Kapitel 21

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Ich ging zu ihr und nahm ihr den Kuchen ab, den sie mitgebracht hatte. Dave musste ihn ihr gegeben haben, denn er wollte ihn nach dem Training kaufen gehen. Nachdem ich ihn auf den Tisch abstellte, drehte ich mich wieder zu ihr. Ihr Grinsen war noch immer nicht verschwunden. 

"Sei still", murmelte ich und lief zu uns ins Zimmer. Sie lief mir nach, denn sie musste sich noch umziehen. Dafür hatte sie genau zehn Minuten. Im Zimmer angekommen, schloss sie hinter sich die Tür und machte nicht die Anstalten, ins Badezimmer zu gehen. 

"Das war besser als in all deinen Romantik-Büchern", erzählte sie und schien sich für mich zu freuen. Wenigstens eine von uns beiden wusste, was sie darüber denken sollte. Ich berichtigte sie, indem ich diese Bücher 'Romane' nannte, doch das schien sie jetzt am wenigsten zu kümmern. 

Sie nahm sich ihre Sachen heraus. "Ich verstehe dich. Wenn ich könnte, würde ich mich auch für ihn entscheiden", sagte sie. Es klang so locker. Als hätte niemand ein Problem zwischen einer Beziehen beider Spezies. Doch leider war dem so und das wusste sie. Doch das würde jetzt nicht das Thema sein. 

Ich setzte mich auf mein Bett und betrachtete sie. "Du stehst aber auf Mädchen", entgegnete ich. Erneut erschien ein Grinsen in ihrem Gesicht. "Deswegen hab ich gesagt 'wenn ich könnte' du Dussel. Bis gleich." Mit diesen Worten verschwand sie im Badezimmer. Ich sah ihr nach. 

Zwischen uns war es nie ein Thema gewesen, dass sie auf Mädchen stand. Auch für unsere Familien nicht. Gerade wir Menschen sollten in unserer derzeitigen Situation niemanden für irgendetwas verurteilen. Doch die Engel sahen das anders als wir. Jedenfalls die meisten. 

Vermutlich würde jedem wieder in den Sinn kommen, sie seien altmodisch. Doch das war nicht der Fall. Wenn es um zwei Engelsfrauen ging, war es kein Problem. Es wurde nicht einmal angesprochen. Aber Cora war ein Mensch. Und sie sollte Kinder bekommen, damit die Engel weiterhin Sklaven und Diener hatten. 

In einem gewissen Alter wurde dann angeordnet, dass man bereit für ein Kind sei. Und man bekam einen Mann an die Seite. Dass meine Eltern begonnen hatten, sich zu lieben, war ein Glücksfall und kam selten vor. Für Menschen ging es nicht um Liebe. Jedenfalls nicht, wenn es nach den Engeln ging. Wir sollten froh sein, uns vermehren zu dürfen. 

Und so hatte Cora fast ihr ganzes Leben geschwiegen. Mir hatte sie es einige Monate vor unserer Abreise bei Gabriel erzählt. Und sie war überrascht wie positiv ich es aufnahm. Als sie dann zu weinen begann, weil sie vermutlich nie glücklich werden würde, hatte ich sie in den Arm genommen. Das war einer der Momente, der unsere Freundschaft gestärkt hatte. 

Gemeinsam hatten wir es unseren Familien erzählt, die es ebenfalls akzeptierten. Nur die Erzengel wussten nichts davon. Gabriel hätte ihr so oder so einen Mann vorgesetzt. Ihm wäre das gleich gewesen. Erstmals kam mir in den Sinn, dass Raphael vielleicht anders reagieren und sie jemanden lieben lassen würde. Vielleicht war es auch nur die Hoffnung in mir, die das glaubte. 

Als Cora fertig war, gingen wir gemeinsam unserer Arbeit nach. Ich wischte den Eingangsbereich und danach das Esszimmer, während Cora den Tisch abräumte. Nebenbei aß sie etwas von dem Kuchen und ich tat es ihr gleich. Wir hätten es sonst nur weggeschmissen und man sollte Essen nicht verschwenden. 

