Entstehung

2.3K 133 64
                                    

Nun also zur Sache: Als erstes möchte ich euch etwas zu meiner Vergangenheit erzählen und dabei auch gleich Vermutungen anstellen, inwiefern diese Erlebnisse mein heutiges Denken geprägt haben.

In der Grundschule spielte ich gerade zu Beginn eher mit den Mädchen, da ich ja auch zuhause mit meiner Schwester spielte und durch sie auch in einen solchen Freundeskreis aufgenommen wurde. Ich war - glaube ich zumindest - nicht der einzige Junge, aber fast. Auch heute bin ich eher der feminine Typ, auch wenn ich mich als Knabe/Mann fühle und nicht schwul bin. Ich bin eigentlich nicht traurig darüber, weil ich das ganze Macho-Gehabe als völlig unsinnig empfinde. Dennoch würde ich mich gerade im Umgang mit Mädchen und natürlich meinem Schwarm (darüber später mehr) sehr viel sicherer fühlen, wenn ich denn dem normalen "Mannsbild" etwas besser entspräche.

Zu den anderen Knaben war mein Verhältnis immer angespannt und vor allem wechselhaft. Ich kann heute nur vermuten, weshalb das so war. So habe ich wahrscheinlich dadurch, dass im zu Beginn weniger Zeit mit den Jungen verbrachte, etwas den Anschluss verpasst. Später haben die anderen meist fast nur bzw. vor allem den Streber in mir gesehen, was die Sympathie vielleicht auch durch Neid minderte. Sicherlich kam es aber auch zu Konflikten, weil ich halt andere Interessen hatte, etc. Dies zeigte sich zum Beispiel im Umkehrschluss darin, dass es wir meistens gut zusammen hatten, wenn wir Fußball spielten, was eine meiner eher wenigeren "typisch männlichen" Vorlieben ist. Allerdings fühlte ich mich auch dabei manchmal unwohl, da man mit mir (und natürlich auch anderen) nicht gerade freundlich umging, wenn ich etwas vermasselt hatte, was mir leider Gottes häufiger als ihnen passierte, da ich nie im Fußballklub war. Richtig schlecht war ich aber nie und auch heute werde ich gerne als Torwart eingesetzt, worin ich notgedrungen schon langjährige Erfahrung habe. Allerdings gehe ich besonders heute auch gerne ins Tor, wenn auch nicht die ganze Zeit.

Zwar war ich nie ein totaler Außenseiter, hatte aber nur wenige Freunde, und mein bester hatte selber noch mehr mit Mobbing zu tun. Ich denke auch das, was mir damals widerfahren ist, kann man als Mobbing bezeichnen, aber rückblickend bin ich mir durchaus bewusst, das ich immer auch selbst noch einen Teil zur Eskalation beigetragen habe. So konnte ich nie mich mit provokanten Antworten zurückhalten und habe mich auch meistens dagegen gestemmt, mich ihnen "unterzuordnen", ihnen Achtung zu zollen. Meine Ansichten über sie habe ich meist nicht verleugnet und mein Ehrgefühl war noch recht stark, was aber zu noch grösseren Konflikten führte. Darauf bin ich natürlich heute auch stolz, aber wahrscheinlich wäre das Zusammenleben einfacher gewesen, wenn ich auf bewusste Provokation verzichtet hätte.

Die Mädchen waren dagegen überwiegend nett zu mir, aber ganz anders als zu den anderen Jungs. Gerade als wir in die höheren Klassen der Grundschule kamen, war Liebe (oder halt das, was man in diesem Alter darunter verstand) zwischen den anderen ein großes Thema. Zu verschiedensten Anlässen wurde das Spiel Wahrheit-oder-Pflicht gespielt, wobei ich mich jeweils nicht getraute, daran teilzunehmen, allerdings auch aus guten Gründen: Ich war des Öfteren in der Nähe, wenn gespielt wurde, und habe dabei vieles gehört (z.B. wenn die ganze Klasse irgendwo übernachtete). Als Pflicht gaben sich meine MitschülerInnen häufig, die Mädchen bzw. Jungs aufzuzählen, die man am süßesten, attraktivsten oder was auch immer findet. Natürlich war ich nie dabei, und es wäre auch extrem peinlich gewesen, mich dazu zu zählen. Dies hätte ich noch ganz gut ertragen, aber ich meine mich erinnern zu können, das öfters mal mein Name eingeworfen wurde, und die Frage, ob denn nicht ich dazugehören würde, und darauf wurde immer mit Empörung und / oder Ekel reagiert. Eine andere Reaktion hätte sich ein Mädchen in dieser Situation auch gar nicht leisten können, weil es sich dann hätte rechtfertigen müssen.

Diese Beobachtung war recht typisch für diese Zeit: der Umgang mit einzelnen Mädchen und auch den meisten Jungs war ganz ok, oft sogar ausgesprochen nett. Sobald man sich aber in einer auch nur etwas größeren Gruppe befand, getraute sich keiner mehr richtig nett zu mir zu sein oder mir gar zu helfen, mich zu verteidigen.

Diese Erfahrungen, besonders ausgeprägt von Wahrheit-oder-Pflicht-Spielen, haben mich noch heute recht gut im Griff: Ich hatte noch nie eine Freundin, soweit in meinem Alter eher ungewöhnlich aber noch "normal". Ich habe aber noch nie ein Mädchen geküsst und mir fehlt auch jegliches Selbstvertrauen, um auf Mädchen zuzugehen. An Discoabenden, wie sie auch nach der Grundschule noch bei Schulfesten vorkommen, habe ich wirklich noch NIE ein Mädchen gefragt, ob sie mit mir tanzen möchte. Auch bei Mädchen, die ich nur freundschaftlich mag, wäre ich zu schüchtern dazu. Ich habe einfach schon zu viel gehört, dass ich unattraktiv sei und sich ganz sicher niemand je in mich verlieben würde. (Allerdings habe ich da rückblickend ein paar Vermutungen, aber auch dazu später etwas und auch dazu, wie es denn heute damit aussieht.)

Jetzt am Gymnasium habe ich das Gefühl, das sich diese eingeredeten Hemmnisse langsam auflösen. Aber halt wirklich langsam und voraussichtlich auch nie vollständig, doch dazu im nächsten Kapitel.


Der StreberkomplexWo Geschichten leben. Entdecke jetzt