Kapitel 36

3.2K 126 0
                                    

Wir waren in einen anderen Raum gegangen. Es war eine Art Büro, von dem ich nicht einmal wusste, dass es existierte. Aber irgendwo mussten ja die Besprechungen geführt werden. Eigentlich hätte ich es mir denken können. Er war kleiner als die anderen Räumen. Doch es war nicht zugestellt. Nur ein Schreibtisch mit einem Stuhl stand hier. 

Raphael hatte sich gegen den Schreibtisch gelehnt, während er zuhörte, was Brooke auch schon uns erzählte. Er nickte. "Das finde ich gut", sagte er schließlich. "Aber es offiziell anerkennen? Als Teil der Armee? Das würde Unruhen unter traditionelleren Engeln auslösen." War das sein ernst? Ich verstand, dass ein solcher Schritt in einem Krieg unpassend war. Aber es war notwendig. 

"Raphael. Es wäre nur ein Gesetz. Erkenne die Menschen offiziell als gleich an. Dann können sie der Armee beitreten." Und es würde den Sklavenhandel verbieten. Natürlich musste auch das ausformuliert werden und sicherlich wären einige Engel dagegen, doch es wäre richtig und wichtig. Ein Gesetz in die Gesellschaft zu bringen kann schwierig sein. Doch er war in der Position, wo er es nur aufschreiben und verkünden musste. 

Er schüttelte den Kopf. "Das hat zur Folge, dass alle Sklaven frei sind", sagte er. "Was ich natürlich begrüße, keine Frage. Aber es wird Aufstände geben, die ich gerade nicht gebrauchen kann." Erneut war das verständlich. Diese Aufstände waren auch das letzte, was ich wollte. Aber es würde ihn in großen Teilen der Bevölkerung beliebter machen. Nur eine Minderheit würde Aufstände wagen, wenn Raphael die Menschen beschützt. 

Dann würde Europa auch nach außen eine bessere Wirkung haben. Uriel würde sich freuen und es unterstützen. Raziel sicher auch. "Das muss warten, bis der Krieg vorbei ist. Die paar Monate halten Menschen noch aus", sagte er. Ich seufzte. Er verstand das Problem nicht. Und das lag darin, dass er genau das glaubte. Doch ein paar Monate konnte noch vielen Menschen das Leben kosten. Und zwar nicht nur durch den Krieg, sondern auch durch die Grausamkeit einzelner Engel. 

"Können wir nicht", entgegnete Brooke, die bis jetzt still war. "Ich bin eine Sklavin", gab sie zu. "Bin aber vor dem Engel geflohen, um frei zu sein. Wenn er mich in 'den paar Monaten' findet, bin ich tot, weil die Gesetze das erlauben", meinte sie und sah Raphael an. Das schockte mich. Sie wirkte nicht so, als wäre sie eine Sklavin gewesen. Im Gegensatz zu Skylar schien sie keinen Hass Engeln gegenüber zu empfinden. Vielleicht wusste sie ja, dass nicht alle so waren wie der, bei dem sie lebte.

"Es ist nicht so einfach", gab Raphael zu. "Doch ist es. Du verkündest ein Gesetz und fertig", entgegnete ich. "In ein paar Monaten ist es für einige zu spät. Zeig ihnen, dass für den Erzengel Raphael Menschen genauso wichtig sind wie Engel. Dass es keinen Unterschied macht, wenn Engel oder Menschen sterben." Er sah mich an, dann blickte er zu Brooke und verlangte den Namen des Engels, dem sie gehörte. 

Sie nannte ihn. Raphael nickte. "Du kannst unten bei Cora schlafen. Es ist das kleine Zimmer beim Wohnzimmer", sagte er. Sie nickte und wurde dann hinaus geschickt, um duschen zu können. Raphael wollte mit mir allein reden. "Du weißt, Menschen und Engel sind für mich gleich, City, aber-" Ich unterbrach ihn. 

"Sind sie? Dann beweis es." Ich weiß, dass das mitten im Krieg viel verlangt war. Aber einige Menschen, die hörten, bei Gabriel sei es besser, sollten wissen, dass auch Raphael gütig war. Gütiger als Gabriel es je sein würde. Denn sobald dieser hier regiert, wäre es für die Menschen vorbei. Dem war ich mir in letzter Zeit bewusst geworden. 

Raphael lächelte nun leicht, bevor er auf mich zukam. "Du bist eindeutig die richtige Wahl als Beraterin", sagte er. Nun schmunzelte ich leicht und verdrehte die Augen. Er nahm meine Hände und ich sah ihn an. "Morgen früh werde ich ein neues Gesetz verkünden lassen und die Sklaverei in Europa beenden. Menschen sind dann frei. Jeder Engel, der gegen die Gesetze verstößt und einem Menschen Leid zufügt, wird mit einer hohen Strafe rechnen müssen." Das ließ mich lächeln. Er würde es machen. 

