Days Of Pleasure

19

Das Wasser hatte meinen Verstand gesäubert, als ich aus der Dusche trat. Ich war mir nicht sicher, was ich wollte, aber ich wusste, dass es in meinem Leben so nicht weitergehen konnte. Ich wollte mich mit meiner Mutter aussprechen und unser Verhältnis klären.
Aber am meisten wollte ich ihn wiedersehen. Ich wollte wissen, wie Aiden Hamingstone wirklich funktionierte. Wie war dieser Mann? Zeigt er nur eine Fassade oder war dieser Charakter aus den Medien tatsächlich sein wahres Selbst?
Ich trocknete meinen Körper ab und föhnte mir die Haare, während dank meiner Playlist Mad World von Gary Jules lief, in der Variante der Riverdale Darsteller, was mir eine Gänsehaut bescherte. Ich massierte mir etwas Pflegemittel in die Haarspitzen ein und bürstete meine Haare, bis sie glänzten. Dann zog ich ein sommerliches Kleid an und flocht mir einen Zopf, bevor ich Sandalen schlüpfte und unten nach dem Autoschlüssel griff.
Ich fuhr aus der Garage und machte mich auf den Weg in die Straße, in der mir der mysteriöse Fremde begegnet war. Typisch zur Mittagszeit war London stark überfüllt und es kostete mich viele Nerven, nicht den Verstand zu verlieren, als ich drei Durchgänge brauchte, bis ich eine Kreuzung überwand.
Ich drückte auf die Hupe, als man mir die Vorfahrt nahm und schlug verärgert mit der Faust auf das Lenkrad.
In der Gesellschaft, in der ich lebte, wurden minderjährige Autofahrer gezwungenermaßen toleriert.
An meiner Schule war es beinahe angesagt, einen Wagen zu fahren, obwohl man noch keinen Führerschein hatte. Es war allgemein bekannt, dass nicht jeder,  der mit dem Wagen kam, auch die Erlaubnis hatte, ihn zu fahren. Man hatte manchmal sogar das Gefühl, es wurde belächelt. Für das männliche Geschlecht bedeutete es, vor den Mädchen größere Eier zu haben, natürlich nur bildlich gesprochen. Sie sahen die Luxuskarossen als eine Art der Charakteraufwertung an, dachten, sie könnten auf diese Weise Fehler in ihren Verhalten kaschieren oder sogar beseitigen. Ich lachte, weil Elli immer sagte, die Karren wären eine "Schwanzverlängerung". Meine Elli.

Mein Beweggrund war allerdings anderer Natur. Meine Mutter war schon immer unzuverlässig, aber es hatte sich verschärft, als Dad gegangen war. Als sie dann einen persönlichen Rachezug gestartet hatte, sich an jeden Junggesellen, aber auch verheirateten Mann Londons schmiss, bedrohten ihre Eskapaden auch mein Dasein. Sie vergaß für genügend Essen im Kühlschrank zu sorgen und Liam litt darunter. Klar, er fand seine ganz eigene Lösung.  Irgendwann konnte ich es mir dann doch nicht mehr mit ansehen, wie er sich bei seinen Freunden durchfüttern ließ, weil er Zuhause verhungern würde. Ich plünderte also das Konto meiner Mutter und übte das Autofahren, bis man mir irgendwann vielleicht die etwas unbeholfene Fahranfängerin abnahm, die gerade jemand die Vorfahrt genommen hatte und perfektionierte meine Fähigkeiten, bis selbst mein innere Tollpatschigkeit verschwand.
Trotzdem vermied ich es, den Wagen zu benutzen, so oft es ging, bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich dann endlich alleine fahren durfte. Ich wollte Liam und mir helfen, ihn aber nicht in den Blickwinkel der Justiz rücken. Seit ich volljährig war, hatte sich alles gelockert. Trotzdem musste ich oft daran zurückdenken und was für ein schlechtes Vorbild ich doch gewesen war.

Das war ein Teil von meinem Leben, den ich irgendwann hoffentlich nur noch belächeln würde. Jedenfalls hoffte ich das. 
Ich beschloss noch ein paar Einkäufe zu erledigen und meinen Bruder zuhause dann würdig zu empfangen. Vielleicht würden wir beide uns ja zusammenraufen und uns wieder näher kommen. Ich vermisste, dass ich meiner Familie keine direkte Bezugsperson mehr hatte.
Okay, genug Melodrama. Definitiv genug.

Im Supermarkt entschied ich mich
für Fastfood, weil ich wusste, dass ich meinen Bruder damit zum Strahlen bringen würde. Ich verweilte geradr vor dem Regal, in dem sich tausend verschiedene Schokoladen auftürmten und überlegte, ob mein Bruder lieber Zartbitter mit Orange oder Vollmilch bevorzugte, als mein Handy in meiner hinteren Hosentasche zweimal vibrierte. Zweimal bedeutete Schlagzeile. Ich stand auf Gossip, das wollte ich gar nicht leugnen. Zwar fand ich, es sollte schon seine Grenzen haben, aber es machte mir Spaß.