09 - Wie man Mauern einreißt.

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Malte. Malte? Malte!


Mein erster Kuss, als ich 13 war. Wir haben Flaschendrehen gespielt und Malte war der Schwarm aller Mädchen. Aber nicht von mir. Ich fand ihn nett. Mehr aber auch nicht. Wir waren bei Senna zu Hause und sie hatte die ganze Klasse eingeladen. Es gab reichlich Kuchen und viele Partyspiele.


Sebastian und Elias haben mich auch noch Jahre nach dieser Party mit unserem Kuss aufgezogen. Sie fanden es witzig. Warum auch immer. Jungs eben. Angeblich habe ich währenddessen ein ziemlich eigenartiges Gesicht gemacht. Aber so ist dein Gesicht nunmal, Emma.


Elias und Malte unterhalten sich und ich stehe daneben. Meine Arme werden schwer von den Flaschen. Die Stimmen der beiden Jungs schweben über meinen Kopf hinweg. Wie Wolken, leicht. Schwerelos. Ich höre auch nicht wirklich zu, meine Gedanken sind in der Vergangenheit. Bei Mama. Bei Sebastian. Bei der jungen Emma, die sorglos und fröhlich war. Aus diesem Grund nehme ich nicht wahr, dass Malte mich anspricht. Erst, als Elias mich sanft anstupst, wache ich aus meiner Trance auf.


"Emma. Wie geht es dir?" Maltes grüne Augen erinnern mich an Moos und an den Frühling. Der Frühling ist meine liebste Jahreszeit. Wenn alles wieder anfängt zu leben, nachdem der Winter es getötet hat. Ich freue mich schon auf den Frühling, wenn die Blumen wieder blühen und die Bäume Blüten bekommen; wenn alles so farbenfroh ist, lebendig. Ich wünschte, Mama wäre hier und könnte mit mir den nächsten Frühling erleben. Alle kommenden Jahreszeiten werde ich ohne sie erleben. Mir schnürt es schon wieder die Kehle zu und am liebsten würde ich die Glasflaschen auf den Boden werfen. Damit die Scherben, die in meinem Herzen sind, auch für alle anderen sichtbar sind. Ich bin wütend. Wow. Wird das jetzt zum Dauerzustand, Emma? Wirklich eine sehr liebenswerte Eigenschaft von dir. Nicht.


Ich schließe kurz die Augen und sehe dann Malte direkt an.


"Mir geht es ganz so einigermaßen, danke. Und selbst?" Ich schaffe es sogar zu lächeln, während ich zu ihm hoch sehe.


Malte erwidert mein Lächeln schüchtern. "Mir auch, danke. Wie geht es deinen Eltern? Wohnt ihr jetzt alle wieder zusammen? Hat es euch in Berlin nicht so gefallen?"


Wow. Hat er sich einen Fragenkatalog zurechtgelegt? Ich fühle mich, als hätte er ein Katana in meinen Bauch gerammt, als würde er damit jetzt gerade in meinen Organen herumrühren. Dieses Gefühl bringt mich zum würgen und ich möchte raus aus diesem Laden. Zum Glück bin ich die nächste in der Schlange und bezahle den Alkohol. Ich denke schon, ich bin den Fragen entkommen, aber Elias will auf Malte warten. "Schließlich hat er den gleichen Weg wie wir und es wäre unhöflich, wenn wir einfach vorgehen. Wir haben uns ja nicht einmal verabschiedet."


Ich rolle mit den Augen. Richtig. Elias war der, der es allen recht machen möchte. Also bleiben wir stehen und warten. Es ist kalt und ich ziehe mir die Jacke enger um die Schultern. Die Flaschen habe ich an Elias abgegeben. Ich wappne mich gegen die mir bevorstehenden Fragen, denn ich denke nicht, dass Malte sie vergessen hat.


Und das hat er auch nicht. Erwartungsvoll sieht er mich an und räuspert sich.


Auch meine Stimme ist belegt und ich betrachte die beleuchtete Preistafel, die über der Tankstelle befestigt ist. Ich werde nicht drum rum kommen, es wieder laut auszusprechen. Also hole ich tief Luft und schließe die Augen.

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