Menschen waren dann keine Objekte mehr. Engel würden sie nicht schlagen dürfen und dann damit durchkommen. Sie durften sich normale Arbeit suchen. Lernen. Studieren. Natürlich würde sich all das erst langsam entwickeln. Doch wenn Raphael das förderte, war das ein guter Anfang. Vielleicht würde alles so werden wie es einmal war. Und Menschen leben mit Engeln friedlich Seite an Seite.

Ich küsste Raphael kurz. Er erwiderte ohne zu zögern. Als wir uns voneinander lösten, schloss er mich in eine Umarmung und gab mir einen Kuss aufs Haar. "Ich bin so froh, dass es dir gut geht", sagte er dann. "Ich ebenfalls", erwiderte ich. Nach einiger Zeit verließ ich dann den Raum. Raphael würde mit seinem Bruder an dem Gesetz arbeiten. Es wäre besser, sie arbeiten beide daran, wenn sie schon so eng zusammenarbeiten. 

Ich ging erst einmal unter die Dusche. Das warme Wasser lief meine Haut hinunter. Das tat so verdammt gut. Vor allem wenn der Tag nur aus Bunker und recht wenig Essen bestand. Denn das hatten wir alle natürlich vergessen. Gerade als ich daran dachte, knurrte auch mein Magen. Die Küche war der nächste Ort, den ich aufsuchte. 

Dort traf ich Azzurra. Freundlich lächelte sie mich zur Begrüßung an. Auch ich schenkte ihr ein Lächeln, würde doch gleich ein ernsteres Gespräch mit ihr führen. Über Cora. Während ich mein Brot beschmierte, kochte sie Tee. "Du und Cora also", begann ich und sah kurz zu ihr. Sie nickte leicht und begann erneut, zu lächeln. 

Sie wirkte glücklich. "Ich finde dich echt nett", fuhr ich fort, während ich eine zweite Scheibe Brot auf die bereits beschmierte Scheibe legte. "Aber ich möchte nicht, dass Cora wehgetan wird. Sie ist meine beste Freundin." Nun drehte ich mich zu ihr um. Wieder nickte sie. "Das verstehe ich und das ist auch nicht meine Absicht", meinte sie und goss das kochende Wasser in eine Tasse. "Ich mag sie wirklich." 

Nun lächelte ich wieder. Das war, was ich hören wollte. "Gut", entgegnete ich. "Dann wünsche ich euch alles Gute." Sie bedankte sich und ich verließ den Raum. Doch ich ging nicht hoch zu mir, sondern zu Cora. Wo ich auch Brooke und Dave vorfand. Azzurra gesellte sich ebenfalls noch zu uns. 

"Es war klar, dass Raphael es nicht versteht. Er profitiert schließlich auch von Sklaven", meinte Brooke. Sie klang nicht verärgert. Im Gegenteil. Sie wirkte, als könnte sie es auf irgendeine Art verstehen. Auch wenn alle hier in diesem Raum wussten, dass Sklaverei falsch war. Und auch immer falsch sein würde. 

"Er hat nur noch eine", kam es nach kurzem Schweigen von Dave. "Skylar. Offiziell ist sie noch eine Sklavin, doch sie übernimmt nur noch Arbeiten einer Dienerin. Sie ist noch hier, weil sie es will. Alle anderen hat er bereits entlassen." Dass nur noch Diener hier waren, ist mir nicht entgangen. Doch ich dachte, hier in England habe er einfach keine Sklaven. 

Doch dass er sie entlassen hatte, überraschte mich. Wann hatte er das getan? Spielte es überhaupt eine Rolle? Hauptsache er hat es getan. Das war, was wichtig ist. "Und morgen verkündet er ein neues Gesetz zu dem Thema", fügte ich noch hinzu. Brooke hatte ja nicht mehr mitbekommen, wie er nachgegeben hat. 

Dave erklärte ich es schnell. Alle hier schienen froh darüber zu sein. Das zeigte, dass die meisten Engel für das Gesetz sein werden. Der Rest wird es vermutlich nie wirklich verstehen. Oder nur langsam. Sie würden nicht verstehen, dass man ihnen nichts wegnahm. Sie konnten trotzdem noch Menschen in ihrem Haushalt anstellen. Nur würden sie bezahlt werden müssen. Und es gab Grenzen. Menschen werden den Engeln nicht mehr ergeben sein. Und das ist gut so.

New WorldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt