Kapitel 11

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Ich habe nie einen Krieg erlebt, doch in all meinen Büchern wird er als grausam bezeichnet. Tausende bis Millionen unschuldiger Toter. Und das war Krieg zwischen Menschen, der beschrieben wurde. 

In einem Buch von Gabriel stand auch etwas über den Krieg zwischen Menschen und Engeln. Es war klar, dass sie keine Chance gegen Krieger des Himmels hatten. Laut diesem Buch sei der Krieg so schnell wie möglich beendet worden. Nur wie blutig es wirklich war, wurde nicht ein einziges mal beschrieben. Natürlich nicht, die Sieger schrieben schließlich die Geschichtsbücher. 

Doch ich hatte die Erzählungen gehört. Das hatte jeder. Ich kannte keinen Menschen, der nicht wenigstens eine Geschichte gehört hat. Leider wissen nur die, die es erlebt haben, wie es wirklich war. Die Zeitzeugen existierten nicht mehr und die Menschen starben langsam aber sicher aus. 

Wenn bereits dieser Krieg so grausam war, wie in Geschichten beschrieben, wie würde erst einer zwischen Erzengeln aussehen? Sie waren die mächtigsten Kreaturen auf der Erde. Ihn würde nichts geschehen. Zivilisten - egal ob Mensch oder Engel - würden für sie sterben, bis eine Seite nachgab. 

Ich bis mir auf die Unterlippe und lief dann in die Küche. So etwas sollte ich mir aus zwei Gründen nicht anhören; es war Engelspolitik und es machte mir Angst. Cora zog ich mit. Auch sie musste sich das nicht mit anhören. 

In der Küche sah sie mich an. "Du weißt, was das bedeutet, oder?", wollte sie wissen. Am liebsten hätte ich ihr gesagt, wie sehr ich es wusste, doch es ging uns nichts an und vor allem wollte ich sie nicht verängstigen. 

"Nichts bedeutet das. Es gibt eine kleine Auseinandersetzung, das war's", entgegnete ich und begann für alle ein Omelett vorzubereiten. Das würde ihr heutiges Frühstück sein. Cora sprach das Thema kein weiteres mal an, auch wenn ich mir sicher war, dass sie das wollte. 

Wir deckten den Tisch wie jeden Morgen. Nichts war anders als sonst, außer dass der Rat der Engel heute tagen würde. Hier in der Stadt. Ob sie auch hierher kommen würden? Es wäre vermutlich schön, Gabriel wieder zu sehen, aber irgendwie wollte ich es auch nicht. 

Ein gähnender Dave kam ins Esszimmer und ich fragte ihn, ob er einen Kaffee haben wolle. Er nickte, begleitete mich jedoch mit in die Küche, wo Cora sich am Tresen abstützte. Ich schmiss die Kaffeemaschine an und drehte mich dann zu ihm um. 

"Ihr wisst, was heute los ist. Raphael ist an solchen Tagen immer schnell gereizt und er möchte keine Menschen sehen. Seid heute also so gut es geht unsichtbar. Sie tagen hier", erklärte er. Wäre es Malia gewesen, die es mir gesagt hätte, dann wäre sicher kein entschuldigender Unterton zu hören gewesen. 

Ich nickte, doch innerlich fragte ich mich, wie genau wir uns unsichtbar machen sollten. Wir konnten einfach in unsere Zimmer bleiben, aber dann würde uns langweilig werden, denn schließlich war der Tag lang. 

Als die Kaffeemaschine fertig war, reichte ich Dave seinen Kaffee, welchen er dankend annahm. Doch er machte keine Anstalten, die Küche zu verlassen.

"Musst du dich auch raushalten?", wollte Cora neugierig wissen. Sie konnte von Glück reden, dass es Dave war, der vor ihr stand und nicht irgendein anderer Engel. Auch ich blickte gespannt zu ihm. 

Dave trank einen Schluck und schüttelte dann den Kopf. "Zum einen bin ich ein Engel und zum anderen eine Wache. Wachen dürfen sich weiterhin im Haus aufhalten", antwortete er. Dass er bleiben durfte, damit hatte ich fast gerechnet. Aber seine Begründung überraschte mich. 

An Tagen wie diesen war er wohl nicht Raphaels Freund, sondern einfach nur seine Wache. Doch er schien locker damit umzugehen. Scheinbar musste er an solchen Veranstaltungen bereits öfter zurückstecken. 

Ich füllte mir ein Glas mit Wasser und sah wieder zu ihm. "Er wird dir dennoch sagen, was besprochen wurde, habe ich recht?" Ein leichtes Grinsen bildete sich auf Daves Lippen und er nickte. 

"Du kennst die Geschichte doch bereits, Citiana", entgegnete er. Ja, das tat ich. Oft hatte er schon erwähnt, dass sie zusammen aufgewachsen seien und das schien sie zusammengeschweißt zu haben. 

