Entweder sie ignorierte tatsächlich meinen abschätzigen Tonfall oder sie entsprach dem Klischee einer Blondine und kapierte es einfach nicht.

„Weil du hier ganz allein rumstehst", antwortete sie sachlich.

„Ja. Damit sprichst du eine Tatsache aus, die mir ohne deine Hilfe nie aufgefallen wäre", ich kniff die Augen zusammen.

„Keine Ursache, habe ich gern gemacht", sie sah mich an und lächelte.

Ich konnte mir nicht einmal im Entferntesten ausmalen, was dieses Mädchen jetzt genau von mir wollte. War meine unfreundliche Art denn nicht genug, dass sie mich in Ruhe ließ?

„Also kommst du jetzt? Oder ist es dir lieber, hier mutterseelenallein rumzustehen und fremde Leute anzupöbeln, die es nur gut mit dir meinen?"

Ich spürte, wie sich meine Muskeln anspannten, wie sich meine Mine verhärtete und wie ich mich mit aller Mühe davon abhalten musste, sie nicht laut anzuschreien. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Wenn dieses dämliche Mädchen nur wüsste, warum ich niemanden an mich heranließ. Wenn sie nur wüsste, dass sie mit jedem weiteren Wort, das sie jetzt aussprach den Vertrag für ein blaues Auge unterschrieb.

Aber sie sagte nichts mehr. Sie blickte mich noch einmal an und dann drehte sie sich um und wackelte davon. Und ich gab ihr nicht die Genugtuung, dass ich ihr hinterherblickte. Denn dazu hatte ich auch gar keine Zeit. Denn jetzt stand ein anderes, kleines, weibliches Wesen vor mir.

Sie war vielleicht Mitte Fünfzig und nur wenig größer als ich. Sie trug einen langen, dunkelgrünen Mantel und sprach mit leiser, ruhiger Stimme.

„Könntest du mir bitte folgen, Alice?", fragte sie freundlich und drehte sich um, ohne miene Antwort abzuwarten. Es war auch keine Frage, auf die man mit einem Nein antworten konnte. Es war eine Anweisung. Mir blieb also nichts anderes übrig und obwohl ich nicht wusste, wer diese Dame war, zeugte ihr autoritäres Auftreten schon davon, dass sie eine wichtige Persönlichkeit sein musste.

Sie leitete mich quer über das Deck zu einer kleinen, hölzernen Treppe, die ins Schiffsinnere führte. Ich folgte ihr mehrere Treppenabsätze nach unten, bis sie vor einer Tür stehen blieb. Im Raum dahinter befand sich ein eleganter, hölzerner Schreibtisch, die Wände waren mit Bücherregalen gesäumt. Außerdem gab es eine kleine Sitzecke, zu der sie mich führte und mich dazu aufforderte, mich in einen der Sessel zu setzen. Ich folge der Anweisung mit Vergnügen, denn der Sessel war weich und gemütlich und ich genoss jede Sekunde in dem luxuriösen Stuhl.

Sie lächelte mich warm an, bevor sie anfing zu sprechen.

„Alice. Ich bin Hella Lowburgh. Schön dich endlich kennenzulernen"

Normalerweise merkte ich mir keine Namen, aber dieser Name war tief in mein Gehirn eingebrannt. So wie alles andere, was in dem Brief stand. Vor mir hatte ich die Rektorin der School of Elements.

Ich nickte nur knapp. Ich wusste noch immer nicht, was ich denken oder sagen sollte.

„Ich bin dir einige Erklärungen schuldig", seufzte die Schulleiterin. „Ich will mir gar nicht ausmalen, was du in der letzten Zeit durchmachen musstest"

Sie legte das Gesicht in die Hände, als würde sie es sich selbst zuschreiben, was mit mir passiert ist.

Mein Herz machte aber aufgeregte Hüpfer. Würde ich jetzt endlich die Antworten bekommen, die ich so dringend haben wollte?

