Kapitel 19

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Scheinbar sprach mein Gesicht Bände. Er musste erkennen, dass ich fürchtete, etwas falsch gemacht zu haben. Schmunzelnd beugte er sich näher zu mir heran und nahm den Wasserkocher, um meine Tasse zu füllen. 

"Keine Angst", begann er und stellte den Wasserkocher wieder ab, "du hast nichts falsches getan." Innerlich atmete ich erleichtert aus und nahm die Tasse, die er mir reichte. Dennoch musste das, worüber er reden wollte, wichtig sein. 

"Wir befinden uns im Krieg." Ihm war klar, dass ich das wusste. Es war einfach nur eine Feststellung, um in das eigentliche Thema einzuleiten. " Auch wenn es noch nicht der Fall ist, wird er früher oder später auch bei uns hier ankommen. Ich will, dass du dich verteidigen kannst", sagte er und lehnte sich an die Theke. 

Überrascht sah ich ihn an. Er wollte, dass ich mich im schlimmsten aller Fälle verteidigen kann? Die Tatsache, dass er sich um mich sorgte, schmeichelte mich etwas. Vielleicht mehr, als sie sollte. Doch das würde nichts daran ändern, dass ich gegen einen Engel keine Chance hätte. Das  muss er doch wissen. Und das sagte ich ihm auch. 

Raphael seufzte. "Citiana", setzte er an. "City", berichtigte ich ihn und wies ihn so darauf hin, dass mir mein Spitzname noch immer lieber war, als mein Geburtsname. Schmunzelnd nahm er dies zur Kenntnis. 

"City, ich sage dir das aus genau diesem Grund. Dave wird dich trainieren. Er wird dir alle Schwächen beibringen, die Engel haben." Ich hatte damit gerechnet, trainiert zu werden. Das ließ sich schon daraus schließen, dass er will, dass ich mich verteidigen kann. Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass mir die Schwächen ihrer Spezies erklärt werden würden. 

"Ich will auch, dass du lernst wie man einen Erzengel tötet." Ich suchte nach irgendeiner Spur von Witz in seinem Gesicht. Doch ich fand nichts. Er meinte das tot ernst. Dave würde mir also beibringen, wie ich einen Engel, sogar einen Erzengel, töten kann, wenn ich es muss. 

Mir war klar, dass das ein Vertrauensbeweis war. Warum sollte er mir so etwas beibringen wollen, wenn er befürchtete, ich könnte ihn töten? Raphael vertraute mir und das bedeutete mir sehr viel. Ich lächelte ihn an. 

Doch ich sagte nicht 'danke'. Das wäre die dümmste Antwort darauf. Also tat ich das, was ich immer tat; ich wies ihn auf Cora hin. Wenn ich Training bekomme, dann sollte sie das auch. Bei Skylar würde er das nie zulassen. Auch, wenn sie es niemals vor Raphael sagen würde; sie hasst Engel. Soweit würde Raphael nicht gehen. 

Er nickte. "Malia wird sie trainieren", erklärte er. Ich hob eine Augenbraue während ich einen Schluck meines Tees trank. Warum musste es Malia sein? Es gab bestimmt andere, weitaus nettere, Wachen, die sich dazu bereiterklären würden. 

"Malia?", meinte ich. "Sicher, dass sie Cora nicht umbringen wird?" Ich meinte diesen Satz nicht ernst. Es war mehr ein Scherz, denn natürlich würde sie das nicht machen. Aber Raphael schien zu verstehen was ich meinte. 

Er schmunzelte. Malia hasste Menschen, das war jedem bekannt. Sanft wird sie mit Cora nicht umgehen. Obwohl, ein Training sollte hart sein, denn nur dann war es effektiv. 

"Wenn Malia zu weit geht, soll Cora mir bescheid geben. Dann überlasse ich Raziel die Oberhand, aber zur Zeit haben er und ich wichtige Dinge zu regeln", sagte er. Natürlich. Der Krieg. Sie mussten dafür sorgen, dass ihr Heer bereit war, einen Angriff zu verteidigen. 

Doch etwas anderes schwebte mir noch durch den Kopf; die Zeitfrage. Wann bitte sollten wir trainieren, wenn wir doch von früh bis spät arbeiten mussten. Raphael seufzte, als ich diese Frage stellte. 

