4 | Predigten und Strafen

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• NF - Therapy Session •  

Er beugt sich über die Mittelkonsole und reißt die Tür wütend auf. Dass er sauer auf mich ist, wusste ich schon, denn sein Gebrüll im Hintergrund war nicht zu überhören, als ich meine Mutter angerufen und sie darum gebeten habe, mich abzuholen. Mein Vater war schon immer übervorsichtig und fürsorglich und meistens ist er ausgerastet ohne Grund, aber dieses Mal hat er wohl allen Grund dazu, sauer auf mich zu sein. Immerhin habe ich ihn angelogen. Seine minderjährige Tochter hat sich aus dem Haus geschlichen, ist auf eine Party gegangen, auf der nur Studenten waren, die alle älter als sie selbst sind, hat sich volllaufen lassen und sich beinahe entjungfern lassen, von einem Typen, den sie nicht kennt. Wobei er letzteres nun wirklich nicht erfahren muss. Das bleibt lieber mein Geheimnis.

»Dad, hör zu, bevor du mich anschreien willst, will ich dir nur sagen, dass ich dich verdammt lieb habe«, murmele ich und setze mich zitternd neben ihn in dem Beifahrersitz. Mir ist plötzlich ganz kalt, als ich neben meinem Vater sitze, der mich keines Blickes würdigt. Oh Gott, er ist verdammt wütend.

Loreen reißt kichernd die Hintertür auf und lässt sich auf die Rückbank fallen, bevor sie meinen Vater begrüßt. »Guten Morgen, Mr. W. Na, alles fit im Schritt?«

Ich sehe meinen Vater an, der bloß genervt die Augen verdreht und losfährt. Er geht gar nicht auf die betrunkene Loreen ein, die sich inzwischen auf die Rückbank gelegt hat. Ob sie nur schläft oder tot ist, werden wir wohl erst erfahren, wenn wir sie mach Hause gebracht haben. Aber eins ist klar, wenn wir ihren Eltern erklären, wo wir beide heute waren, ist sie definitiv tot. Und ich bin es sowieso.

Vermutlich ist es nicht die beste Idee gewesen, meinen Vater zu bitten, uns abzuholen, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen. Ich bin panisch durch das Studentenheim gerannt und habe nach dem Raum gesucht, wo die Party stattgefunden hat, immer die Angst, dass der Typ, den ich vorhin einfach sitzen lassen habe, mich verfolgt. Aber ich habe ihn nicht noch einmal gesehen.

Ich habe Loreen auf dem Sofa neben irgendeinem gutaussehenden Studenten gesehen, der kaum älter als Mitte zwanzig sein kann, habe mich kurz bei ihm entschuldigt und sie dann einfach von ihm weggezerrt. Und während ich sie hinter mich her auf die Straße und damit zur nächsten Bushaltestelle gezogen habe, ist mir aufgefallen, dass um diese Zeit keine Busse mehr fahren und musste am Ende also meine Eltern anrufen und ihnen erklären, wo ich bin.

Sie sind davon ausgegangen, dass ich die Nacht über bei Loreen verbringe, weil ich ihnen genau diese Lüge erzählt habe, während Loreen ihren Eltern erzählt hat, dass sie bei mir übernachtet. Vermutlich wäre alles gut gegangen und wir wären nie aufgeflogen, wenn ich den Mund gehalten hätte, wenn ich bei diesem Fremden geblieben wäre, aber das konnte ich unmöglich machen.

Nur jetzt, wo ich neben meinem wütenden und zugleich enttäuschten Vater sitze, wünschte ich mir irgendwie, es doch getan zu haben. Das hätte Loreen und mir einigen Ärger erspart. Und wer weiß, vielleicht war meine plötzliche Panik völlig grundlos. Vielleicht wäre es schön geworden. Wir hätten uns geliebt und vielleicht wäre mehr aus uns geworden und ich hätte ihn meinen Eltern vorgestellt. Bestimmt würden sie ihn auf der Stelle lieben.

»Bist du...bist du sauer?«, frage ich vorsichtig, ziehe mir meine dünne Strickjacke fester über den Oberkörper, als ich unkontrollierbar zu zittern anfange. Es ist auf einmal so kalt geworden.

Mein Vater schnaubt und schlägt wütend aufs Armaturenbrett. Er war schon immer aufbrausend, aber er macht sich nun mal Sorgen um mich und das verstehe ich. »Was glaubst du denn?«, fragt er und geht sich durch sein braunes Haar. Ich hätte gerne geglaubt, dass er nicht sauer ist.

BadassWhere stories live. Discover now