Kapitel 28

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Ich wusste nicht wie lang dieser Kuss dauerte, nur, dass er abrupt endete. Raphael löste sich von mir und sah mich an. Dann ging er einige Schritte zurück, bevor er schlussendlich fortging. Ich sah, wie er mit seinem Bruder redete, der mir einen Blick schenkte und ihm dann folgte. 

Was hatte ich nur getan? Wie konnte ich nur glauben, dass Raphael diesen Kuss genauso sehr wollte, wie ich? Ich war ein Mensch. Wir standen trotz allem unter ihnen. Zudem war es nicht gestattet und angesehen. Es würde ihm schaden. Und mich könnte es umbringen. 

Langsam floss mir eine Träne die Wange hinunter. Dann noch eine. Ich war so naiv. Plötzlich legte sich eine Hand auf meinen Arm. Ich sah auf. Es war Dave. Ich hatte nicht bemerkt, dass er hergekommen war. Er musste bemerkt haben, dass ich weinte und das war mir nun peinlich. Schnell wischte ich die Tränen weg. 

Doch dann zog er mich in eine Umarmung. Etwas, was ich so nicht von ihm gedacht hätte. Doch es war, was ich jetzt brauchte; Trost. "Ich habe gesehen, was passiert ist", sagte er. "Nimm es ihm nicht übel. Er ist verwirrt. Gib ihm Zeit." Verwundert sah ich ihn an, als ich mich aus der Umarmung löste. 

Ich hätte gedacht, er sei dagegen. Nicht, dass es einen Unterschied machte. Denn Raphael war nicht nur ein Engel. Er hatte viel mehr zu verlieren. "Es war naiv zu glauben, dass er auch so fühlt", gab ich zu. Es war seltsam, so vertraut mit Dave zu reden. Nicht, dass ich ihm nicht vertrauen würde. Das tat ich. Mehr als ich geahnt hatte vermutlich. 

"War es nicht", entgegnete er. Verwirrt sah ich ihn an. "Ich kenne Raphael mein ganzes Leben und ich bin nicht blind. Wie er dich ansieht. Er fühlt genauso. Aber wir haben immer gelernt, dass das falsch sei. Gib ihm Zeit, es zu verstehen", sagte er und sah mich an. "Und gib ihn nicht auf. Du tust ihm gut." Nun musste ich leicht lächeln. Er verstand es wirklich, mich aufzumuntern. 

Zwar zweifelte ich noch immer, dass meine Handlung die beste war, doch ich bereute es nicht mehr. Dann zog ich mich langsam an. Wir sollten zurück zu Uriel, um nicht zu spät zu unserer eigenen Festlichkeit zu kommen. 

"Ach und noch was", sagte er und sah mich an. "Höre nie auf einen Engel, der sagt du seist hässlich, Citiana. Denn du bist alles andere als das." Erneut musste ich lächeln und bedankte mich, bevor ich ihm gegen den Arm schlug.

"Jetzt hör auf zu schleimen. Erzähl mir lieber, was man zu so etwas wie heute Abend bei Uriel trägt", sagte ich und sah ihn an. Nun grinste er wieder und erklärte mir, dass es reiche, wenn ich etwas schickeres anziehen würde. Es musste nicht edel sein. Darüber war ich erleichtert, denn ich wollte mich nicht wie ein Püppchen fühlen.

Die Stimmung zwischen uns war locker und fröhlich. Doch als ich alleine in meinem Zimmer war, um mich fertig zu machen, begann ich erneut nachzudenken. Ich blickte in den Spiegel. Meine Haut war nicht voller Pickel wie es vielleicht bei anderen der Fall war. Doch komplett rein war sie auch nicht. Es war die Haut eines Menschen, nicht die eines Engels. 

Auch meine Haare würden nie so perfekt liegen, wie die von Malia oder Azzurra. Sie hatten beide welliges Haar. Nie wirkte es zerzaust. Ihnen standen alle Frisuren. Beide waren perfekt, wie es Engel nun einmal waren. Im Vergleich dazu war ich nicht hübsch. Nicht, dass ich hässlich war. Man hatte mir oft gesagt, dass ich für einen Menschen wunderschön war. Aber eben nur für einen Menschen. 

Ich seufzte und richtete meine Haare. Weiter darüber nachzudenken würde nichts ändern und mich nur traurig stimmen. Ich war nunmal ein Mensch und das war nicht zu ändern. Mich mit Engeln zu vergleichen war Schwachsinn. Natürlich waren sie schöner, das sollten sie auch. Doch es war gut, dass Menschen und Engel sich so unterschieden. 

Ich versuchte all diese Gedanken beiseite zu schieben. Stattdessen zog ich mir mein Kleid an. Auch das war natürlich nur von Azzurra geliehen, doch es stand mir, wie ich feststellte, sehr gut. Es war nicht zu edel. Man könnte es genau so gut für ein Restaurantbesuch anziehen. Ich begutachtete mich noch einmal im Spiegel, bevor ich nach draußen ging, um den Raum zu suchen, wo das Fest stattfand. 

Als ich die Stimmen von Raziel und Raphael hörte, blieb ich jedoch stehen und lauschte. Die Neugierde, wie es bei mir immer der Fall war, zeigte sich. "Citiana hat einen positiven Einfluss auf dich, Bruder", sagte Raziel und klang dabei weder verwundert noch wütend. Eher klang es, als wäre er glücklich darüber. 