"Eure Arbeitszeit wir vorübergehend etwas eingegrenzt. Hier in London leben mehr Diener, wie ihr festgestellt haben müsst", sagte er und ich nickte langsam. "Ihr hättet sowieso weniger arbeiten müssen." Damit vollendete er die Erklärung. Natürlich konnte man Dienern mehr Pausen ermöglichen, wenn mehr von ihnen anwesend waren. Es war so besser, die Arbeit aufzuteilen. Doch Erzengel kümmerte das meist nicht. 

Aus diesem Grund musste ich lächeln. Er verteilte damit die Arbeit gerechter, denn wenn wir Pausen haben, würden die anderen sie auch bekommen. Zwar war ich überzeugt, dass Raphael es so handhaben würde, dennoch würde ich mich hin und wieder über die Gerechtigkeit dieser Sache erkundigen.

* * *

Am nächsten Tag war es soweit; unser neuer Tagesablauf trat in Kraft. Sieben Uhr standen Cora und ich auf, damit wir pünktlich um acht in der Küche stehen konnten, wo wir dann das Frühstück vorbereiten konnten. 

Raziel saß heute nicht mit am Tisch und auch von Malia war keine Spur zu sehen. Dave hatte mir gestern Abend, als er kurz bei uns im Zimmer war, um mit mir über das Training zu reden, erklärt, dass man als persönliche Wache gleichzeitig die Mitverantwortung über das Heer besaß. Dave und Raphael hatten alles wichtige bereits vor der Abreise geklärt, Raziel begann erst jetzt damit. 

Mittlerweile war es zur Gewohnheit geworden, dass Cora und ich mit an dem Tisch saßen. Zusammen aßen wir bis kurz nach halb neun. Cora brachte Raziel und Malia danach das Essen, während ich mit dem Abräumen begann. Dave half mir, ohne dass ich ihn gebeten hatte. 

"Weißt du, das hier ist mein Job", erklärte ich schmunzelnd, als er mir die restlichen Teller für die Spülmaschine reichte. "Ich kann das also auch alleine machen." Nicht, dass ich mich nicht über ein wenig Hilfe freuen würde. Ich wies ihn lediglich darauf hin. Er verdrehte jedoch nur die Augen. 

"Freunde helfen einander, schon vergessen", entgegnete er und setzte sich auf den Tresen, während ich in der Küche etwas aufräumte. Dave nahm die Sache mit der Freundschaft ernst und das beruhigte mich. Bei den meisten Engeln wusste man nie, ob sie Menschen gegenüber ehrlich waren. Und Freundschaften? Die waren eine Seltenheit. 

Für sie waren wir weniger Wert, also war es eigentlich unnötig, sich auf so etwas Hoffnung zu machen. Und auch wenn ich wusste, dass Dave eigentlich nicht so positiv Menschen gegenüber eingestellt war, vertraute ich ihm. Ich hoffte nur, dass nicht irgendwann zu bereuen. 

Den restlichen Vormittag verbrachte ich mit Wäschewaschen und putzen. Zwar hatten hier auch während Raphaels Abwesenheit Diener gelebt, doch sie hatten wohl vergessen oder missachtet, dass Staub sich dennoch überall ablagert.

Und so war das Wohnzimmer um die Mittagszeit sauber und Cora stand zusammen mit mir wieder in der Küche. Ihr braunes langes Haar hatte sie heute zu einem Dutt zusammengebunden, was untypisch war, denn Diener trugen einen Zopf. Doch vermutlich achtete sowieso niemand darauf.

Dieses mal saßen Raziel und Malia wieder mit am Tisch und es herrschte, wie eigentlich immer, diese unangenehme Stille. Doch ich hatte das Gefühl, dass sie durch den Ausbruch des Krieges noch unangenehmer geworden ist. Niemand sagte einen Ton. 

Als wir mit dem Essen fertig waren, räumten wir alles ab und stellten das dreckige Geschirr in den Geschirrspüler. Dann gingen wir zwei in unser Zimmer, wo wir uns für das Training umzogen, welches in der Mittagspause stattfand. Dave hatte uns Sportsachen vorbeigebracht und nun band auch ich meine Haare zu einem Dutt zusammen. 

Fertig umgezogen, sahen wir uns an. Cora grinste. Scheinbar freute sie sich schon darauf, sich auspowern zu können. Ich erwiderte ihr Grinsen, obwohl ich wusste, dass ich das in wenigen Minuten nicht mehr machen würde. Dave hatte gesagt, es würde hart werden. Und ich war bereit dafür.

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