45 - Wie man in Erinnerungen fällt.

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"Hi", sagt Elias und die kleine Emma durchfährt ein kurzer Stich. Ich wollte Elias nicht teilen müssen.

"Hi. Ich bin Sebastian." Der Junge kommt langsam näher und mustert und neugierig.

"Das ist Emma", Elias deutet auf mich und anschließend auf sich, "und ich bin Elias. Wir wollen uns Treibholz suchen um daraus Schwerter zu basteln. Magst du mitmachen?"

Ich weiß, dass ich nicht wollte, dass Basti mitspielt. Weil ich Angst hatte, dass Elias mich fallen lässt, weil Basti viel cooler war als ich. Aber er hat mich nicht fallen gelassen. Er hat mich niemals fallen gelassen. Ich war es, die ihn fallen gelassen hat, als ich nach Berlin gezogen bin.


Das Bild verändert sich. Es schneit. Dicke weiße Flocken fallen vom Himmel und bedecken den Garten mit einer weißen Puderzuckerschicht. Und wir drei sitzen in dicken Decken gewickelt auf meinem Vordach, eine Flasche Vodka teilend. Wir flüstern, weil wir die Nachbarn nicht auf uns aufmerksam machen wollen. Und unsere Gespräche sollte niemand mitbekommen. Ich erinnere mich an den Abend, weil ich mich langsam in Basti verliebte. Und doch liegt mein Blick jetzt nur auf Elias. Wie er lacht. Wie seine Augen im Schein der Straßenlaterne funkeln. Wie sich unsere Hände berühren und ich aber doch nur Augen für Basti habe. Damals hatte ich nur Augen für Basti. Aber jetzt spüre ich jede Berührung mit Elias.

Ich spüre jede einzelne Berührung. Unsere Knie, unsere Schultern, die sich berühren, wenn wir leise lachen. Unsere Hände, die sich berühren, wenn er mir die Flasche Alkohol reicht. Auch wenn mein Herz damals Basti gehörte, so merke ich, dass ich näher bei Elias sitze und nicht bei Sebastian. Als hätte ich schon damals gewusst, dass Elias mein Fels in der Brandung ist. Als hätte ich es gewusst, aber nicht wirklich wahrgenommen. Du warst einfach so blind.

"Emma?" Bastis Stimme versetzt meinem Teenager-Ich einen schnellen Herzschlag.

Ich sehe Basti fragend an und weiß, was kommt.

"Wahrheit oder Pflicht?" Seine blauen Augen funkeln und sehen mich wach an.

Mein Teenager-Ich rollt mit den Augen und antwortet: "Wahrheit."

"Gut. Wem würdest du dein Leben anvertrauen?" Er versucht, den Aufkleber der Flasche abzukratzen und erzeugt dabei ein komisches Geräusch.

"Elias."

Ich weiß, dass die Antwort wie aus der Pistole geschossen kam. Ohne, dass ich überlegen musste. Auch heute sehe ich es immer noch so. Und ich weiß im Gegenzug dazu, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun würde, um Elias zu beschützen. Und mir wird bewusst, dass er es schon immer war. Ich brauche ihn. Ich brauche ihn in meinem Leben. Er war immer Teil meines Lebens. Und die Vorstellung, ohne ihn zu sein, bricht mir das Herz.


Ich sehe Elias an und er lächelt. Es ist ein warmes Lächeln. Du warst so blind. Ständig hast du dich nach Basti verzehrt, aber dein Glück saß immer rechts neben dir auf diesem Dach. Ich greife nach der plötzlich leeren Flasche und drehe sie zwischen unseren Beinen. Emma. Du solltest nicht hier sein. Du fällst in Erinnerungen und ertrinkst darin. Irgendetwas stimmt hier nicht. Wach auf. Wach auf. Wach auf. 

Die Flasche dreht sich und bildet einen wilden Strudel aus bunten Farben, der mich in sich hineinzieht und mich um die eigene Achse drehen lässt. Er spuckt mich aus und ich weiß sofort wo ich bin. Was für ein Tag ist. Ich weiß es, so wie ich Elias' Gesicht sehe. Die Arme meines Teenager-Ichs werden schwer ob der Bücherkiste, die ich trage und ich stelle sie heftiger ab, als eigentlich gewollt. Es ist der Tag meines Umzugs. Elias lächelt, aber seine Augen sprechen Bände. Du warst so blind. Ich habe ihm an diesem Tag das Herz gebrochen. Und ich habe es nicht einmal gemerkt. So blind.

Some of us are human | ✓Where stories live. Discover now