Kapitel 30

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Ich nahm sein Gesicht in meine Hände, doch Raphael versuchte, meinen Blick zu meiden. Nichts desto trotz würde ich nicht aufgeben. "Ich glaube, es ist eine sehr gute Idee", gab ich zu und lächelte leicht. "Denn Gefühle lassen sich nicht einfach so unterdrücken. Sie kämpfen sich immer wieder hoch. Und in dem Krieg brauchen wir wenigstens eine Sache, die uns glücklich machen kann." Und das tat er. Das konnte er. Darauf vertraute ich. 

Ein Lächeln von ihm reichte und ich fühlte mich besser. Wenn ich ihn sah, ging es mir gut. Zu wissen, dass ihn etwas quälte, machte mich nachdenklich. Er ist mir in den letzten Monaten wichtig geworden. Wichtiger als ein Freund. Raphael war mehr als das. Viel mehr. 

"Aber die anderen-", wollte er sagen, doch ich unterbrach ihn kopfschüttelnd. "Die anderen hat es einen Dreck zu interessieren, wer der Verursacher deines Glücks ist, Raphael", entgegnete ich. Noch immer schien er sich nicht ganz sicher zu sein und ich wusste, dass es nicht an der Meinungen der anderen lag. So etwas würde ihm nichts ausmachen. 

Ich seufzte, weil ich versprochen hatte, sie nicht zu erwähnen. Und ich würde gewiss nicht ihren Namen nennen. So dumm war ich nicht. Ich sorgte dafür, dass Raphael mich anblicken musste und sah ihm in die Augen. "Ich bin nicht wie sie." Kurz schloss er die Augen und ich bereute sofort, ihn daran erinnert zu haben. 

Doch dann sah er mich an. In seinem Blick lag nun keine Verunsicherung mehr. Stattdessen legte sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen. "Nein, bist du nicht." Und mit diesen Worten küsste er mich erneut und ich war erleichtert darüber, dass er nicht wissen wollte, woher mir die Geschichte bekannt war. Er nahm es einfach hin. 

Irgendwann gingen wir zurück zu unseren Räumen, auch wenn der Ball noch lange nicht beendet war. Ich war müde und Raphael wusste, wir mussten morgen recht früh wieder zurück nach London. Wo Cora und die anderen warteten. Und wo hoffentlich noch kein erneuter Angriff stattfand. 

Vor meiner Tür blieben wir stehen. Raphael legte eine Hand an meine Wange und ich musste leicht lächeln. Sanft strich er mit dem Daumen drüber. "Bis später", sagte er ebenfalls lächelnd und ging dann zu seinem Raum. Ich sah ihm kurz nach, bevor ich die Tür öffnete, hineinging und sie wieder schloss. Was für ein verrückter Tag, dachte ich während ich mich umzog. Wir hatten uns gleich dreimal geküsst. Ich konnte es kaum abwarten, Cora davon zu erzählen.

* * *

Am nächsten Morgen wurde ich durch das Klopfen an der Tür geweckt. Müde stand ich auf und fuhr mir durch das Haar. Noch bevor ich zur Tür ging, sah ich auf die Uhr. Es war kurz nach sieben. Kein Wunder, dass ich noch nicht ausgeschlafen war. Gähnend ging ich zur Tür und öffnete diese. 

Dave grinste mich an. Wie konnte er schon so wach sein? Soweit ich wusste, war er länger auf dem Ball als Raphael und ich. Er drängelte sich an mir vorbei und setzte sich aufs Bett. Ungläubig sah ich ihn an. Er hatte mich jetzt nicht geweckt, damit wir quatschen konnten. 

"Was ist?", wollte ich wissen und trottete zum Bett zurück. Noch immer grinste er mich an. "Mir ist langweilig und da dachte ich, ich leiste dir Gesellschaft." Als ich mich setzte, bewarf ich ihn mit einem Kissen, weshalb er leicht lachen musste. "Zu früh?" Ich nickte und ließ mich nach hinten fallen. Doch nun war ich wach. Also konnten wir auch reden. 

Und genau das taten wir. Eine ganze Stunde lang. Er erzählte mir von seinem gestrigen Abend und wieso er noch so lange auf dem Ball war; Alkohol und Frauen. Nun war ich es, die lachte und dabei die Augen verdrehte. Am Ende war es ein gutes Gespräch. Ich erzählte ihm auch von Raphael und mir, was ihn lächeln ließ. 

