Kapitel 9

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Als ich am Nachmittag das Haus saugte, pochte mein Auge noch immer. Im Spiegel hatte ich gesehen, wie es bereits die bläulich-lilane Farbe angenommen hatte. Aber das war es nicht, was die ganze Zeit in meinen Gedanken war. Viel mehr war es die Reaktion von Raphael. 

Schon gestern Abend war mir bewusst, dass er vielleicht einfach falsch verstanden wurde. Dieser Gedanke vertiefte sich nun noch mehr. Er hatte es bereut, mich geschlagen zu haben und er wusste wie falsch es war, einer Frau gegenüber die Hand zu heben. 

Noch etwas anderes war mir bewusst geworden; Cora und ich waren hier nicht alleine. Wir mussten uns hier nicht alleine durchschlagen. Ganz im Gegenteil. Die Wachen waren in Ordnung und selbst Raphael war es. 

"Du bist immer noch nicht fertig?", ertönte eine spöttische weibliche Stimme und ich sah auf. Es war die weibliche Wache von heute Morgen. Ich hatte Recht; sie war unsympathisch. Aber ich antwortete nicht. Sie kannte ich nicht, da würde ich meinen Mund lieber geschlossen halten. 

"Bei Raziel würdest du schon längst bestraft werden. Vielleicht sollte ich es Raphael ja mitteilen", fuhr sie grinsend fort. Etwas ließ mich daran zweifeln, dass Raziel mich bestrafen würde, doch sollte sie ruhig weiter sprechen. Ich saugte einfach weiter. 

Doch ich konnte hören, wie sie näher kam. Sie riss mir den Staubsauger weg und zwang mich somit erneut, sie anzusehen. "Antworte gefälligst. Oder seid ihr Menschen so dumm, dass ihr uns nicht verstehen könnt?" Erneut war Spott zu hören. Es reichte mir. Sollte sie mich doch dafür verpfeifen, aber so etwas konnte ich mir nicht bieten lassen. 

Gerade als ich den Mund öffnete, um etwas zu sagen, ertönte eine männliche Stimme hinter mir. "Malia, du wohnst hier nicht, also halte dich lieber zurück. Oder möchtest du, dass ich zu Raziel durchsickern lasse, wie schlecht du auch seine Diener behandelst?" Auf einmal konnte ich so etwas wie Angst in ihren Augen sehen.

Sie ließ den Staubsauger fallen, drehte sich um und verschwand in den Garten. Erleichtert atmete ich aus und blickte zu der Person, die mir gerade mächtigen Ärger erspart hatte; Dave. Ich lächelte ihn leicht an. 

"Danke. Das, was ich jetzt womöglich getan hätte, hätte mir Ärger eingebracht", sagte ich wahrheitsgemäß und hob den Staubsauger auf. Irgendwie hatte ich bei ihm das Gefühl, sagen zu können, was ich dachte. Und das, obwohl ich wusste, wie seine allgemeine Meinung Menschen gegenüber war. 

Er grinste leicht und setzte sich auf einen Sessel. "Das ist ihre Taktik. Sie provoziert so lange, bis die Diener etwas entgegnen. Dann werden sie für Beleidigung an Engeln bestraft", erklärte er. Man konnte an seiner Stimme hören, dass er diese Vorgehensweise verachtete. 

Doch dass man Engel nicht beleidigen durfte, jedenfalls nicht, wenn man ein Mensch war, ist keine neue Regelung. Auch bei Gabriel hatte es diese gegeben. Niemand seiner Diener hatte es je gewagt, auch nur ein schlechtes Wort über Engel zu verlieren. Hier hingegen kam es mir auf der Straße schon zu Gehör. 

Doch Dave sagte, sie würden nicht bestraft werden. Oder galt das nur für Europa? Raziel konnte schließlich anders handeln. Es war auch möglich, dass es nur im unmittelbaren Umfeld der Erzengel zur Strafe gebracht wurde. Als Mensch würde ich darauf jedoch vermutlich nie Antworten bekommen. 

Ich putzte weiter, während Dave mir zusah. "Fühlst du dich hier immer noch unwohl?", wollte er nach einiger Zeit wissen. Automatisch schüttelte ich den Kopf, denn das tat ich, wie ich feststellen musste, wirklich nicht mehr. 

Stattdessen fühlte ich mich sogar recht wohl. Wenn man die Arbeitszeiten außen vorlässt, versteht sich. Er nickte und nun umspielte ein leichtes Lächeln seine Lippen. 

"Und wie ist es bei dir? Fühlst du dich hier wohl?" Während ich diese Frage stellte, legte ich eine kurze Trinkpause ein. Überrascht sah er mich an, als hätte er nicht damit gerechnet. Doch auch er überlegte nicht lange. 

