18 - Wie man gefangen wird.

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✦ Arid - Little Things of Venom ✦


Nach der Schule steht Malte, wie gewohnt, an der Treppe und tippt auf seinem Handy herum. Ich kann mich kaum überwinden, um auf ihn zuzugehen. Warum sagst du nur immer 'ja', Emma? Das kotzt  mich an, verdammt.

Mein Blick huscht suchend über das Schulgelände, denn von der Treppe aus hat man einen wunderbaren Blick über die Schüler, die sich auf dem Areal tummeln. Doch ich finde Elias und Anna nicht. Und ich gleichen Moment ärgere ich mich über mich selbst. Warum interessiert es dich, Emma? Es ist Elias' Sache. Es ist auch sein Herz, das zerspringt, weil er ihr so schnell verzeiht. Wer weiß, was sie sonst noch alles so macht? Meine Vernunftsstimme schaltet sich ein. Es war sicherlich nur ein Ausrutscher, sie hat getrunken. Und im Endeffekt bist du Schuld, Emma. Hätte Elias dich nicht nach Hause bringen müssen, dann wäre das nicht passiert. Hätte, wäre, wenn, Emma.


Ich schnaube, rolle mit den Augen und verziehe den Mund. Mama hätte bestimmt einen guten Rat für dich, Emma. Sie wüsste, was du zu tun hättest. Ach Mann, Mama. Ich vermiss' dich so.

Malte tippt immer noch auf seinem Handy herum und ich könnte die Möglichkeit nutzen und mich an ihm vorbeischleichen. Aber das traue ich mich nicht und so gehe ich langsam die Treppe hinunter. Als ich vor ihm stehe, sieht Malte kurz auf.


"Ach, da bist du ja endlich. Wir haben seit zehn Minuten aus, die Schnellste bist du also nicht." Sein Satz überfährt mich wie eine Walze den Boden, den sie plattmachen muss. Ich bin zu perplex als dass ich schlagfertig antworten kann.


"Ähm." Das ist alles, was ich herausbringe. Malte verzieht den Mund zu einem schiefen Grinsen und zieht die Augenbrauen hoch. Er tippt weiterhin auf seinem Handy herum und ich stehe nur neben ihm. Plötzlich geht er los und legt mit seinen langen Beinen ein Tempo vor, bei dem ich nicht mithalten kann.


"Komm schon, Emma. Gott, sei nicht so langsam, ich würde heute gerne noch einen Kaffee trinken. Bei dem Tempo kommen wir erst in zwei Stunden an." Er lacht, als fände er sich selbst urkomisch. Ist er nicht. Er bleibt stehen und wartet auf mich.


"War nur ein Scherz, tut mir leid. Irgendwie ist heute nicht so mein Tag. Kaffeetrinken mit der schönsten Frau der Welt dürfte meinen Tag retten." Seine grünen Augen funkeln und geben mir das Gefühl, heute wirklich der einzige Grund zu sein, der ihm den Tag rettet. Also versuche ich mich an einem Lächeln. Er legt kurz einen Arm um meine Schulter und langsam fange ich an, mich an die Nähe zu ihm zu gewöhnen. Auch, wenn sich die Arme eher wie zwei Seile im Wind anfühlen als dass ich mich in ihnen sicher fühle. Malte ist zwar groß, aber er ist eher schlaksig und seine Arme dementsprechend dünn. Wobei sie im Moment von seiner Winterjacke gestärkt werden, wodurch sie etwas dicker aussehen. Mensch, Emma. Was hast du nur schon wieder für bescheuerte Gedanken?


Wir gehen zügig in die Innenstadt und, wie erwartet, ins Central, das durch seine Innenhoflage immer etwas italienisches hat. Fernweh. Dieses Jahr wollten Mama und ich eigentlich ans Meer. Ach, Mama. Du fehlst mir so.


Im Café ist es voll, warm und es riecht nach Kaffee und Essen. Wir suchen uns einen Tisch in der Nähe der Bar. Malte wird wieder von einigen Menschen an den anderen Tischen begrüßt und ich stehe dumm daneben, winke und lächle zur Begrüßung. Malte stellt mir alle vor, doch ich merke mir keinen Namen und kein einziges Gesicht. Ich komme mir vor wie in einem Meer aus Gesichtern, dem Untergang geweiht, keines davon sieht mich direkt an und ist mein Rettungsboot. Malte ist der Anker, der mich nicht loslässt, sondern im Meer der Gesichtslosen gefangen hält.

Some of us are human | ✓Where stories live. Discover now