"Ich hätte nie gedacht, dass ich für ihn eine menschliche Freundin akzeptieren würde", gab er zu und nun schmunzelte ich leicht. "Was hast du eigentlich gegen Menschen?", wollte ich wissen. Es war interessant, dass er meine Spezies eigentlich nicht mochte, aber auf Raphaels Seite kämpfte, der ihnen wieder mehr Rechte geben möchte. 

Zudem waren wir befreundet, was es noch kurioser machtet. "Die meisten von euch wollen uns zu ähnlich sein. Perfekt", antwortete er. Ich verdrehte die Augen. "Nicht einmal Engel sind perfekt", entgegnete ich. Und das mussten sie auch gar nicht. Ich mochte Raphael, Dave und Raziel wie sie sind. Unperfekt und fast menschlich im Verhalten. 

Doch vielleicht war es auch das, was ihn störte. Dass Engel immer als so viel besser galten, sie es aber trotzdem nicht sind. Schließlich hatten sie nun einen Krieg begonnen. Und das ist nicht, was Menschen von ihnen erwartet hatten. Früher dachte ich, durch den Rat würden sich alle Differenzen diplomatisch klären. Obwohl, damals glaubte ich auch die Lügen über Raphael. 

"Ich mag die meisten Menschen nicht. Du und Cora, ihr seid schon in Ordnung", gab er nun leicht grinsend zu. "Ach, nur in Ordnung, ja?", entgegnete ich und er lachte leicht. Diese Leichtigkeit mit ihm war wundervoll. Vielleicht mochte ich Dave ja deshalb. Mit ihm ließ es sich so einfach unbeschwert sein. 

Dann gingen wir zum Frühstück. Beide noch in Schlafsachen, doch vermutlich würde das niemanden stören. Wir waren die ersten am Tisch und sahen uns an. "Ich vermisse deinen morgendlichen Kaffee", gab Dave zu. Ich schmunzelte und nickte. Kaffee war jedoch nirgends zu sehen. Ich musste zugeben, unser Zuhause zu vermissen und konnte es kaum abwarten, wieder dort zu sein. 

Nach einiger Zeit gesellten sich nach und nach auch die anderen hinzu, bis schlussendlich Raphael und Uriel kamen. Raphael nahm neben mir Platz und schenkte mir sofort ein Lächeln, welches ich einfach erwidern musste. Es fiel mir schwer zu glauben, dass ich ein solches Glück hatte, doch dem war so.

Gemeinsam aßen wir alle. Doch Kaffee gab es noch immer nicht, also stieg ich auf Saft um. "Gabriel soll einen neuen General haben", begann Uriel irgendwann ein Gespräch und sah zu Raphael. Warum sah er ihn an? Kannte er diesen General etwa? Ich sah zu den anderen. Raziel schloss kurz die Augen, bevor er sich zurücklehnte. 

Sein Blick sagte mehr als tausend Worte; er wollte, dass Uriel den Mund hielt. "Und?", kam es von Raphael, der sein Müsli offensichtlich sehr genoss und keinen blassen Schimmer hatte, dass sein Bruder dieses Thema abwenden wollte. Doch Uriel beachtete Raziel nicht, sondern sah weiterhin zu Raphael. Mir gefiel das nicht.

"Ich möchte nur sichergehen, dass ich meine Soldaten nicht umsonst schicke und du kapitulierst", entgegnete er. Oh nein, ich hatte eine schlimme Vorahnung und sah zu Dave, der ähnlich wie Raziel sein Besteck weggelegt hatte. "Uriel, sei still", meinte er zu ihm. Und er sagte das in keinem sehr freundlichen Ton. 

Doch es war zu spät. Nun hatte er Raphaels volle Aufmerksamkeit. "Wer ist es?", wollte er wissen. Ein Wort, Uriel, ein Wort und unsere Freundschaft war die kürzeste der Weltgeschichte, dachte ich. Doch ihn kümmerte das wohl nicht, denn er antwortete einfach auf Raphaels Frage. "Freya." Ich würde ihn umbringen. Wieso tat er so etwas, wenn auch er die Geschichte der beiden kannte?

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