Ankommen

65 8 0
                                    

Wahrscheinlich wird das das letzte Kapitel, das ich hier hochlade. Nach über sieben Jahren kann ich dieses Projekt zu einem schönen Abschluss bringen und euch davon erzählen, wie ich endlich ein neues Kapitel in meinem Leben aufschlagen konnte.

Ich brauche wohl nicht mehr zu erzählen, damit ihr erraten könnt, was sich bei mir getan hat. Allerdings dürfte euch doch der Anfang der kommenden Erzählung überraschen: Begonnen hat die Beziehung, die mein Leben umgekrempelt hat, genau hier. Es war recht bald nach der Veröffentlichung der ersten Kapitel, dass mich ein Mädchen anschrieb, das sich in meiner Gedankenwelt verstanden fühlte und mich deshalb kennenlernen wollte. Nach einigen Wochen und langen Nachrichten verlagerten sich unsere Gespräche erst auf Mails und dann, fast ein Jahr später, auf eine Messengerapp.

Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, dann erinnere ich mich an die wohlige Wärme, die sie mich spüren liess, aber kann ich Nachhinein auch interpretieren, dass mich diese auch etwas befremdete. Zwar war es genau, wonach ich mich schon länger gesehnt hatte, aber andererseits war es auch so ungewohnt. Auch wenn sie sich anders verhielt als die Mädchen, mit denen ich Freundschaften aufgebaut hatte, entschied ich mich wohl unterbewusst, diese Zeichen zu ignorieren und mich an dieser Art Beziehung festzuhalten, die ich bereits kannte. So dachte ich immer noch primär an Emma als die Person, mit der ich zusammen sein wollte, und artikulierte nicht, was mich der Kontakt mit dem neuen Mädchen spüren liess – der wir auch noch einen Namen geben sollten. Ich hoffe, "Lina" gefällt ihr.

Da Lina mich durch diese Texte kennengelernt hat, wusste sie natürlich auch von Emma. Und ich sprach mit ihr über diese. Was für sie sicher nicht sehr angenehm war. Für mich war es wohl eine Art Flucht in Verhaltensweisen und Gespräche, an die ich gewohnt war. Andererseits brauchte es wohl auch einfach Zeit, mit Emma abzuschliessen. Und relevant war wohl auch, dass ich Emma immer noch jeden Schultag sah, während für mich Lina noch ein Mädchen ohne Gesicht war.

Zum letzten Erklärungsansatz passt vielleicht, dass sich der Kontakt mit Lina nochmal stark steigerte, nachdem wir 2017 beide das Abi geschafft hatten und den letzten Sommer vor dem Studium verbrachten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich mit meiner Familie im Urlaub war und abends bis zum Einschlafen mit ihr chattete. Und diese Intensität nahmen wir auch in unsere neuen Leben als Studenten hinein. Wir erzählten einander von all den neuen Sachen, die wir erlebten, nutzten die neu gewonnene Privatsphäre fernab von unseren Familien, um miteinander zu telefonieren und machten erste schüchterne Pläne, uns zu treffen.

Doch Streber, die wir beide immer noch waren, planten wir dieses nicht für die nächstbeste Möglichkeit, sondern auf die Osterwoche, wo der Besuch unser Studium nicht beeinträchtigen würde. Diese war allerdings noch über ein halbes Jahr entfernt, und das Schicksal hatte bis dahin anderes mit uns vor.

Ich denke alles fing damit an, dass ich Zweifel daran bekam, ob ich mich für die richtige Universität entschieden hatte. Ich hatte mich nämlich für eine kleine Universität entschieden anstatt für eine nähere und renommiertere. Mit dem Beginn des Studiums begann ich mir Sorgen zu machen, dass ich zu wenig lernen würde und für den Master dann gar nicht mehr die Möglichkeit hätte, an dieser renommierteren Uni angenommen zu werden. Dazu trug bei, dass manche der Vorteile, die ich in meiner Wahl gesehen hatte, nicht zuzutreffen schienen. Diese Zweifel waren jedenfalls der erste Anlass, bei denen ich mich von Lina nicht verstanden fühlte. Sie war ihrerseits an einer sehr renommierten Uni und gab mir mit manchen Antworten und Sachen, die sie erzählte, das Gefühl, sich und ihr Studium mit meinem vergleichen zu müssen.

Wenn ich heute darauf zurückblicke, so erscheint es mir wahrscheinlich, dass ich aufgrund meiner Unsicherheit bezüglich meines Studiums ihre Aussagen fälschlich als etwas arrogant oder überheblich interpretierte. Vielleicht war es sogar Neid, was ich in dieser Zeit ihr gegenüber empfand und was mich etwas von ihr entfremdete. Schon davor hatte ich mich manchmal mit ihr verglichen, was mir ein schlechtes Gefühl gab, da sie mehr aus ihrem schulischen Erfolg zu machen schien.

Der StreberkomplexWo Geschichten leben. Entdecke jetzt