"Niemand kann mich beeinflussen", entgegnete sein Bruder scharf. Ich verdrehte leicht die Augen. Raphael. "Du beginnst die Menschen besser zu behandeln und willst ihnen ihre Grundrechte zurückgeben. Das gefällt mir." Auch, wenn ich mit Raziel nie wirklich darüber gesprochen hatte, kam mir bereits zu Ohren, dass auch er es einführen wollte. 

"Sie ist ein Mensch", meinte Raphael. Ich erhaschte einen Blick, als ich kurz hinsah. Raphael wirkte eher verwirrt. Seine Stimme mochte vorhin scharf geklungen haben, doch Dave schien recht zu haben; er wollte all dies selbst verstehen. 

"Weder für mich noch für Dave spielt das eine Rolle. Und die anderen hat es nicht zu interessieren. Tief in deinem Inneren weißt du das", erklärte er. Er hatte ebenfalls nichts dagegen? Klar, er war freundlich und bezeichnete mich als eine Freundin. Doch das waren zwei paar Schuhe und ich musste zugeben, dass ich Raziel komplett falsch eingeschätzt hatte, was zum Teil auch an all den Gerüchten gelegen haben muss. 

"Du willst sie zu deiner Beraterin machen", fuhr er fort. "Sie isst, genauso wie die anderen, bei uns mit am Tisch. Vielleicht verstehst du ja noch nicht ganz, was all das bedeutet. Aber sie ist dir sehr wichtig, Bruder. Sie ist nicht Freya." Freya? Wer war das? Erneut sah ich zu ihnen und konnte leichte Panik erkennen, als dieser Name fiel. 

War das die Frau, die ihn verletzt hatte? Ob sie ein Mensch war? Oder ein Engel? Fragen über Fragen. Ich lehnte mich wieder zurück an die Wand und blickte in das Gesicht von Dave, der den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, doch ich legte rasch meine Hand darauf und zog ihn zur Seite. Er verstand, dass er schweigen sollte. Noch einmal sah ich zu den beiden, doch sie waren nun verschwunden. Ich blickte zu dem Blonden. 

"Du kannst es einfach nicht lassen, oder?", sagte er schmunzelnd. Ich zuckte mit den Schultern. "Es ist eine Art Hobby", erwiderte ich leicht grinsend, bevor ich ernst wurde. "Wer ist Freya, Dave?" Augenblicklich war all der Witz aus seinem Gesicht verschwunden. Stattdessen wurde sein Blick wütend. 

Doch er zögerte und wollte es mir erst nicht sagen. Fast wollte ich ihm sagen, er müsse es nicht erzählen, doch dann sprach er. "Freya war, wie Michaela, ein normaler Engel, der Seite an Seite mit Raphael herrschte", erklärte er. Michaela. Sie lebte auf dem asiatischen Kontinent und leitete diesen mit Raziel. Auch da gab es diverse Gerüchte. 

"Raphael hatte sich verliebt", erklärte er weiter. "Und sie wollte mehr Macht. Sie hat ihn ausgenutzt, City. Und ihm sehr wehgetan." Ich nickte, denn ich verstand, was er mir sagen wollte. Sie hatte ausgenutzt, dass er verliebt war. Aber was hatte das mit den Flügeln zutun?

Er seufzte. "Die Flügel...sind eine sehr empfindliche Stelle bei Engeln. Die Erinnerung an sie schmerzt ihn noch immer. Manchmal habe ich das Gefühl, er liebt sie noch", fuhr er fort. Sie habe versucht, ihn zu stürzen, erklärte er weiter. Als sie scheiterte, weil Raziel eingriff, floh sie und ließ Raphael zurück. Daraufhin habe dieser sich verschlossen und wurde, wie er nun war. 

"Ich glaube, sie hat sich Michael und Gabriel angeschlossen. Aber sage ihm das nicht. Denn dann kann ich nicht versprechen, dass er den Krieg weiterführt." Verwirrt sah ich ihn an. Was sollte das bedeuten? Wollte er sagen, er würde für sie kapitulieren? Als ich diese Frage stellte, nickte er.

"Raphael war so verletzt, doch er war bereit, den Thron für sie zu räumen, weil er sie nicht töten konnte. Raziel hat ihm die Herrschaft jedoch gesichert", erklärte er und ging dabei darauf ein, dass sie Gabriel viel ähnlicher war als Raphael. Es sei wie bei Michaela und Raziel. Es sollten schließlich immer zwei gegensätzliche Seiten regieren. Doch nach diesem Vorfall habe Raziel Michaelas Macht stark eingeschränkt. 

Nun war ich wütend. Nicht auf Raphael, Raziel oder mich - sondern auf Freya. Wie konnte sie Raphael so etwas antun? Er hätte alles für sie getan und was tat sie? Nach seiner Macht greifen, anstatt Europa mit ihm zusammen zu reformieren. Der Gedanke daran, wie Raphael sich gefühlt haben musste, brach mir das Herz. 

Irgendwann hielt Dave mir dann den Arm hin. "Komm. Lass uns zu den Festlichkeiten gehen. Nicht, dass wir noch gesucht werden und jemand lauscht." Mit dem letzten Satz machte er eine Anspielung auf mich. Nun verdrehte ich leicht schmunzelnd die Augen. Doch ich konnte nicht einfach vergessen, was er mir gerade erzählt hatte.

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