22 - Wie man mit Blau malt.

2.9K 261 244
                                    

✦ Brolly - They Run, They Hide ✦


Es ist das erste Mal, dass er mir gegenüber die Hand erhebt. Geschüttelt hat er mich seit dem Vorfall am Fluss schon öfter. Und oft habe ich blaue Flecken am Arm. Wie auch momentan. Und nur aus diesem Grund verstecke ich meine Arme in einem Pulli der mir viel zu warm ist. Der Pulli liegt nun auf dem Boden und verschwindet zwischen dem Rest der Klamotten, die Malte mir vom Körper gerissen hat.

Er erhebt die Hand gegen mich. Und ich dulde es. Ich weine nicht. Ich bin still. Ich ertrage es. Einfach so. Als wäre ich eine stumme Puppe. Und in diesem Moment bin ich das auch.
Sein anderer Arm drückt meinen Unterarm fest auf das Bett. Er hält mich fest, als würde er mich vor dem flüchten hindern wollen. Das werden schöne Blutergüsse. An etwas anderes kann ich nicht denken. Mein Kopf ist wie leergefegt. Der Schock ist zu tief. Er bestraft mich für etwas, das sich Freundschaft nennt. Und alles, was ich tun kann, ist es zu ertragen. Ich bin blind und sehe nichts mehr. Meine Lungen füllen sich nicht mehr mit Luft. Und wenn sie es tun, dann habe ich das Gefühl daran zu ersticken.

Als Malte fertig ist, rollt er sich von mir runter und steht auf. Sein Blick ist wütend und gleichzeitig verletzt. Enttäuscht, Emma. Er ist von dir enttäuscht. Wie kann es auch anders sein. Ständig verletzt du Menschen um dich rum. Er hat dich um eine Sache gebeten. Und was machst du? Du tust genau das was er nicht will. Du widersetzt dich ihm. Und du hast diese Ohrfeige und die blauen Flecken regelrecht verdient.

"Ich gehe duschen. In der Zwischenzeit kannst du dir ja darüber klar werden, wie sehr du mich verletzt hast. Gott, du tust mir mit deinem Verhalten so weh." Maltes Augen sehen nicht mehr aus wie der Frühling. Sie erinnern mich an einen Sumpf. Er zieht mich immer tiefer in die Isolation.

Er schüttelt den Kopf und geht ins Bad. Kurz darauf höre ich das Wasser rauschen. Ich ziehe mich an und sitze erstarrt auf dem Bett. Sein Teppichboden ist voller Flecken. Auf dem Boden steht ein Aschenbecher, die Zigaretten liegen daneben. An den Wänden hängen Poster auf denen Autos und Fußballer abgebildet sind. Keinen davon kenne ich. Mein Gehirn ist leer, wie eine Stadt nach einem Hurrikan. Ich bin starr wie eine Salzsäule und kann mich nicht rühren. Aber ich zwinge meine Finger dazu, sich einen Weg auf der zerknüllten Bettdecke zu suchen, bevor sie meine verknoteten Haare entwirren. Es ziept, aber das ist okay. Der Schmerz lässt mich kurz etwas fühlen.

Kurz leuchtet eine Idee in meinem Kopf auf. Du könntest dieses Leben jederzeit beenden, Emma. Mach es wie dieser Mann und gebe dich den Strömungen des Inns hin.
Aber ich schüttle den Kopf. Nein. Selbstmord war noch nie wirklich eine Möglichkeit für mich. Ich möchte nicht den Freitod wählen, auch wenn ich schon oft darüber nachgedacht habe. Doch den letzten Schritt könnte ich nie gehen. Und ich könnte nie erleben, ob und wann mein Leben besser wird.

Mein Handy klingelt, es ist Papa. Kurz überlege ich, ihn wegzudrücken, aber die Vernunft gewinnt. Wenigstens einmal. Wow.

"Emma, ist alles in Ordnung bei dir?" Er klingt besorgt, sein Besorgnis greift mit langen Krallen nach mir, bohrt sich in mein Herz. Schon allein Papa könnte ich es nicht antun, mich von diese Welt zu verabschieden.
Und eine kleine Stimme in mir sagt, dass vielleicht auch Basti und Elias ein bisschen traurig wären.
Ich bin immer noch wie erstarrt und weiß nicht, was ich sagen soll. Ich habe Angst, dass Papa hört was passiert ist, ohne, dass ich etwas sagen muss.

"Emma? Kommst du nach Hause? Ich mache mir Sorgen. Und ich brauche deine Hilfe."

"Es ist alles okay, Papa. Ich mache mich gleich auf den Weg." Alle Kraft lege ich in diese Worte und hoffe, dass er nichts merkt.

Some of us are human | ✓Where stories live. Discover now