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Mein Verstand verabschiedete sich an diesem Tag immer wieder, vor allem als in der Nacht mein Smartphone vibrierte. Ich schreckte in die Höhe und strich mir schlaftrunken eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Wieso war ich mit einem leichten Schlaf gesegnet? Wieso hatte Gott mir nicht den guten alten Tiefschlaf mit auf den Weg geben können?
Ich tastete benommen nach dem Handy und kniff die Augen zusammen, als das Licht mein Gesicht blendete. Ich sah einen verpassten Anruf und tippte auf die Detailinformationen, um zu erfahren, wer mich mitten in der Nacht quälte. Genervt verzog ich die Mundwinkel, als ich sah, dass es Sawyer gewesen war und runzelte überrascht die Stirn, als ich sah, dass es mir eine Nachricht auf der Mailbox anzeigte.
Ich tippte die Nummer meines Anbieters und hörte mir die monotone Stimme einer Lady an, die mir erklärte, ich hätte eine neue Nachricht auf meiner Sprachbox. Was für ein Wunder aber auch. Sarkasmus, da bist du ja endlich wieder!
»Hey, Hills. Wieso bist du eigentlich so uuunglaublich aaaaanstrengend?«, lallte Sawyer in den Hörer und ächzte mehrere Male tief. Ohne Zweifel war er sturzbetrunken und diese Nachricht entstand ohne wirkliche Geistesgegenwart. Ich konnte den Alkohol beinahe durch das Display riechen. Wahrscheinlich fehlte ihm morgen bereits jegliche Erinnerung an seine Worte und es schien mir nicht ganz fair, seine Betrunkenheit auszunutzen, obwohl ich noch immer vor Zorn bebte.
»Ich meine«, keuchte er und machte eine lange Pause, »wieso machst du immer sooooo einen Stress? Hm? Du bist ja sooooo unentspannt.«
Ich verdrehte die Augen und legte den Hörer auf. Ich wollte ihm nicht weiter zuhören. Nach unserem Streit wollte ich nicht so anständig sein, aber ich konnte mir nicht helfen, ich wollte seine Lage nicht ausnutzen. Meine Finger fanden das Kissen und ich vergrub meinen Kopf darin, schrie hinein, um alles herauszulassen, was sich in mir angestaut hatte. Mir wurde aber auch klar, wie verdammt klischeehaft mein Leben in diesem Moment verlief. Ein toller aber problematischer Typ, eine unsichere aber zur Rebellion neigende Hauptprotagonistin und eine sinnliche Verführung. Wenn das nicht nach einem Roman schrie, wusste ich auch nicht weiter. Hallo Anna Todd, möchtest du aus meinem Leben nicht einen Bestseller machen?

Ich setzte mich im Bett auf und gähnte herzhaft, bevor ich mich auf den Weg in die Küche machte, um mir eine Milch mit Honig zu machen.
Ich schlich die Stufen hinab, was bei der Tatsache, dass ich vollkommen allein war, eigentlich wirklich unsinnig war und schlenderte im Mondschein zum Kühlschrank. Als ich die Milchtüte in die Hand nahm und den Deckel abnahm, stieg mir übel riechender Gestank in die Nase. Sofort schmiss ich die Milch in das Spülbecken und unterdrückte das dringende Gefühl, mich mit Leib und Seele zu übergeben. Ich hatte total vergessen, für frische Lebensmittel zu sorgen in all dem Durcheinander.
Ich hielt mir die Nase zu und wollte gerade in die Abstellkammer gehen, um nach Ersatz zu suchen, als ich einen Zettel auf der Herdplatte fand.
»Hey, mein Liebling. War heute im Haus, aber leider waren weder du noch Li da. Ich muss euch dringend etwas sagen und es kann nicht warten.
Dad«

Ich steckte den Zettel an die Pinnwand und öffnete die Tür. Aber auch hier konnte ich keine noch haltbare Milch finden, was mir ein genervtes Stöhnen entlockte.
Wieso konnte man sich in der Nacht nicht einmal eine Milch mit Honig machen? Nein, selbst dafür war unsere Familie zu chaotisch.