„Also Alice, ich glaube ich werde einfach ganz von vorne anfangen", erklärte sie und lehnte sich zurück. „Die Menschheit lebt seit Jahrhunderten in dem Glauben, dass es Unwetter gibt, weil irgendein Gott zornig ist. Die Griechen und die Römer denken sich für alles, was sie sich nicht erklären können sogar einen eigenen Gott aus. Andere denken, dass es einfach die Natur sei, die gerade verrücktspielt. Die Menschen haben in all den Jahren viele Erklärungen gesucht, warum solche Dinge geschehen und doch sind sie sich immer noch nicht einig. Sie suchen nach der Wahrheit und jeder ist von seiner Religion, seinem Glauben am meisten überzeugt. Sie sind sich sicher, dass ihre Erklärung für die unerklärbaren Dinge die Richtige ist und versuchen sich gegenseitig davon zu überzeugen. Doch die Wahrheit ist", sie machte eine bedeutungsvolle Pause und lehnte sich nach vorne, fesselte mich mit ihrem Blick. „Die Wahrheit ist, dass keiner von ihnen Recht hat. Es gibt Stürme und Tsunamis, Waldbrände und Erdbeben nicht, weil eine Gottheit schlecht drauf ist. Es ist das Werk von uns, Alice. Es ist das Werk von den wenigen Menschen, die die Gabe haben, die Elemente zu beherrschen."

Ich dachte einen Moment über ihre Worte nach, runzelte dann die Stirn. „Wie soll das funktionieren?", fragte ich und setzte mich auf.

„Es ist ziemlich kompliziert und nichts, womit du dich jetzt schon auseinandersetzen musst", sie lächelte. Ein warmes Lächeln, das mich von Innen wärmte. "Du musst erst einmal lernen, wie du mit dem Wasser, deinem Element, deiner Gabe zurechtkommst"

Ich nickte langsam und lehnte mich wieder in die weichen Polster zurück.

„Die Gabe, ein Element zu zügeln, wird vererbt. Das heißt also, die Kinder, die dann irgendwann auch auf unsere Schule gehen, die wachsen schon damit auf. Sie sind es seit ihrer Kindheit gewohnt, dass ihre Mom auf ihrer Hand ein Gänseblümchen wachsen lassen kann, oder dass ihr Vater mit Wasserbällen wirft", sie sah mich schief an.

Es heißt, dass meine Eltern auch auf dieser Schule waren. Das heißt, dass meine Eltern auch diese Gabe hatten. Sie konnten auch ein Element beherrschen. Es machte mich irgendwie glücklich, dass ich jetzt mehr über sie wusste. Dass ich jetzt irgendwas über sie wusste.

„Nur du bist nicht bei deinen Eltern aufgewachsen", sagte sie langsam und deutete auf die Decke. „All die Kinder da oben, die wissen, was sie erwartet, sie haben auf unseren Brief gewartet, sie haben von ihren Eltern erfahren, wie es auf unserer Schule ist. All diese Jugendlichen, die wussten, wie sie ihre Gabe in den Griff bekommen, wenn sie das erste Mal ausbricht. Nur du wusstest es nicht und warst auf dich allein gestellt, als sich deine Gabe an deinem Geburtstag bemerkbar gemacht hat. Du hättest jemanden gebraucht, der dir erklärt, wie du damit umgehst, aber diesen jemanden hattest du nicht. Du hast komplett allein mit deiner Gabe zurechtkommen müssen.". Sie schluchzte. „Ich will mir gar nicht vorstellen, wie schlimm es für dich gewesen sein muss. Es tut mir sehr leid, Alice"

Ich sah die freundliche Frau vor mir an. Ihre hellbraunen Haare waren von grauen Strähnen durchzogen und sie hatte kleine Lachfältchen um die Augen, die eine warme, braune Farbe hatten. Obwohl ihr Äußeres auf eine ältere Dame schließen ließ, waren ihre Augen und ihre Stimme noch so hell und voller Energie, als wäre sie erst Mitte zwanzig. Sie war sehr sympathisch und ich war selbst von mir überrascht, dass ich sie so nah an mich ranließ. Normalerweise verschloss ich mich vor Fremden sofort, aber ihre Aura verleitete mich fast dazu, ihr mein Herz auszuschütten. Und es kam mir vor... als würde sie sich kümmern. Als würde sie sich interessieren. Als wäre ich nicht egal. Und das machte mich glücklich.

„Es ist ja nicht Ihre Schuld", sagte ich und zuckte mit den Schultern. „Ich hab es ja auf die Reihe bekommen. Irgendwie "

Sie antwortete zuerst nicht, sah mich nur durchdringend an und schüttelte schließlich langsam den Kopf. „Du sollst wissen, dass du jetzt nicht mehr auf dich allein gestellt bist. Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du Fragen hast. Immerhin weißt du noch überhaupt nichts von unserer Welt", sie machte eine ausladende Geste und legte anschließend ihre kleine Hand auf mein Knie.

„Danke", flüsterte ich.


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