"Ich bin mit Raphael aufgewachsen und habe mein ganzes Leben mit ihm verbracht. Weshalb sollte ich mich hier unwohl fühlen?" Das war ein gutes Argument. Das brachte mich jedoch auch zu einem anderen Gedanken; wenn Raphael seinen Sitz wechselt, wird er mit ihm gehen. 

Dann würden Übergangswachen hier sein. Engel, die wir nicht kannten und die vielleicht anders mit uns umgingen, als es Dave oder die anderen taten. In Amerika sagte man sich, dass es sogar zu Vergewaltigungen gekommen sei. Das jagte mir etwas Angst ein, um ehrlich zu sein. 

Fragend sah Dave mich an. "Wieso dürfen wir nicht mit zu den anderen Sitzen kommen?", wollte ich wissen und putzte nebenbei weiter, damit ich mir am Ende nicht doch noch eine Strafe einfing.

Erneut schien Dave die Frage zu überraschen, doch dieses mal überlegte er deutlich länger. So lange, dass ich fast schon glaubte, er würde gar nicht mehr antworten. 

"Raphael mag es nicht, ständig von den gleichen Menschen umgeben zu sein, schätze ich", antwortete er und sah dabei zu mir. Natürlich, ihm gingen die Menschen nach einiger Zeit auf die Nerven, wie hätte es anders sein sollen. Trotz seiner Art und Weise war er am Ende des Tages kein großer Freund der menschlichen Spezies. 

Danach sprach ich nicht weiter, denn ich musste bis zum Abendessen fertig sein. Zwar bereitet Cora es vor, doch irgendwer musste ja in dieser Zeit den Tisch decken und dieser jemand war ich. 

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich endlich mit dem decken des Tisches beginnen konnte. Innerlich hoffte ich darauf, dass Malia nicht auftauchen würde, jedoch hoffte ich vergebens. Sie war die erste, die sich an den Tisch setzte. Es folgten Raziel, Dave und Raphael. Alle hatten sich an ihren üblichen Plätzen niedergelassen. 

Mit einer abfälligen Bewegung deutete Malia an, dass ich verschwinden soll, was ich nur allzu gern tat. Doch gerade als ich in der Küche bei Cora ankam, wurde ich zurückgerufen, weshalb ich mich direkt wieder umdrehte und Raphael fragend ansah. 

"Ich möchte, dass ihr euch heute zu uns setzt", sagte er. Überrascht sah ich ihn an. Meinte er das ernst oder war das nur ein Witz? Doch ich konnte keinen amüsierten Ausdruck in seinem Gesicht erkennen. Er sagte die Wahrheit. 

Also ging ich zu Cora und nahm zwei weitere Teller raus, während ich ihr davon erzählte. Auch sie wirkte überrascht und richtete schnell noch einmal ihren Zopf. Als würde es jemanden interessieren wie du ausschaust, dachte ich. 

Wir trugen jeden Tag gleich aussehende Sachen. Da würde niemand bemerken, wenn sie ihre Haare besser liegen hatte als sonst, denn niemand achtete darauf. Nettigkeit hin oder her; Engel fanden Menschen einfach nicht attraktiv. 

Zusammen gingen wir wieder hinaus und setzten uns stumm auf die zwei leeren Stühle zwischen Dave und Raphael. Ich saß neben letzterem, weil Cora sich noch immer unwohl in seiner Gegenwart fühlte. 

Sie alle hatten bereits ihre Mahlzeit auf dem Teller, während Cora und ich zögerten. Sollten wir es uns wirklich nehmen, oder lieber nicht? Vielleicht wäre es am besten, wenn wir einfach aufstehen und gehen würden. Doch wenn Raphael uns hier haben wollte, dann müssten wir bleiben. 

"Weshalb sitzen die bei uns mit am Tisch?", kam es dann von Malia. Ihre hohe Stimme ließ mich leicht zusammenzucken, denn ich hatte nun wirklich nicht damit gerechnet, dass sie diejenige war, die die Stille brechen würde. 

Doch auch mich wunderte es, dass wir mit ihnen zusammen essen durften. Das kam selten vor, selbst bei Gabriel. Ich erinnerte mich an das letzte mal, als es geschah. Damals wurde uns erzählt, zu welchem der Erzengel wir gehen würden. 

Heute musste also etwas besonderes sein. Jedenfalls glaubte ich, dass es so war. Es gab sonst einfach keine weitere Erklärung dafür. Ich wartete gespannt darauf, was Raphael antworten würde. 

A/N: Meinung zu Malia?

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