Als er dann zusammen mit den anderen aß, räumten wir solange etwas auf. Für später musste alles ordentlich und sauber aussehen. An so einem Tag war das selbstverständlich. Und nachdem alle aufgegessen hatten, konnten wir uns auch dem Esszimmer widmen. 

Ich verließ den Raum, um einen Mopp zu holen, als ich gegen jemanden lief. Zu aller erst hoffte ich, dass es sich nicht um Raziel oder Malia handelte. Als ich aufsah konnte ich erleichternd feststellen, dass es Raphael war. 

Erst da wurde mir bewusst, dass Dave sagte, an Tagen wie heute sei er leichter reizbar. Schnell wich ich einen Schritt zurück und entschuldigte mich. Nervös kaute ich auf der Unterlippe. Seine Hand legte sich unter mein Kinn und hob dieses etwas an. 

"Hör auf damit", sagte er. Diese Aussage verwunderte mich. Womit sollte ich aufhören? Ging ich ihm bereits auf die Nerven? All diese Gedanken machten mich nur noch nervöser. 

"Hör auf Angst vor mir zu haben. Von allen hier musst du mich am wenigsten fürchten." Mit diesem Satz ging er an mir vorbei und ließ mich nur noch verwirrter zurück. Ich sah ihm nach und wurde aus seinen Worten nicht schlau. Ich müsse ihn nicht fürchten. Er würde mir nichts tun. 

Kopfschüttelnd machte ich mich wieder an die Arbeit. Vermutlich meinte er das gar nicht so. Er war gestresst, heute war ein wichtiger Tag. Jedenfalls klang es vorhin noch so. Es dauerte nicht allzu lange und wir hatten die wichtigsten Zimmer auf Hochglanz poliert. 

Unsere einzige Aufgabe würde heute Abend das Dinner sein, welches wir vorbereiten mussten. Und dafür würde ich erneut einkaufen müssen. Ich wartete an der Eingangstür auf Dave, mit dem ich dann gemeinsam zu dem Auto ging. Neben ihm stieg ich ein. 

Während der Autofahrt und dem Einkaufen schwiegen wir. Im Auto, weil ich nicht wusste, worüber man reden konnte und im Einkaufszentrum, weil er vermutlich nicht gesehen werden wollte, wie er mit einem Menschen eine normale Unterhaltung führte. 

Doch dieses mal trug er von Anfang an die schweren Tüten. Ich öffnete ihm den Kofferraum des Wagens und als alles eingepackt war, stiegen wir wieder ein. Dave startete den Wagen und fuhr los.

"Normalerweise werden die Diener und Sklaven an solchen Tagen verliehen, damit sie niemanden stören", sagte Dave und eröffnete somit ein Gespräch. Also würden wir vermutlich doch keine Pause haben. Außerdem klang es so, als würden die anderen Erzengel nicht nur heute bleiben. 

"Aber Raphael möchte, dass du in deinem Zimmer bleibst und dich ausruhst", fuhr er fort. "Also hast du heute Gesellschaft von mir. Denn sonst würde ich mich zu Tode langweilen." Kurz musste ich grinsen, bis mir klar wurde, dass er nur von mir sprach. 

Ich sah zu ihm. "Uns, du wirst uns Gesellschaft leisten", entgegnete ich. Als Dave den Mund aufmachte, vermutlich um meine Worte zu verneinen, sprach ich gleich weiter. "Sag Raphael, dass ich nur bleibe, wenn auch Cora und Skylar bleiben." Ich würde sie nicht alleine gehen lassen, auch wenn es nur für ein-zwei Tage war. 

Dave seufzte, als hätte er das geahnt. "Für sie wurde aber schon bezahlt", meinte er. Er klang tatsächlich, als würde es ihm leidtun. Das war mir egal. Gehen sie, würde auch ich gehen. 

"Dann wird er für mich auch noch jemanden finden", sagte ich stur und verschränkte die Arme. Wenn nicht, dann würde ich eine der beiden begleiten. Auch wenn ich zu Cora tendiere, weil sie meine beste Freundin ist, wäre es vermutlich Skylar. 

Cora konnte sich wehren, wenn sie es wollte. Skylar hingegen nicht. Sie brauchte jemanden, der auf sie acht gab, damit die Engel sie nicht wie Dreck behandelten. Den restlichen Weg schwiegen wir und ich hoffte, dass Dave mit Raphael sprach. 

* * * 

Es war kurz vor 17 Uhr und bald würden die anderen Erzengel kommen. Ich hatte meinen Zopf gelöst und trug die Haare offen. Außerdem hatte ich mir über mein Kleid einen Pullover gezogen, da mir kalt war und ich eigentlich nichts mehr zutun hatte, außer aber Raphael kam meiner Bitte nicht nach. 

Es klopfte an der Zimmertür. Da Cora gerade unter der Dusche war, öffnete ich die Tür. Zu meinem Verwundern handelte es sich um Raphael. "Wir müssen dringend reden." Er klang nicht wie vorhin. Dieses mal wirkte er streng und ich hatte die Befürchtung, dass es um die Dinge ging, um die ich Dave gebeten hatte. 

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