Kapitel 44

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Es vergingen Wochen. Nichts geschah. Hin und wieder mussten wir in den Bunker, doch es war nie etwas außergewöhnliches. Stattdessen schien dieser Krieg festzustecken. Er zog sich in die Länge. Beide Seiten machten Verluste. Und wir saßen in dem Haus fest. Während Malia noch immer nicht zurück war. Scheinbar hielt Dave länger durch, als wir erwartet hatten. 

"Angeblich sei Uriel auf den Weg hier her", sagte Cora und zog die Beine an. Wir saßen auf ihrem Bett in dem kleinen Zimmer. Zusammen mit Brooke, Skylar und Azzurra. Verwundert sah ich sie an. Woher wusste sie etwas, was noch nicht einmal Raphael wusste?

Sie grinste leicht. "Du weißt doch City, ich weiß alles", meinte sie und ich musste leicht lachen. Etwas, was sich über all die Zeit nicht verändert hatte. Eine der wenigen Sachen, um genau zu sein. Wir sind mittlerweile älter als damals. Etwas weiser. Sie war in einer festen Beziehung mit Azzurra und ich mit dem Erzengel Raphael. Zudem zählte ich, mit Raziel, zu seinem Berater. 

Ich war in jede Kriegshandlung eingeweiht. Etwas, wovon ich nie etwas geahnt hätte, als ich das erste mal einen Fuß hier rein setzte. Brooke schmunzelte nun ebenfalls. Mit ihr hatten wir uns angefreundet. Sehr gut sogar. Sie brachte etwas Humor mit. Auch etwas, womit ich nicht rechnete, als ich sie traf. Da wirkte sie noch verschlossen. Doch sie hatte sich geöffnet

"Was will Uriel hier?", wollte Brooke dann wissen. "Seine Truppen sind hier. Da würde ich ebenfalls anwesend sein wollen", erklärte Azzurra. Ich nickte. Das würde Sinn machen. Vor Ort zu sein war besser. Denn Nachrichten brauchten lange von hier bis Afrika. Wir redeten noch etwas darüber, bevor wir nach draußen gingen. 

Einige Engel in Soldatenuniform flogen über uns hinweg. Brooke sah ihnen nach. "Ich würde gern ebenfalls fliegen können", sagte sie. Venus hatte sie nie mitgenommen? Vielleicht kamen sie nie dazu, oder Engel taten es in der Regel einfach nicht. "Meinetwegen kann ich dir gern zeigen, dass es nicht so toll ist wie du denkst", meinte Azzurra mit einem Grinsen im Gesicht. 

Überrascht nickte Brooke, während Cora und ich etwas zur Seite gingen. Azzurra nahm Anlauf, hob vom Boden ab und griff dann nach Brookes Arme. Sie flogen los und einige Runden im Kreis. Ihr schien es sichtlich Spaß zu machen, weshalb ich schmunzeln musste. Zu wissen, dass man immer abheben konnte, musste toll sein. 

Irgendwann landete sie wieder und wirkte nun noch glücklicher als vorher. "Du bist verrückt", meinte Cora. Brooke zuckte grinsend mit den Schultern. "Ein wenig verrückt schadet nie", entgegnete sie und die beiden mussten lachen. Auch ich konnte es mir nicht verkneifen. Doch ich ließ die drei allein draußen. Denn ein Meeting, wie Raziel unsere Treffen nett nannte, stand an. 

Ich ging in den Raum, der einem Büro ähnelte. Nur stand ein großer Tisch in der Mitte, statt ein Schreibtisch. Raziel war bereits da. Genauso wie Freya, deren rote Haare mir jedes mal ins Auge stachen. Nur Raphael fehlte noch. Fragend sah ich zu Raziel. "Er kommt gleich", versicherte er mir und ich stellte mich zu ihm.

Freya...nun ja, ihr wurde wieder genug vertraut, um sie in die Pläne einzuweihen. Schließlich waren weder Malia noch Dave hier. Doch mögen tat ich sie nicht. Und auch wenn sie versuchte, freundlich zu sein; sie mochte mich genauso wenig. Aber das war in Ordnung, solange wir auf der selben Seite standen. Schätze ich. 

