Kapitel 8

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Am Abend lag ich in meinem Bett. Es war noch nicht allzu spät. Cora saß auf ihrem Bett und las eines meiner Bücher. Heute schien sie ausgeschlafen zu sein und sah nicht mehr ganz so fertig aus. Ich betrachtete die weiße Decke, während ich weiter an das Gespräch mit Dave dachte. 

Umso mehr ich darüber nachdachte, desto mehr fielen mir Dinge auf. Dave sagte, hier würde niemand hingerichtet werden, wenn er etwas gegen Raphael zu sagen hatte. Nicht einmal Engel. 

Bei Gabriel wären sie dem Tode geweiht, sobald sie ein schlechtes Wort gegen ihn aussprachen. Gewollt oder ungewollt herrschte in Europa und vielleicht sogar in Asien eine gewisse Art der Meinungsfreiheit. Nur wussten die Menschen hier nicht, dass es ihnen somit besser ging, als den Menschen in Amerika. 

"Glaubst du, Raphael hat etwas Gutes?", fragte ich und blickte dabei zu Cora. Nicht nur Cora sah zu mir, sondern auch die Sklavin, denn schließlich teilten wir uns diesen Raum und sie befand sich ebenfalls schon hier. Doch bevor sie etwas sagen konnte, begann Cora zu reden. 

"Wenn man davon absieht, dass ich der Meinung bin, dass jeder etwas Gutes in sich trägt; ja. Er hat dir heute trotz allem dein Abendessen gewährt. Irgendetwas Gutes muss er also haben", sagte sie und lächelte leicht. 

Es war ebenfalls eine Art an ihr, die ich bewunderte. Ja, sie öffnete manchmal vielleicht den Mund, in Momenten an denen sie ihn lieber geschlossen halten sollte. Doch sie glaubte an das Gute in Menschen. 

Die Sklavin sah überrascht aus. Aber auf keine gute Art und Weise. Scheinbar teilte sie Coras und meine Meinung nicht. Aber das war verständlich; ihr Posten war vermutlich nicht gerade der Beste hier. Wir waren Diener, sie eine Sklavin. 

"Raphael ist nicht nur ein schlechter, sondern ein grausamer Mensch!", sagte sie. Es schien ihr schwer zu fallen, es nicht auch noch zu schreien. Doch ich wette, dass ihr das dann Ärger eingebracht hätte. 

"Hier können die Menschen ihre Meinung äußern, ohne den Tod fürchten zu müssen", entgegnete ich und sah wieder an die Decke.

Sie schnaufte. Offensichtlich war ihr das keine Begründung. Natürlich war es minimal, wenn man bedenkt, wie schrecklich Raphael handeln konnte. Doch - und das musste ich zugeben - habe ich noch nie gesehen, wie er irgendjemanden hier grundlos schlecht behandelte. 

"Weil er weiß, sie haben zu viel Angst, um irgendetwas zu tun", meinte sie. Ich würde gern etwas kontern, doch ich blieb still. Weder war ich auf Streit aus, noch wollte ich, dass wir am Ende noch gehört wurden. Das wäre für uns beide schlecht ausgegangen. 

Ich beschloss zu schlafen, denn wann kam man hier schon einmal so zeitig ins Bett? Sonst schliefen wir nie nach Mitternacht. Wir würden endlich einmal ausschlafen können.

* * *

Am nächsten Morgen war alles wie immer. Wir standen auf und verrichteten unsere Arbeit. Ich deckte gerade den Tisch, als Cora gerade die Wäsche auf hing. Wieder fiel mir auf, wie sorgenfrei das Leben trotz Raphaels Herrschaft war. 

Klar, wir mussten pünktlich wach sein und unsere Arbeit beginnen, doch wir bekamen warme Mahlzeiten, ein Bett und Kleidung. Was wollten wir mehr. Weder Cora noch ich hatten bis jetzt eine schlechte Behandlung erlebt. 

Als der Tisch fertig gedeckt war, stellte ich das Frühstück ebenfalls mit hoch. Drei Personen würden hier essen; Raphael, Raziel und Dave. So wie es jeden Morgen der Fall war. 

"Morgen", ertönte es hinter mir, bevor einen Gähnen zu hören war. Ich drehte mich um. Es war Dave. Zwar hatte er bereits seine Kleidung an, doch er sah dennoch sehr müde aus. Wie lang er wohl wach war?

"Möchtest du einen Kaffee?", wollte ich wissen. Auch das fragte ich ihn eigentlich jeden Morgen, nur bis gestern kannte ich ihn nicht und er mich auch nicht, weshalb er sonst immer nur nickte. 

Nun ging er selbstständig zur Kaffeemaschine. "Ich mach das schon, iss etwas", sagte er, doch das tat ich nicht. Mir war es erst erlaubt zu essen, wenn alle anderen bereits ihr Essen zu sich genommen hatten. Und ich wollte nicht noch einen Regelbruch riskieren, solange es nicht unbedingt notwendig war. 

Dennoch machte Dave sich seinen Kaffee alleine und drehte sich dann mit seiner Tasse zu mir um. Einmal nippte er kurz daran, doch er schien zu merken, dass er noch heiß war. 