Man konnte die Anspannung spüren. Trotz all der Gelassenheit. Jeder hier wartete nur darauf, bis Gabriel oder Michael angriffen. Sie schienen alle darauf gewappnet zu sein. Wie konnte man auf so etwas vorbereitet sein? Unter einigen der Diener hörte man sogar Freude über den Krieg, was für mich unbegreiflich war. 

Vor Raphaels Tür blieb ich stehen. Und ich klopfte. Nicht, weil ich über vorhin sprechen wollte. Um ehrlich zu sein, war das das letzte was ich wollte. Aber mich hatte jemand gebeten, sein Zimmer zu reinigen, weil ich ihn etwas besser kannte als die anderen Diener. Dabei wurde mir Anfangs noch gesagt, nur auf persönlichen Geheiß hineinzugehen. 

Es dauerte nicht lange, da öffnete sich die Tür und Raphael sah mich verwirrt an. Ich deutete auf den Staubsauger und rechnete fast damit, dass er mich wegschickte. Doch er ließ mich hinein und schloss hinter mir die Tür, bevor er sich aufs Bett setzte, wo er ein Buch zuklappte. Als ich den Titel sah, lächelte ich. 

"Das Buch ist gut", sagte ich und versuchte, möglichst beiläufig zu klingen. Bevor ich mit dem staubsaugen begann, wischte ich etwas Staub. Smalltalk war da gar nicht so schlecht, denn sonst würde das für uns beide unangenehm werden. 

"Hast du es gelesen?", fragte er. "Angelesen. Es ist eins der Bücher, das ich bei Gabriel gelassen habe", gab ich zu. Und ich fand den Anfang echt gut. Doch ich konnte nicht alle mitnehmen. Dafür waren Bücher einfach zu schwer. 

Ich begann zu staubsaugen, während ich Raphaels Blick auf mir spürte. Automatisch begann ich an vorhin zu denken und wurde leicht rot. Wenn er vorher nicht daran dachte, dann tat er es vermutlich jetzt. 

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit aufhörte, stand Raphael auf und kam zu mir. "Du solltest für heute Schluss machen", sagte er. Verwirrt sah ich ihn an. Eigentlich hatte ich erst nach dem Abendessen wirklich Schluss, obwohl ich das Essen selbst schon als Feierabend betrachtete. Vor allem, seitdem wir mitessen durften. 

Dann reichte er mir das Buch. "Umso eher du beginnst, umso eher bist du fertig und kennst das Ende", meinte er dann. Ich betrachtete das Buch und dann ihn. Eigentlich wollte ich es nicht annehmen, doch er gab mir keine Wahl. "Ich habe es bereits einmal durchgelesen." Sagte er auf meine Aussage, dass er es erstmal lesen solle. 

Seufzend nahm ich es dann an und lächelte schließlich. Ich freute mich schon darauf, wieder in die Welt dieses Buches einzutauchen. So konnte man der Realität kurzzeitig entfliehen. Und als Mensch in dieser Gesellschaft tat das gut. 

Ich bedankte mich und verließ den Raum. Auch wenn ich laut Raphael Feierabend hatte, half ich Cora beim decken des Tisches. Zusammen nahmen wir Platz, obwohl noch niemand sonst hier war. Wir redeten über das Training und darüber, wie sehr Malia sie triezte. Sie mochte sie nicht und das konnte man heraushören. Ein Glück war Malia noch nicht hier. 

Gerade als ich den Mund aufmachen wollte, kam jemand durch die Tür. Ich sah hin. Es war die Wache von Gabriel, mit der Dave und ich kurz geredet hatten. Sofort gingen die Alarmglocken bei mir an. Was wollte jemand, der eigentlich für Gabriel arbeitete, hier? 

Ich sprang auf. Genauso wie Cora. Schnell ging ich in meinem Kopf durch, wie man ihr das Schwert abnahm und war auf alles vorbereitet. Doch statt uns anzugreifen, legte sie ihr Schwert auf den Tisch.

Als Raphael und die anderen kamen, nahmen sie sofort Abwehrhaltung ein. Nun hob sie die Hände und sank langsam auf die Knie. "Ich benötige Asyl und biete euch gleichzeitig meine Hilfe an." 

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