09 - Wie man Mauern einreißt.

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✦ Forget Gravity - Fires at Night ✦


Die Tatsache, dass ich diese Neuigkeit nicht meiner Mutter erzählen kann, bricht mir das Herz. Als Papa die Türe aufschließt, möchte ich mich am liebsten unter mein Bett verkriechen; mich dort verstecken, als wäre ich dort sicher. 


Aber dort bin ich nicht sicher. Wenn man der Realität in diesem Ausmaß ins Gesicht blickt, dann holt sie einen heim. Auch, wenn man sich verkriecht. Die Monster sind zwar nicht mehr unter dem Bett, dafür aber inzwischen in meinem Kopf.


Elias weigert sich, ins Krankenhaus zu fahren. Papa versorgt seine Wunde und ich stehe unschlüssig an der Türe. Elias fängt meinen Blick auf und lächelt. Ich versuche, sein Lächeln zu erwidern. Der Schock sitzt mir noch zu tief in den Knochen. Ich möchte mich betrinken. Ich möchte den Schock ertrinken lassen, bis nichts mehr von ihm übrig ist. Ich möchte ihm die Luft zum Atmen nehmen.


Papas Getränkebar ist leer, wie ich erschrocken feststelle. Leer wie dein Herz im Moment, Emma. Dass du auch immer so mit den Metaphern um dich werfen musst. Peinlich ist das.


Elias ist fertig und steht plötzlich hinter mir.


"Ich könnte einen Drink gebrauchen" seine Stimme durchdringt meine Gedanken und ich drehe mich zu ihm um. Er hat ein Pflaster an der Stelle, an der ihn Florian getroffen hat. Er ist ein bisschen blass um die Nase.


"Dann müssen wir wohl noch kurz zur Tankstelle, denn Papa hat alle Vorräte leergetrunken!" rufe ich in das Zimmer. So laut, dass Papa es auch hören kann. Meine Worte werden von einem kalten Luftzug durch den Raum getragen, da das Fenster offen steht.


"Irgendwie muss ich ja den Frust über die letzten Fußballspiele verdrängen", sagt Papa lachend.


Mit den Augen rollend zeige ich auf die Haustüre und Elias nickt. Also ziehen wir noch einmal los, zur Tankstelle. Während wir gehen, schweigen wir. Aber es ist kein unangenehmes Schweigen. Schweigen war mit Elias noch nie unangenehm. Es hat wieder angefangen zu schneien und Schneeflocken tanzen am dunklen Nachthimmel. Die Flocken sind so groß wie Golfbälle, aber nicht annähernd so hart. Sie sind zart, weich, zerbrechlich. Manchmal wünsche ich mir, genauso zu sein.


Die Tankstelle ist hell beleuchtet und es stehen zwei Fahrzeuge vor den Zapfsäulen. Wir schleichen durch die Gänge und können uns nicht entscheiden. Elias bleibt vor dem Bier stehen und ich gehe weiter. Bier. Nein, danke. Also schlendere ich zum Wein. Die Fliesen der Tankstelle sind verfärbt von all den Schuhen der Kunden, sie waren vermutlich einmal weiß.


Ich stehe in der Schlange vor der Kasse, bewaffnet mit zwei Flaschen Wein und einer Flasche Korn, als ich meinen Namen höre. Ich drehe mich um und sehe in zwei grüne Augen. Grün wie Blätter der Bäume im Frühling.


"Hi, Emma. Kennst du mich noch?"


Scheinbar sehe ich mehr als verwirrt aus, denn er setzt gerade zu einer Erklärung an. Aber Elias kommt ihm zuvor.


"Malte! Hey, wie geht's dir, Mann?" und sie vollführen diese eigenartige Begrüßung, wie sie nur Männer drauf haben.

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