Das Tanzen

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Dieses Jahr soll an unserer Schule ein Ball stattfinden, wofür wir natürlich erstmal die klassischen Tänze lernen müssen. Es wird also ein freiwilliger Kurs angeboten. Schliesslich habe ich mich auch angemeldet, obwohl ich eigentlich mit dem Tanzen eher negative Erinnerungen verbinde.

Die ersten stammen aus meiner Zeit an der Grundschule, wo es in Lagern jeweils einen Discoabend gab. An diesem tanzte ich kaum, sondern stand meist einsam – und etwas beschämt – in einer Ecke. Wenn ich tanzte, dann nur mit ganz wenigen, "uncooleren" Mädchen, ich hatte dann dennoch oft die Befürchtung, dass sie nur aus Mitleid mit mir tanzten.

Auch am Gymnasium gibt es einige Anlässe über das Jahr verteilt, an denen getanzt wird. Nur ein wenig mehr "Erfolg" hatte ich an diesen, da ich natürlich niemals ein Mädchen angesprochen hätte. Vor einem guten Jahr aber hätte ich fast mit Emma, in die ich auch schon damals verliebt war, tanzen können. Ich hatte sie nicht selbst gefragt, auch niemanden darum gebeten. Heute ist mir der genaue Ablauf der Ereignisse unklar, aber irgendwie kam es, dass meine Schwester (oder war es doch deren Kollegin?) Emma überzeugen wollte, mit mir zu tanzen. Ich glaube, dem war vorangegangen, dass Emmas beste Freundin angeblich mit meinem besten Freund tanzen wollte. Es war – wen erstaunt's? – kompliziert.

Auf jeden Fall ist der Tanz nicht zustande gekommen, da Emma aus dem Raum "flüchtete", was mich sehr verwirrte. Wenn sie einfach nur nicht mir tanzen gewollt hätte, hätte sie das doch freundlich, andeutend, aber trotzdem klar sagen können, es war ja nicht einmal ich persönlich, der gefragt hatte. Vielleicht lag aber auch gerade da das Problem. Hatte sie möglicherweise Angst, dass ich daran vielleicht gar nicht interessiert war, und wollte sich nicht blamieren? Zumindest schienen mir bei ihr stärkere Gefühle im Spiel zu sein, als sie sich dieser Situation entzog. Ob nun positiv oder negativ, weil sie vielleicht schon ahnte, dass ich in sie verliebt war, kann ich nur sehr schlecht abschätzen.

Aber natürlich bin ich mir im Klaren, dass ich mir da möglicherweise nur ein Gedankenkonstrukt aufbaue, mit der unsinnigen Logik eines Verliebten. Da ich ja anscheinend immer noch zu Teilen im Verliebtsein stecke, scheint mir da keine objektive Ansicht zugänglich zu sein. Jedenfalls war Emma danach nicht anders zu mir, und es geschah ja auch erst einige Wochen später, dass wir regen Kontakt über Whatsapp hatten.

Auf diese Geschehnisse kann ich mir ehrlich gesagt immer noch keinen wirklich plausiblen Reim machen, was mich ziemlich verunsichert. Muss den alles auf Liebe Bezogene immer so kompliziert sein? Die Antwort lautet wahrscheinlich "Ja". Vielleicht ist es gerade diese Ungewissheit, diese Spannung, was Verliebtsein ausmacht. Trotzdem kann das natürlich auch unglücklich machen.

Zurück zum Tanzkurs in der Gegenwart: Als wir die Informationen dazu per Mail bekamen, sah ich zu meinem Unbehagen mehr Jungen als Mädchen auf der Liste der angeschriebenen Personen. Wieder keimte die Furcht in mir auf, alleine rumzustehen, während alle anderen tanzen. Sogar eine meiner sehr engen Freundinnen habe ich damit "belästigt", weil es mich einfach so sehr beschäftigte.

