23 - Wie man die Augen öffnet.

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✦ alt-J - Breezeblocks ✦


"Kannst du eigentlich irgendwas?" Malte sieht mich wütend an. "Herrgott, warum bist du nur so dumm? Du weißt, wie wichtig mir das war, verdammt. Und jetzt ist der Kuchen für meine Mutter schwarz statt goldbraun. Ach verdammt, Emma. Wegen dir ist meine Laune jetzt wieder im Keller. Wie immer. Was soll ich meiner Mutter denn jetzt mitbringen?"Seine Stimme tropft vor Hass und Wut. Die Tropfen fallen auf den Küchenboden und bilden dort eine Pfütze aus Emotionen, die mir wehtun.

"Aber ich habe dir doch gesagt, dass du dir Temperatur nicht so hoch einstellen sollst."
Und als ich die Worte ausgesprochen  habe, bereue ich sie sofort.
Fehler. Großer Fehler. Ganz großer Fehler. Das hättest du nicht sagen dürfen, Emma. Und das weißt du.

Malte lässt das Kuchenblech scheppernd auf die Herdplatte fallen und dreht sich um. Die Luft um uns wird schwer und erdrückt mich, wie Wände, die sich auf mich zubewegen. Kurz schaue ich, reflexartig, auf die Herdplatte, um zu sehen, ob der Kuchen noch ganz ist, aber das Blech liegt nicht mehr dort. Es befindet sich in Maltes Hand.
Er baut sich drohend vor mir auf. 

Ich weiche zurück, denn ich habe plötzlich Angst. Ich weiß, was kommt und ich möchte fliehen. Doch eine Flucht ist nicht möglich.

"Wie bitte?!" Er schreit. Seine Stimme frisst sich in mein Hirn wie Tumor, der sich darin breitmacht. Ich mache mich ganz klein. Malte drängt mich in die Ecke. 

Von dort aus, wo ich stehe, kann ich aus dem Küchenfenster sehen. Die weiße Gardine ist zurückgezogen und ich erhasche einen Blick auf den Vorgarten der Nachbarn.
Es ist inzwischen Anfang Juli und der Sommer hat sich schon lange sein Terrain wiedergeholt. Aus dem Handylautsprecher ist leise 'Breezeblocks' von Alt J zu hören. Wie passend, dieser Text. Fasziniert betrachte ich die Natur vor dem Fenster. Die Blätter der Bäume sind mit grünen Schattierungen versehen und es riecht nach Leben. Leben, das gefüllt ist mit Blumen, das nach Neuanfang riecht. Es ist so bunt, so lebendig. Meine Gedanken sind überall nur nicht in der Küche, in der wir stehen. Als würde mein Kopf über den Wolken stecken.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie er mit dem Blech ausholt. Gerade noch rechtzeitig kann ich mich ducken und das Blech fällt scheppernd auf die Arbeitsplatte. Der Kuchen ist nach wie vor auf dem Blech. Dann kann man ihn eh nicht essen, wenn er so festklebt. Ich komme gar nicht hinterher zu verarbeiten, dass das Blech an meinem Kopf hätte landen sollen. Denn ich merke, wie sich jetzt seine Hände fest um meine Arme schließen.

Gleich. Gleich geht es los. Bitte alle einsteigen.
Dein Sarkasmus ist eindeutig fehl am Platz, Emma.
Er schüttelt mich, als wäre ich ein Streichholz dessen Feuer er löschen möchte. Und im Grunde löscht er es auch langsam, das Feuer in mir.


Fast sechs Monate tanzen wir inzwischen den magischen Tanz unserer Beziehung. Wir tanzen ihn auf erstarrtem Eis und lodernden Flammen. Malte liebt mich. Und an anderen Tagen hasst er mich. Als wäre meine Existenz eine pure Beleidigung für ihn. Ich liebe ihn nicht. Ich dachte, ich täte es. Aber er hat die drei Schmetterlinge getötet, die sich in meinem Bauch befanden. Und ich habe inzwischen begriffen, dass ich mir die Gefühle nur eingeredet habe. Wie dumm du doch bist. Malte hat also doch Recht. Aber ich hatte die leise Hoffnung, ihn retten zu können. Irgendwann hat sich diese Stimme eingeschlichen, die auf Maltes Seite steht. Die gebettelt und gezetert hat, er bräuchte nur jemanden, der ihn rettet und an seiner Seite steht. Und jetzt schaffe ich den Absprung nicht.
Ich erschaudere. Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, ich solle von diesem sinkenden Schiff springen. Aber ich schaffe es nicht. Ich schaffe diesen blöden Absprung nicht. Ich wollte ihn retten, doch ich kann es nicht. Ich schaffe es nicht einmal, mich selbst über Wasser zu halten.

Some of us are human | ✓Where stories live. Discover now