Auf der anderen Seite überlegte ich, was mein Vater wohl meinte? Er machte beinahe ein Geheimnis daraus, was mich fast zur Weißglut trieb.
Nachdem ich mich mit einer Tasse Tee wieder in mein Bett geschlichen hatte, konnte ich endlich schlafen, aber selbst da ließ mich der gutaussehende Mann nicht in Ruhe. Ständig kreiste er in meinen Gedanken umher und ich sah den kühlen Ausdruck auf seinem Gesicht vor meinem inneren Auge. Ich wollte um jeden Preis seinen Namen wissen und endlich ein Gesicht zuordnen können.
Als am nächsten Morgen mein Wecker klingelte, war ich schon längst auf den Beinen, weil ich mir bewusst war, dass meine Schulleistungen nicht unter den letzten Tagen leiden durften. Ich fühlte mich lebendig, als ich mir frisches Wasser ins Gesicht spritzte und mir did Haare zu einem hohen Zopf zusammenband. Ich freute mich beinahe auf Elli, die ich die letzten Tage nicht unbedingt wie die beste Freundin behandelt hatte und ich rechnete deswegen mit viel Ärger ihrerseits.
Als ich in Mums Sommerwagen stieg, weil mir zu spät auffiel, dass Jay mir geschrieben hatte, dass er an diesem tag leider nicht fahren würde, raste mein Puls ein wenig. Ich war ihren alten Wagen schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefahren, aber schließlich erwies sich meine Aufregung als unangebracht, als ich das Cabrio aus der Garage manövrierte. Der Verkehr war wieder einmal eine Qual, aber ich schaffte es dennoch pünktlich auf das Schulgelände. Um das sicherzustellen, hier war meine Motivation schon wieder flöten gegangen.
Ich parkte den Wagen ein paar Meter entfernt und schlenderte auf den Hof, als ich in einiger Entfernung Sawyer erspähte, der eine Brünette im Arm hielt. Sie klammerte sich an seine Brust, als ob sie gerade schlimmste Angstzustände durchlitt, was mir ein verächtliches Stöhnen entlockte. Sollte er sich doch mit solchen bemitleidenswerten Mädchen abgeben, aber es zog seinen Schnitt wieder gewaltig nach unten. Er hatte eine Zeit lang wenigstens halbwegs emanzipierte Frauen flachgelegt, aber jetzt schien er wieder im niveaulosen Becken zu fischen.
Ich rümpfte die Nase, als ich an ihm vorbei ging. Fast hätte das auch problemlos funktioniert, bis nicht Cole überlaut johlte: »Hey, Hills, willst du jetzt nicht mit mir Vorlieb nehmen?«
Wie konnte dieser Mensch etwas so Herablassendes sagen und gleichzeitig einen solchen Wortschatz besitzen? Das passte einfach nicht zusammen.
Ein Raunen ging durch die Reihe umherstehender Schüler, als wartete man auf eine Reaktion von mir. Die Gier nach Gossip war einfach erdrückend. Ab diesem Tag kannte man meinen Namen ganz bestimmt. Nichts worauf ich aber stolz war.
Ich blieb stehen, atmete tief durch und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann drehte ich mich um und stöckelte in meinen Stiefeltten auf ihn zu.
»Was hast du da gesagt?«, fragte ich gespielt ahnungslos und versuchte meiner Stimme einen bedrohlichen Unterton zu verleihen, während ich mich vor ihm aufbaute.
Neben Cole stand Sawyer, noch immer mit der Tussi im Arm, die jetzt vollkommen verwirrt aussah. Er kniff die Augen zusammen, als sich unsere Blicke für den Bruchteil einer Sekunde begegneten.
Cole lachte nur und erwiderte: »Naja, jetzt wo du mit unserem Alec hier fertig bist, dachte ich, du könntest-«, er beugte sich vor und wisperte gegen mein Ohr, »meinen Schwanz lutschen. Es spricht sich ja herum, dass deine Lippen wahre Wunder bewirken.«
Ich zog empört die Luft ein und stieß ihn von mir. Dann wandte ich mich an Sawyer, der eine unheimliche Zufriedenheit ausstrahlte und zuckte mit den Schultern.
»Weißt du, Alec, es ist ja schon traurig, dass du das jetzt überall verbeiten musst, aber ich finde es großartig, dass du zugibst, dass ich wenigstens deutlich besser blasen kann, als alle die du zuvor hattest. Wenigstens mit irgendetwas scheine ich ja Erfolg zu haben.«
Dann holte ich aus und verpasste ihm eine Ohrfeige. Die Brünette zuckte zusammen, während Sawyer nicht eine Miene verzog. Hatte dieser Typ gar keine Schmerzen?
Ich drehte mich wieder zu Cole, der jetzt schon etwas eingeschüchterter als zuvor wirkte und hauchte: »Und du mein Lieber, wirst nie auch nur in die Nähe dieser Lippen kommen. Ich blase nämlich nur auf meinem Niveau.«
Cole nickte und ich wandte mich ab. Es war totenstill um uns herum; jeder hatte das Szenario gespannt verfolgt. Erst jetzt brach Applaus aus, als ich davon ging. Schließlich eilte auch Elli auf mich zu, als der Pulk mich durchgelassen hatte.
»Ich glaube, ich habe so Einiges verpasst.«
»Ich bin dir wirklich eine Erklärung schuldig, Elli«, gab ich zu und sah betreten zu Boden.
Sie lächelte mich an und ich zog sie in eine liebevolle Umarmung. Gab es irgendwo einen Preis für die beste Freundin ? Elli wäre dafür perfekt geeignet. Ich würde sie ganz gerne nominieren. Nein? Schade.

Days Of PleasureWhere stories live. Discover now