„Wie kommst du so damit klar?"

Ich hatte mit keinem darüber geredet wie klar kam, denn das kam ich ja nicht. Generell hatte ich mit niemanden über ihn gesprochen. Ich konnte ja nichtmal seinen Namen sagen, ohne dass es sich so anfühlte, als würde mir jemand Rasierklingen in meine Brust rammen.

„Wieso hat er ein schlechtes gewissen?" hakte ich nach und musste beinahe über Lorenzo's Frage lachen. Meine Antwort schien ihm die Sprache verschlagen zu haben, denn er öffnete kurz den Mund schloss ihn jedoch ruckartig wieder.

„Vermisst du ihn?"

Ich erhob mich vom Bett.

„Okay Lorenzo das langt jetzt. Ich werde mit dir nicht über meinen momentanen Zustand reden und sicher nicht davon was dein Bruder in mir angerichtet hat."

Lorenzo stand auf und im nu fühlte ich mich wieder winzig klein. Er überragte mich um Welten, denn ich ging ihm nichtmal bis zur Schulter. Ich konnte Lorenzo's Blick nicht stand halten und blickte zu Boden.

„Es tut mir leid Ever. Tut es mir wirklich." sagte Lorenzo noch, bevor die Tür ins schloss fiel. Ich ging zu meinem Bett und ließ mich dem Gesicht vorwärts auf die Matratze fallen. Die Tränen flossen wie von alleine aus meinen Augen und es wurde langsam zu einer Angewohnheit, die schon seit Wochen nicht verschwinden wollte. Ich wusste langsam nichtmehr was ich tun wollte. Immer wenn ich dachte, es würde sich zum besseren wenden geschah etwas und machte dem ganzen einen Strich durch die Rechnung. Obwohl ich viel Schmerz ertragen musste, war keiner so schrecklich wie dieser hier. Man sagt das Geheimnis über jemanden hinwegzukommen, ist es sich abzulenken. Doch den ganzen Tag für die Schule zu büffeln funktioniert nicht und alles andere auch nicht. Meine Gedanken schweifen immer zu der selben Person egal was ich tue. Es ist mir noch nie aufgefallen wir anstrengend es ist einen Kopf zu haben. Dorthin schleichen sich immer Sachen oder Personen, an die man nicht denken möchte. Man kann garnichts dagegen tun und ist gefangen in seinem eigenen Körper. Am besten wäre es, wenn man den Kopf ausschalten könnte. Auch wenn nur für ein paar Stunden, hauptsache er hört auf das zu denken was man nicht hören will. Man sagt doch, dass man durch den Alkohol die Welt anders wahrnimmt. Viele trinken um stress abzubauen und um vor der Realität zu flüchten. Vielleicht ist das auch der Grund weshalb es so viele machen. Sie gefährden ihre Gesundheit, jedoch bekommen sie dafür pause von ihren Problemen.

Als ich Schritte hörte, die immer näher kamen wischte ich mir schnell mit dem Ärmel über die Wange. Tea betrat den Raum und begrüßte mich mit einem lächeln, dass jedoch sofort verblasste. Ich musste noch verheult aussehen. Ja klar, ich hatte vor wenigen Sekunden auch noch geweint.

„Ähm...Hey." begrüßte Tea mich und setzte sich auf meine Bettkante. Ich wusste, dass sie völlig ratlos war, wenn sie mich so sah. Das rumkauen auf ihrer Unterlippe verriet sie.

„Gehst du heute Abend weg?" fragte ich und schniefte. Ich setzte mich auf meinem Bett auf und fuhr nochmal mit dem Handrücken über meine Augen.

„Ja, aber wenn du willst kann ich auch bei dir bleiben?"

Ich schüttelte eifrig mit dem Kopf.

„Nein, ich wollte dich nur fragen ob ich mitkommen kann?"

Tea runzelte die Stirn und sah mich an, als wollte sie fragen ob das mein ernst sei.

„Aber du hasst Partys."

„Heute nicht." antworte ich und stieg aus meinem Bett, um mich im Bad fertig zu machen.

*

Ich zupfte mein kurzes Kleid zurecht. Es war wirklich ziemlich knapp, jedoch lag es nicht hauteng an und meine Beine sahen darin länger aus als sonst. Ich trug es nur, weil ich nach langer Zeit mal wieder hübsch aussehen wollte. Als ich Make up auf das Gesicht aufgetragen hatte, schmerzte es höllisch, da es länger her war seit ich mich richtig geschminkt hatte. Ich fühlte mich trotzdem nicht sonderlich wohl, denn das Gefühl in meinem Magen und in meiner Brust verschwand nicht. Das Kleid war mir viel zu groß geworden und erst jetzt bemerkte ich wie viel ich wirklich abgenommen hatte. Ich fühlte mich leblos und wie ein aufgetakelter Zombie. Tea ging voraus, während ich ihr folgte. Das Haus war unfassbar groß. Ich erinnerte mich an die letzte Party auf der ich war und daran, dass es die schrecklichste Nacht meines Lebens war. Wenn ich ihn hier treffen würde, während er mit irgendeinem Mädchen tanzte, dann wüsste ich nicht was ich tun sollte. Würde ich weinen oder wäre es mir einfach egal? Eigentlich war ich auch hier um etwas neues auszuprobieren und eben nicht an ihn zu denken. Ich wollte, dass in meinem Kopf alle Gedanken und Erinnerungen leergeräumt wurden, auch wenn nur für diese Nacht.

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