Er schien nicht verwundert darüber, dass ich trotz seinem Angebot nichts aß. Vielleicht war das ja ein Test von Raphael. Dann hätte ich ihn vermutlich bestanden. Jedenfalls hoffte ich das. Auch, wenn Dave in Ordnung war bezweifelte ich, dass dieses Angebot aus bloßer Höflichkeit gemacht wurde. 

Ein Mädchen in der gleichen Kleidung wie Dave bewegte sich in unsere Richtung. Eine Wache. Ich hatte sie noch nie hier gesehen. War sie etwa neu? Ihr braunes lockiges Haar fiel ihr locker über die Schulter während sie mich auffordernd ansah. Erst da realisierte ich meine eigentliche Aufgabe. 

Schnell ging ich und machte ihr einen Kaffee bereit. Dann lief ich zu ihr und übergab ihn ihr. Kurze Zeit später - als ich erfuhr, dass sie ebenfalls mitessen würde - stellte ich einen weiteren Teller auf den Tisch und blieb in der Küche, wo mich niemand sehen konnte. 

Doch es dauerte nicht lange bis Cora auftauchte und sich zu mir gesellte. "Sie essen gerade. Wer ist das Mädchen?", wollte sie wissen. Natürlich wusste sie, dass sie eine Wache war, doch vermutlich wollte sie den Namen wissen, weshalb ich einfach mit den Schultern zuckte. 

Nicht nur, dass es mir egal war. Irgendwie wirkte sie unsympathisch. Sie war wie all die anderen Wachen bei Gabriel. Kalt und ignorant uns Menschen gegenüber. Vermutlich hätte es mir nicht einmal etwas ausgemacht, wenn ich nicht wüsste, dass Engel auch anders sein konnten, wenn sie es nur wollten. 

Nachdem die Geschwister, Dave und das Mädchen mit dem Essen fertig waren, räumten wir gemeinsam den Tisch ab. Gerade als ich die Teller stapelte sah ich, wie Raphael das Sklavenmädchen aus unserem Zimmer anschrie. Sie weinte bereits. 

Ich würde meine folgende Tat bereuen, doch wie konnte ich da bitte tatenlos rumstehen? Also drückte ich Cora, die gerade aus der Küche wieder kam, die Teller in die Hand und lief zu ihnen. Als ich ankam, hob Raphael gerade die Hand. Er setzte zum Schlag an. 

Ich ging dazwischen und bekam den Schlag zu spüren. Doch ich schrie nicht auf. Diese Schwäche würde ich nicht zeigen, egal wie sehr es schmerzte. Und das tat es gewaltig. Vermutlich würde ein blaues Auge entstehen. Doch damit konnte ich leben, solange es nicht wieder sie traf, denn ich hatte das Gefühl, sie bekam immer alles ab. 

Wütend blickten Raphaels braune Augen in meine. "Verschwinde Skylar", sagte er zu dem Sklavenmädchen. Ich konnte hören, wie sie wimmerte als sie verschwand. Kurz sah ich ihr nach. Cora folgte ihr in unser Zimmer. Dann sah ich wieder zu Raphael. 

"Was sollte das?", wollte er wissen, darum bemüht, nicht komplett auszuflippen. Es schien ihm schwer zu fallen. Scheinbar blieb er nicht allzu oft ruhig, was auch sein Verhalten von gerade erklären konnte. 

"Sie hat das nicht verdient", entgegnete ich, ebenfalls bemüht darum, meine Wut nicht zum Ausdruck zu bringen. Egal, ob sie eine Sklavin war oder nicht; man schlug keine Frauen. Man behandelte jemand anderen nicht schlecht, nur weil er im Rang unter einem selbst stand. 

Scheinbar hatte ich meinen Gedankengang laut ausgesprochen, denn ich sah keine Wut, sondern nur noch Verwirrung in seinen Augen. Und konnte ich auch Überraschung sehen?

Er rief Dave zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr bevor dieser wieder ging. Dann sah er mich an. Er musterte mein Gesicht und Verwirrung wich der Schuld. Fühlte er sich wegen dem, was er mir angetan hatte, etwas schuldig? 

Dave kam wieder und reichte ihm etwas. Als er die Hand hob, fuhr ich aus Reflex ein wenig zurück. Erst als mir bewusst wurde, dass er ein Kühlpack in der Hand hielt, blieb ich stehen. Er hielt es an mein Auge, nahm meinen Arm und legte meine Hand an das Kühlpack, damit ich dieses festhielt. 

"Du hast recht", gab er von sich. "Zwar hättest du dich hier nicht einmischen sollen und dürfen, aber du hast recht. Es war falsch, die Hand zu heben." Nachdem er das sagte, verschwand er nach oben und ließ einen verblüfften Dave zurück, welcher zu mir sah.

Doch nicht nur Dave war überrascht von Raphaels...sanfter Seite. Auch ich war es. Ich hatte mit Beschimpfungen aller Art gerechnet, aber nicht mit einer Entschuldigung. 

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