Glücklicherweise ist es bisher beide Male so gekommen, dass ich ein Mädchen zum Tanzen abbekam. Nicht zu meinem Verdruss galt beim ersten Tanz Frauenwahl (dann musste wenigstens ich keine ansprechen), und es kam auch eine zu mir. Sie ist eine gute Kollegin meiner Schwester, allerdings in der Parallelklasse, weshalb ich sie nicht so gut kenne. Es war wirklich schön, mit ihr zu tanzen. Nicht, dass ich auf irgendeine romantische Weise Interesse an ihr hätte oder sich eine solche entwickelt hätte, nein, es machte einfach nur Spaß.

Am Tag der zweiten Lektion deutete sie an, wieder mit mir tanzen zu wollen, wogegen ich auch nichts einzuwenden gehabt hätte. Auch wenn Emma am Kurs teilnimmt, bin ich über mögliche Empfindungen ihrerseits schon recht desillusioniert und nicht mehr hoffnungsvoll. Außerdem würde der Tanz mit ihr wahrscheinlich sogar weniger Spaß machen, da ich doch dann richtig nervös werden würde und auch kaum ein sinnvolles Wort herausbekäme.

Schließlich hat meine erste Tanzpartnerin dann doch mit jemand anderem getanzt, ich glaube, es beruhte auf einem Missverständnis, bin mir aber nicht so sicher. Es war halt so, dass ich wieder zu ihr schritt, wenn dieses Mal wir Jungen eine Partnerin auffordern sollten, dabei aber immer noch anderes Zeug stammelte (Na ja, so schlimm war es dann wahrscheinlich auch wieder nicht, aber im Ansatz schon...), womit ich mein Gesagtes relativieren wollte. Es sollte halt nicht so klingen, als ob ich jetzt mit ihr und nur mit ihr tanzen wollte. Jedenfalls habe ich dann erst mit meiner Schwester und dann, nach einem weiteren Wechsel, mit einer anderen Mitschülerin getanzt. Es war wirklich wieder ganz schön, in der Pause haben wir etwas gesungen, also eigentlich vor allem ihr engerer Freund (auch nicht ihr Freund) und sie, die mich dann baten, eine Art Hintergrundrhythmus zu singen. Es war keinerlei Groll oder Ähnliches von ihr zu spüren, noch eine Art "Schuldbewusstsein", dass sie mir den Tanz abgelehnt hätte, ich bin mir also schon sehr sicher, dass sie mich irgendwie falsch verstanden haben muss, da ich auch nicht denke, dass ich mir da etwas einreden könnte. Schließlich war es letztes Mal sie, die mich zum Tanz aufgefordert hat, und da ich nicht in sie verliebt bin, wirklich nicht ansatzweise, mir ziemlich sicher auch nichts einrede. Mal schauen, was nächstes Mal passiert.

Ein Problem wird es jetzt noch sein, jemanden für den Ball zu finden, also ein Mädchen, das mit mir dorthin geht. Dafür werde ich diese nämlich schon einiges früher fragen müssen, wenn ich denn nicht alleine gehen will. Sicherlich werde ich in dieser Situation meiner Schüchternheit wieder so überhaupt nicht gewachsen sein, weil ich ein solches Gespräch irgendwie so empfinde, als ob man damit unmittelbar größere Gefühle kommunizieren würde, auch wenn es diese vielleicht gar nicht gibt oder versteckt bleiben sollen.

In mir schlummert auch diesbezüglich immer noch die Angst, das nagende Gefühl, dass am Ende vielleicht doch alle Mädchen sicher nicht mit mir tanzen wollen, dass ich für sie halt nur der Streber bin, auch wenn ich eigentlich zu wissen glaube, dass die meisten Mädchen doch anders ticken. So wird es mir zumindest gesagt, da wäre sicher die Richtige für mich, usw., doch sicher ist nur mein mangelndes Selbstbewusstsein...

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