange, dass ein Junger Mann festgenommen wurde. Sanitäter kommen in den Raum gestürzt und rennen in die Richtung des Throns. Erst jetzt sehe ich ihn. Die Welt bleibt für ein kurzen Moment, um mich rumstehen. Am Boden liegt er da. Ein Sanitäter versucht die Blutung zu stoppen und ich schaue bloß zu. Ich kann meine Beine nicht bewegen und es dauerte, bis ich es schaffe, in seine Richtung zu gehen. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, bis ich nah genug an ihm war. So nah an ihm, dass ich ihm bei seinen letzten Atemzügen zu schauen muss. Ich will mich zu ihm hin bücke, doch eine Wache hält mich fest. Als ich anfange, zu realisieren, was gerade passiert war, wurde mein Atem schneller. Bei jedem Atemzug hatte ich das Gefühl, dass ich jeden Moment keine Luft mehr bekomme. Mit meiner letzten Kraft versuchte ich mich aus dem festen Griff zu befreien. Doch scheiterte. Ich versuche zu schreien, doch ich schaffe es bloß zu flüstern. Als ich mir über mein Gesicht fasse, bemerke ich erst die ganzen Tränen, die mir die Wangen runterlaufen. Eine schwarzer Fleck schien sich um seine Schusswunde gebildet zu haben, so etwas hatte ich noch nie gesehen. Geschweige denn gehört. Auch die Sanitäter saßen machtlos um ihn rum.

„Papa, du schaffst das! Du darfst mich jetzt nicht allein lassen!", ist das Einzige, was mein Mund verlässt. Auch wenn es bloß so leise ist, dass es die Wache, die mich festhält, mitbekommt. Dies war auch womöglich der Grund, wieso er mich losließ. Für ein kurzen Moment fühlte es sich so an als wäre ich stark genug gewesen, um mich aus seinen Händen rauszureißen. Ich fiel neben ihm zu Boden und der Mann gegenüber von mir, sah mich bloß bemitleidet an. „Wird er es schaffen?", bringe ich so laut wie möglichst raus. Doch bekomme keine Antwort. Er schaut bloß auf die Wunde und versucht sie bestmöglich zu stoppen. Die Zeit scheint so schnell um mich herum zu vergehen, doch trotz allem fühlt es sich so, als würde sie in Zeitlupe laufen. Ich bemerkte nicht, als weitere Notärzte kamen. Genauso wenig, als ich von jemandem nach hinten gezogen wurde. Ich saß bloß weiter am Boden und beobachtete, wie die Sanitäter ihre Arbeit taten. Wie hoffnungslos sie sich anschauten und wie die Worte „Kein Puls", in den Raum fielen.

Das, was noch nicht in mir zerbrochen war, zerbrach nun in diesem Moment. Alles um mich rum schien dunkel. Es wurde alles leise und ich verstand immer noch nicht, was soeben geschehen ist. Ich wartete bloß auf den Moment, in dem ich aus diesem fürchterlichen Traum aufwachen würde und mit Papa gleich am Frühstückstisch sitze. Doch dieser Traum zog sich viel zu lange und allein schaffte ich es hier nicht mehr raus. Es war ein Gefühl der Leere und Einsamkeit. 

Lost PrincessWhere stories live. Discover now