Kapitel 43

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Auch der zweite Tag verging wie im Flug. Wir sind am Ende zwar nur dreißig Minuten gelaufen und haben uns dann zum picknicken niedergelassen, weil wir keine Lust mehr hatten, doch dafür verbrachten wir auch diesen Tag im Freien. Meine Haut bekam langsam sogar etwas mehr Farbe. Ich wirkte nun nicht mehr allzu blass. 

Vor dem Abendessen machten Dave und ich noch einen kleinen Spaziergang am Strand. Er hatte danach gefragt. Irgendwann blieben wir stehen und schauten auf das Meer. Ihm ging es halbwegs gut. Vielleicht war es ja die frische Meeresluft, durch die er sich besser fühlte. Jedenfalls für eine kurze Weile.

"Malia und ich begleiten euch nicht zurück", sagte er dann. "Wir werden bleiben. Raphael weiß Bescheid." Ich sah zu ihm. Der blonde Engel, mit dem ich mich auf Anhieb verstanden habe. Ich erinnerte mich noch genau an die Autofahrt damals zum Supermarkt. 

"Er weiß nicht, dass du es weißt", fuhr er fort. "Und er glaubt, es wäre heilbar. So habe ich es ihm gesagt." Er habe Raphael angelogen, damit er während des Krieges nicht abgelenkt sein würde. Zudem sagte er, er würde wieder zurückkehren, sobald es ihm besser ging. Eigentlich hatte er vor, alleine zu bleiben. Aber Malia erklärte sich zum Bleiben bereit. 

"Ich kann auch hier bleiben, wenn du das möchtest", bot ich ihm an. Ich würde einen Freund nicht alleine sterben lassen. Niemals. Doch er schüttelte den Kopf. "Raphael braucht dich. Und er hört auf dich", meinte Dave und schmunzelte. Seine lockere Art würde ich definitiv vermissen. Seinen Humor. Unsere Gespräche. Einfach alles an ihm. 

Und auch Cora würde ihn vermissen. Sie hatten sich über all die Zeit ebenfalls angefreundet. Eigentlich war es auch unmöglich, ihn nicht zu mögen. Selbst Malia tat es scheinbar, sonst würde sie nicht bleiben. Und sie musste es ja angeboten haben. Also sorgte sie sich. Auch wenn sie es niemals zugeben würde. 

"Du darfst also morgen nicht weinen, wenn du fliegst", sagte er und sah mich an. Schon jetzt standen mir die Tränen in den Augen. "Wie? Schließlich ist es ein Abschied", entgegnete ich. Er nahm mich in den Arm. Er wirkte schwach, auch wenn man es ihm vielleicht nicht auf den ersten Blick ansehen würde.

Sanft strich er mir über den Rücken. "Es wird kein Abschied für immer sein. Irgendwann sehen wir uns wieder." Nach dem Tod, dachte ich. Glaubte er an ein Leben danach? Ich hatte mir nie solche Gedanken gemacht, denn nie hätte ich geahnt, dass die Möglichkeit bestand, früh zu sterben. Bis vor kurzem lebten wir schließlich in Frieden.

In dieser Nacht schlief ich unruhig. Es gefiel mir nicht, einen Freund zurückzulassen. Oder zurück in ein Kriegsgebiet zu fliegen. Auch wenn Uriel und Raziel scheinbar in Europa derzeit alles unter Kontrolle hatten. Jedenfalls laut Raphael. Ein ungutes Gefühl bleibt. 

Der nächste Morgen war hart. Härter als erwartet. Glücklich zu wirken, obwohl ich wusste, dass Dave zum sterben hier blieb, fiel mir viel schwerer als ich dachte. Auch wenn dieser Tag perfekt war. Und entspannend. Ich konnte nicht aufhören, daran zu denken. Ein Teil von mir wollte ihn noch nicht aufgeben.

Am Abend standen dann alle außer Malia und Dave mit Koffern zur Abreise bereit. Unsere Koffer wurden extra ausgeflogen. So war mehr Platz in unserem Helikopter. Zu viert brauchten wir nur einen. Ich sah zu Dave, welcher mir ein leichtes Lächeln schenkte. Er wirkte gesund, doch er stützte sich auf Malia ab. Also war er es definitiv nicht. 

Ich fragte mich, ob Raphael das überhaupt bemerkte. Nachdem die anderen sich von ihm verabschiedet hatten, ging auch ich zu ihm und umarmte ihn noch einmal. Dabei sah ich in Malias Richtung. "Danke", flüsterte ich und sie nickte. Ich stieg als letzte ein. Dann hoben wir ab. Es würde das letzte mal sein, dass ich Dave sehe. 

