24. Gedanken

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POV Daryl

Eine ganze Weile saß ich vor ihrem Bett und dachte nach. Sie schlief mittlerweile ein wenig. Ihre gleichmäßigen Atemzüge beruhigten mich ein wenig, diese signalisierten immerhin das sie noch lebte. Auch, wenn sie leise waren und sehr flach, sie waren da. Das war alles, was zählte. Wir hätten uns sofort von dort verpissen sollen, nachdem wir die Gruppe getötet hatten. Jedes andere mal hätte ich genau das getan. Dieses Mal nicht. Und das hätte mich fast das Leben gekostet, wenn sie nicht dazwischen gegangen wäre. Jetzt kostete es vielleicht ihres.

Ich hatte gedacht, die Situation sie von einem Beißer bedrängt zu sehen war schlimm, doch das war es nicht. Gegen die Beißer konnte man sich wehren. Doch eine Kugel war so viel schneller als die Beißer. Und das allerschlimmste war dieses beklemmende Gefühl nichts tun zu können. Einfach nur dabei zusehen zu können, wie jemand geliebtes starb.

Ihr Atem war noch immer gleichmäßig und auch die Augen hatte sie geschlossen. Mit einem kleinen Lächeln drückte ich ihr einen Kuss auf die Hand und stand auf. Kurz musterte ich die junge Frau vor mir. Ihre Lippen waren ganz zart Rosa und die schien ein wenig Farbe auf den Wangen bekommen zu haben. Doch sonst sah sie noch genauso schrecklich aus wie vorhin. Die blonden Haare noch immer Blut verklebt und ihr Gesicht wirkte leicht eingefallen. Sie hatte sich gedreht und lag nun auf der Seit und die Decke war ein wenig heruntergerutscht, so das man die blasse Haut ihrer nackten Schultern sehen konnte. Ich zog die Decke ein wenig höher, damit sie nicht anfing zu frieren.

Irgendwie kam sie mir vor wie ein zerbrechliches Porzellan Püppchen, auch wenn sie mich schon einige male vom Gegenteil überzeugt hatte. Mit einem Seufzen wandte ich mich von ihr ab. Die Tabletten gegen das Fieber könnten wir ihr erst geben, wenn sie aufgewacht war und überhaupt erstmal wieder mitbekam was um sie herum passierte. Sonst wäre die Gefahr das sie einfach daran erstickte zu hoch. Da ich eh nicht mehr tun konnte, verließ ich ihr Zimmer und steuerte meines an. Eines der Gästezimmer. Die Wände waren in einem hellen grau gehalten und die Möbel hatten einen dunklen Holzton. Doch der Raum wirkte weder düster noch erdrückend. Irgendwie wusste ich nicht so recht, was ich jetzt machen sollte, deshalb schnappte ich mir ein Tuch und begann meine Waffen zu reinigen. Gerade als ich mit meiner Pistole und dem Jagdmesser fertig war, klopfte es an der Tür. Irgendwie war diese Privatsphäre ungewohnt. Bei mir hatte sich nie jemand so wirklich darum gekümmert, ob ich meine Ruhe haben wollte.

Weder mein Vater, noch mein großer Bruder Merle oder sonst irgendjemanden hatte es interessiert, ob ich gerade einfach nur allein sein wollte. "Was?", blaffte ich. Leise trat Carol ein. Ich hatte sie ja wirklich gern, auch wenn es mir nicht so recht gefiel. Sie war mir ans Herz gewachsen, genau so sehr wie der Rest der Gruppe. Doch jetzt hätte ich sie am liebsten angeschrien das sie sich einfach verpissen sollte. Ich wollte meine verdammte Ruhe und nicht auch noch mit ihr reden müssen. "Ich wollte dir eigentlich nur etwas zu essen bringen.", sie klang wie immer freundlich, fast schon mütterlich. Ich beschloss nicht zu reagieren in der Hoffnung, dass sie einfach gehen würde. Leider tat sie mir diesen gefallen nicht, sie stellte den Teller auf dem Beistelltisch ab und setzte sich auf das große Bett. "Mach dir keine Vorwürfe, du kannst nichts dafür, dass sie das getan hat. Du solltest ihr dankbar sein, sie hat dich wahrscheinlich vor dem sicheren Tode bewahrt.", sagte sie sanft.

Dankbar sein? War Carol jetzt nicht mehr ganz dicht? Ihr Leben war so viel wertvoller als meines. Lieber wäre ich dort gestorben als das ich so Leiden gesehen hätte. Ihr Schmerz verzerrtes Gesicht als sie dort auf dem Boden lag. Der kraftlose Versuch meine Hand wegzuschieben, die ich auf die Wunde gedrückt hatte. Der immer glasiger werdende Blick, bei dem man zuschauen konnte, wie ihr das Leben aus dem Körper wich. Wie ich sie anflehte bei mir zu bleiben. Ich wünschte mir, ich könnte es, ihr dankbar zu sein, so wie ich es bei Rick oder Glenn wäre, doch ich konnte es nicht. Anstatt zu antworten, gab ich ein abfälliges Schnauben von mir. "Du hast sie gern, oder? Deshalb bist du so abweisend... so sauer?", sie schien nicht so recht zu wissen ob es das richtige Wort war. Ich war nicht sauer, jedenfalls nicht auf sie, nur auf die Idioten, die auf uns geschossen hatten. "Carol geh einfach.", zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Weißt du, du kannst nicht immer alles mit dir selber ausmachen und alles und jeden von dir weg stoßen, den du magst.", noch immer klang sie kein bisschen böse. Sie stand auf und verließ das Zimmer. Vielleicht hatte sie recht.

Ich hatte es versucht sie von mir zu stoßen. Doch ich hatte ihren verletzten Blick gesehen und die schnippische Antwort, die sie mir darauf an den Kopf geschmissen hatte, war fast noch schlimmer. Ich hatte es wirklich versucht, es tat weh, wenn man jemanden verlor. Nur bei ihr war es anderes. Sich von ihr fernzuhalten oder sie zu verletzten tat fast genau so weh wie sie fast zu verlieren. Noch war sie nicht übern Berg, doch ich wollte nicht das sie starb, sie musste es einfach schaffen. Mein Blick fiel auf das Messer in meiner Hand. Wütend schleuderte ich es von mir weg. Mit einem leisen Schlag blieb es in der Wand stecken aber es war mir egal. Ich ließ mich mit dem Rücken auf das Bett sinken. Am liebsten würde ich wieder zu ihr hoch gehen, um zu sehen, dass es ihr gut ging. Doch ich war müde und ich wusste, dass ich nichts mehr für sie tun konnte. Ich musste wohl oder übel warten.

TWD The Angel Beside MeWhere stories live. Discover now