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Als ich später nach meinem Bruder suchte, konnte ich ihn nirgendwo finden.
»Liam«, brüllte ich seinen Namen durch das Haus, während draußen langsam die Dämmerung einsetzte. Die Häuser sahen in dem Mondschein gespenstisch aus und jagten mir jedes Mal, wenn ich draußen alleine zu dieser Uhrzeit unterwegs war einen Schauer über den Rücken.
Meine Sorge um meinen Bruder wuchs ins Unermessliche. Normalerweise hinterließ mir Lian irgendeine Notiz, wenn er verschwand, ob er zu Freunden gegangen war oder Dad besucht hatte, aber heute wusste ich nicht um seinen Verbleib und das ängstigte mich.
Gleichzeitig wollte ich mich nicht sofort verrückt machen, vor allem, weil es mir unsinnig erschien.
Heute hatte er einen Grund für sein Verschwinden, mehr denn je, weil auch ihn alles zu schmerzen schien. Für ihn war dann Rückzug die Lösung, während ich mich gerne heulend unter der Bettdecke verkroch. Wir gingen wirklich ganz anders an die Dinge heran.
Ich setzte mich vor den Fernseher, um mich abzulenken, weil ich sonst keine Beschäftigung fand und klickte durch die einzelnen Kanäle, bis ich auf Nachrichten stieß.
Eine ältere aber sehr schlanke Frau in elegantem Kleid blickte mir entgegen, ihre Notizen haltend, wähtend sie in die Kamera sah und mit sanften Lächeln sagte: »Schon wieder ist Hamingstone Industries ein großer Coup gelungen. Wie ein Pressesprecher der Firma berichtete, wurde die Computersoftware, die in Zukunft auf der dreidimensionalen Ebene auch den kleinen Mann unterstützen soll, verkauft. Von Summen in Höhe von 500 Millionen ist die Rede, aber Experten schätzen den Deal noch aus weitaus lohnender ein. Aiden Hamingstone, Erbe des Medien-Imperiums seines Vaters äußerte sich noch nicht zum Verkauf, was wahrscheinlich an seinen privaten Umständen liegt.«
Sie lächelte kurz wieder, wobei ihre strahlend weißen Zähne aufleuchteten.
Es wurde ein Bild des Mannes eingeblendet und mir verschlug es den Atem. Der Mann im TV war der Mann, den ich so faszinierend fand und der mich in der Nähe des Hospitals angeblickt hatte. 
»Unmöglich«, stieß ich aus und lehnte mich im Sessel zurück. Ich erinnerte mich an unseren Blickkontakt und eie ich umwerfend ich sein Auftreten gefunden hatte, obwohl er diese Kälte ausgestrahlt hatte. Dieser Mann war aber, wie ich es bereits geahnt hatte, eine Nummer zu groß für mich. Aber anderrs hatte ich auch nicht erwartet. Er war Multi-Milliardär und konnte sich der gesamten A-Promigesellschaft für eine Frau bedienen. Wer würde zu ihm schon nein sagen?
»Privat zeigt dich Mr Hamingstone eher distanzierter, was an dem plötzlichen Ableben seiner Schwester liegen könnte, aber in letzter Zeit sickerten zur Presse immer wieder Bilder hoch, die ihn in Begleitung der schönsten Frauen zeigen.«
Es wurde erneut ein Bild eingeblendet, das ihn und eine hübsche dunkelhäutige Schönheit auf einer Jacht beim Sonnenbaden zeigte. Aiden hatte die Hand auf ihren Hintern gelegt, während er sie innig im Arm hielt. Es folgten weitere Bilder mit verschiedenen Frauen, die in seiner Gegenwart zu strahlen schienen. Einmal wirbelte er ein Mädchen im Kreis, das überglücklich zu sein schien. Aber es änderte nichts an den Tatsachen. Dieser Mann war nicht nur unerreichbar, nein, er war auch ein Player, der mit den Herzen unschuldiger wunderschöner Frauen spielte, als spielte er Tischtennis und verfehlte immer wieder den Ball, bevor er konterte.
»Allerdings bestätigt Mr Hamingstone immer wieder seinen Single-Status und besteht darauf, dass es in seinem Leben keine Konstante gibt. Ob sie ihm wohl bald begegnen wird?«
Ich fand diese Art Mann widerlich. Diese Mädchen bildeten sich mit Sicherheit etwas darauf sein, seine Betthäschen zu sein, während er wahrscheinlich nicht einmal mehr im Stande war, ihren Namen zu nennen, falls eine Situation käme, die es erforderte. Sie waren ihm egal und würden es immer sein und dennoch hatte er eine Art an sich, die ich erforschen wollte. Was verbarg dieser Mann hinter der Fassade, die er aufgebaut hatte?