Ich konnte spüren, wie sich Tränen in meinen Augen bildeten und sah schnell nach unten. Niemand musste das sehen. Sie würden nur fragen und ich weiß nicht, ob ich lügen könnte. Oder ob ich nicht einfach anfangen würde, zu weinen. Schnell wischte ich mir die Träne weg, die meine Wange hinunter lief und schloss dann die Augen, um etwas zu schlafen. Schließlich hatten wir einen langen Weg vor uns. 

* * *

Nach einer gefühlten Ewigkeit landeten wir. Ich war müde, doch es war erst Mittag. Schnell gingen wir ins Haus, wo die anderen uns begrüßten. Raziel sah sich um, bevor er zu mir blickte und die Stirn runzelte. Dave. Er hielt nach ihm Ausschau. Leicht schüttelte er den Kopf. Er kam zu mir und umarmte mich. Für die anderen sah es aus, als würde er mich begrüßen. 

"Es tut mir leid", flüsterte er und ich nickte nur. Raphael erklärte dann, dass Dave und Malia bald folgen würden. Dass Malia dort blieb, überraschte sogar Raziel. Gemeinsam gingen wir dann zum bereits gedeckten Tisch. 

Auch wenn wir dank Brooke eine Person mehr am Tisch hatten, wirkte es leer ohne Malia und Dave. Zudem war es recht ruhig. Auch wenn Raziel und Brooke alles wissen wollten. Denn unsere kleine Reise war rasch erzählt. Und so schwiegen wir die restliche Zeit, bevor ich mit Brooke den Tisch abräumte. 

"Ich kann nachvollziehen, wie sehr er dir fehlt", sagte sie. Als sie das sagte, erinnerte ich mich daran, dass sie ja ebenfalls eine Freundin verloren hatte; Venus. Sie musste sie wirklich gern gehabt haben. Freundschaft war zur jetzigen Zeit etwas seltenes. Das musste gepflegt werden. 

Und so redeten wir zwei ewig. Sie erzählte mir über Venus. Wie sie sich trafen und weshalb sie beschlossen, gemeinsam in den Krieg zu ziehen. Wie Venus ihr half, dem Engel zu entkommen, dessen Sklavin Brooke einmal war. Und dass sie ihr nie hatte genug dafür danken können. Dann war ich an der Reihe. 

Meine ersten Wochen hier waren schwer, doch dank Dave gewöhnte ich mich schnell ein. Ich erzählte ihr, wie er zu einem Freund wurde. Etwas, was keiner von uns beiden beabsichtigt hatte. Und wie überraschend es wohl auch für die anderen war. Schließlich war Dave nicht gerade für Freundlichkeit gegenüber Menschen bekannt. 

Brooke wurde mir immer sympathischer. Und ich war dankbar, einen weiteren Menschen hier zu haben. Jetzt, wo auch Freya und Michaela hier waren. Obwohl letztere sich nicht mehr frei bewegen durfte, was seine Gründe hatte. 

"Schlaf gut, City", sagte sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht, bevor sie in das Zimmer zu Cora ging. Wo diese sich jedoch nicht aufzuhalten schien, denn ich sah sie oben aus dem Zimmer von Azzurra herauskommen. Sie ging mit einem Handtuch in Richtung Bad. 

"Rutsch in der Dusche nicht aus", sagte ich. Sie zuckte leicht zusammen, bevor sie sich umdrehte. Mit breitem Grinsen sah ich zu ihr und sie verdrehte nur schmunzelnd die Augen, bevor sie im Badezimmer verschwand. 

Ich wollte gerade die Tür zu meinem Zimmer öffnen, da legten sich zwei Arme um meinen Körper. "Ich dachte, du schläfst bei mir", ertönte Raphaels Stimme, bevor er mir einen Kuss auf die Wange drückte. Schmunzelnd drehte ich mich in seinen Armen. "Tue ich das?" Er nickte, wartete jedoch auf eine Antwort von mir. Niemals würde er mich zu irgendetwas zwingen, das wusste ich. 

"Ich hole nur schnell mein Zeug", meinte ich dann, küsste ihn kurz und ging in mein Zimmer. Dort zog ich mich rasch um. Kurze Hose, T-Shirt und fertig. Meine Haare würden offen bleiben. Dann ging ich zu Raphael ins Zimmer. Er lag bereits in seinem Bett. Die Flügel ausgebreitet. Dave hatte mir erklärt, so zu schlafen war für Engel entspannter. 

Ich legte mich zu ihm, bedacht darauf, die Flügel nicht zu berühren, denn er mochte das nicht. Vielleicht würde er das nie mögen. Aber ich liebte ihn ja nicht wegen seiner Flügel. Sanft legte er dann einen Arm um mich und schenkte mir ein müdes Lächeln. Es dauerte jedoch nicht lang, bis wir beide einschliefen.


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