Raphael kam in den Raum. Zusammen mit Azzurra. Sie schloss die Tür, doch mein Blick ruhte auf Raphael, der mich anlächelte. Seine Haare hatte er nach einer gefühlten Ewigkeit mal wieder schneiden lassen. Er wirkte älter mit kurzen Haaren. Seine Arme legten sich um meine Taille, während er auf die Karte sah. 

Raziel erklärte, wie die Lage der Armeen gerade war. Wo wer die Oberhand hatte. Derzeit sah es sogar relativ gut für uns aus. Seit zwei Tagen landeten auch keine Bomben mehr auf Europa, was uns alle etwas verwundert hat. Nach einigen Minuten ließ Raphael mich los und betrachtete die Karte. Anfangs hatte ich hier überhaupt nichts verstanden, doch mittlerweile kam ich gut mit. 

"Warum sind dort oben keine Soldaten mehr stationiert?", wollte er wissen. Gute Frage. Obwohl ich glaube, dass wir dort nie wirklich viele hatten. "Weil dort kaum Engel leben", antwortete Freya. Sie musste den Satz nicht zu Ende führen. Ich wusste, was sie dachte. Und die Menschen dort muss man nicht beschützen.

"Aber dort leben Menschen", entgegnete Raphael. "Sollte Gabriel auffallen, dass wir dort niemanden haben, wird das ein Massaker." Und so beschloss er, Soldaten von Uriel dorthin zu versetzen. Sie halfen uns zwar, doch er wollte so wenig seiner Leute gefährden, wie nur möglich. Das hatte er mir einmal gesagt. 

Wir, oder besser Raziel, Azzurra und Raziel, debattierten noch eine Weile darüber. Während mir eine ganz andere Sache auffiel. Wir sprachen ständig nur von Gabriels Armee. Was war mit Michael? Wo waren seine Soldaten? Als ich die Frage in den Raum warf, sah Raphael mich überrascht aber auch stolz an. 

"Eine unwichtige Frage", kam es von Freya. Doch ich schüttelte den Kopf. Gabriel mochte eine große Armee haben, doch ohne Michaels Hilfe war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er aufgeben musste. Und noch tauchten keine Soldaten mit Michaels Uniform auf.

"Eigentlich", begann Raphael, "ist es sogar eine ganz wichtige Frage. Denn das lässt an Michaels Loyalität gegenüber Gabriel zweifeln", erklärte er. Und es zeigte vielleicht auch, dass er diesen Krieg als sinnlos betrachtete. Zwar hatte Michael ebenfalls Europa und Asien den Krieg erklärt, schickte jedoch niemanden. 

Und während Gabriel Uriels Kriegserklärung erwiderte, hörte man von Michaels Seite nichts dazu. Es war seltsam. "Michael hat Angst vor Gabriel", schlussfolgerte ich und sah erst zu Raphael und dann zu Raziel. "Was wenn Gabriel gedroht hat, Südamerika anzugreifen, wenn er nicht hilft?" Es war geraten. Doch möglich wäre es. 

Denn wenn Gabriel Südamerika hätte, und diesen Krieg würde er gewinnen, dann hätte er automatisch mehr Soldaten. Half Michael freiwillig, hatte er wenigstens noch etwas Kontrolle und konnte seine Leute schützen. Nur leider konnte ich das zu wenig beurteilen. Ich kannte Michael nicht persönlich. 

"Michael-", setzte Freya an, doch Raziel unterbrach sie mit einem Handzeichen und sah seinen Bruder an. "Michael hat Kriege immer verabscheut", sagte er schließlich. Raphael stimmte mit einem Nicken zu. "Er mag mich nicht. Hält mich zu jung. Aber ja, pazifistisch war er. Neben dir war er der einzige, der gegen den Angriff auf die Menschen stimmte." Raziel war dagegen? Ich betrachtete ihn. 

Ja, das war etwas, was ich mir bei ihm vorstellen konnte. So wie er versuchte, möglichst viele seiner Leute aus dem Krieg zu halten. Und er selbst stand Menschen nicht feindlich gegenüber. Doch wenn er und Michael als einzige dagegen gestimmt haben, was war dann Raphaels Einstellung gewesen?

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