Ich war wohl irgendwann eingeschlafen, denn als ich die Augen öffnete, war der Fernseher dunkel und der Bildschirm zeigte Standby an. Ich setzte mich auf und suchte im Dunkeln nach meinem Handy. Von außen drang Mondlicht in den Raum, ließ ihn beinahe gespenstisch wirken.
Es verlieh dem Raum eine mysteriöse Atmosphäre und ließ mich gänzlich schaudern, als ich mir vorstellte, was sich alles in meinen Träumen bisher abgespielt hatte. Mir wurde in dieser Sekunde einmal mehr bewusst, dass mein Verstand wieder mit mir spielte. In meinem Haus hatte ich mich nicht zu fürchten. Ich war schon tausendmal auf dem Sessel gesessen, der im Mondschein eine leblose Gestalt beinhalten könnte. Aber ich war zu alt für diesen Unsinn. Ich sollte doch fähig sein, diese Art von kindlicher Angst nicht mehr an die Oberfläche gelangen zu lassen.

Meine Finger glitten über die Sofafläche, bis ich mein Handy gefunden hatte. Im Dunkeln stand ich auf und lief die Treppen hinauf in mein Zimmer, wo ich mich nur auf das Bett fallen ließ und erneut die Augen schloss.
Doch die neueste Erkenntnis, bald noch mehr allein zu sein, übertraf alles vorhergegangene. Mein Leben war nie besonders gewesen; ich hatte meine Eltern, die eigentlich immer glücklich gewesen waren, bis mein Dad auf einmal weg gewesen war und uns Mum erklärte, dass sie kein Interesse mehr daran hatte, ihn zu sehen. Als er uns dann auch noch seine neue Freundin vorstellte, war ich vollkommen aus der Bann geworfen worden. Ich hatte mir bereits damals nicht erklären können,  was er an ihr gefunden hatte. Mein Dad war dann schließlich der Auslöser für das Verhalten meiner Mutter, wie sie es heute an den Tag legte. Sie hatte ihm beweisen wollen, genauso begehrt zu sein, nach all den Jahren der Ehe und sich in die Single-Szene Londons gestürzt, einen Typ nach dem anderen geangelt. Das war vor neun Jahren gewesen, aber seither hatte sich nichts verändert. Das Verhältnis zu meiner Mutter war noch mehr eingefroren und im Moment schien sie kein Interesse an mir oder Li zu haben.
Aber ich war fast volljährig und stand auf eigenen Beinen. Wieso tat es mir also so weh, dass sich gerade alles veränderte?
Die letzten Tage hatten an mir gezehrt und schlief schnell ein, obwohl ich nicht mehr wusste, wo oben und unten war.

Ich öffnete am nächsten Morgen die Augen und stellte mit einem Blick auf den Wecker fest, dass es kurz vor Mittag war. Ich strich mir noch etwas benommen meine Haarsträhnen aus dem Gesicht und reflektierte über den letzten Abend. Bilder erschienen vor meinem Auge und langsam begriff ich, in welcher Situation ich mich noch immer befand. Hastig griff ich nach meinem Handy und betete innerlich, eine Nachricht von Liam darauf vorzufinden.ein Herz pochte wild in meiner Brust, weil mir die Frage Angst machte, ob ihm eventuell etwas passiert war.
Doch zu meiner Erleichterung hatte er mir geschrieben. Ich scrollte durch dir Benachrichtigen und tippte auf den Chat, um lesen zu können, was er mir sagte.
Sorry dass ich mich nicht gemeldet hab. Habe bei Yannis geschlafen. Komme heute heim.
Ein Mann der großen Worte. Typisch.

Ich lehnte mich zurück und seufzte ein weiteres Mal vor Erleichterung laut auf. Meinem Bruder ging es gut und es gab mir sofort Kraft, verlieh mir Flügel.
Ich öffnete geistesabweisend das Dachfenster über mir und hörte den Vögeln zu, die in unserem Garten zwitscherten. Ihr Gesang beruhigte mich auf eine skurille Weise. Sie klangen so heiter und glücklich, genau die Emotionen, die ich gerade auch empfand. Sie waren sorglos und genau das hatte mich schon immer an Lebewesen im Allgemeinen fasziniert.
Ihre Art, die Welt zu sehen, hatte ich verstehen wollen.
Ich hörte gerade Vögeln zu und fand es ziemlich toll, schwärmte von ihnen, schoss es mir dann in den Kopf und ich erschreckte mich über meinen Geisteszustand.
»What the fuck«, murmelte ich vollkommen verwirrt und stand auf, trottete in das Badezimmer, wo ich mir die Dusche anstellte, damit das Wasser heiß wurde, was bei uns immer Ewigkeiten dauerte.
Ich tippte auf dem Radio herum, bis er mir meine Tracklist abspielte und Bittersweet Symphony von The Verve ertönte. Ich summte das Intro mit; jedes Mal wurde mir warm uns Herz, wenn die Geigen spielten.

Ein kurzes Zwischenkapitel meine Lieben ;) Bald geht es weiter und es gibt längere Kapitel :)

Days Of PleasureWhere stories live. Discover now