23. Halb Tot

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POV Daryl

Ihr Kopf lag auf meinem Schoß. Angestrengt versuchte ich einen Puls an ihrem Hals zu erfühlen, doch meine Hände zitterten so sehr, dass ich nichts erstasten konnte. "Lebt sie noch?", fragte Tyreese. Er fuhr so schnell er konnte wieder zurück. "Ich weiß nicht, ich kann ihren Puls nicht finden.", meine Stimme klang brüchig. Michonne drehte sich zu uns um und legte ihr eine Hand an den Hals, "Sie lebt noch, aber ihr Puls ist sehr schwach. Wir müssen uns beeilen. Sonst stirbt sie." Der provisorische Verband um ihren Oberkörper war durchgeblutet.

Die rote Lebensessenz tropfte auf die schwarzen, ledernen Sitze des Autos. Auch ihre Haare waren an einigen Stellen schon blutrot verfärbt. Ihr ganzer Körper war kalt, deshalb zog ich meine Weste aus und legte sie ihr über. Mit blutverschmierten Fingern strich ich ihr die Haare aus dem Gesicht. Sie sah friedlich aus, nicht so von Schmerzen geplagt wie vorhin. Mit der anderen Hand drückte ich wieder auf die Schussverletztung knapp unter dem Schlüsselbein, in der Hoffnung die Blutung so etwas zu stoppen. Ihre Augenlieder flatterten. Die sonst so fröhlich leuchtenden, hyazinthblauen Augen waren stumpf. Sie blickte mich schmerzverzerrt an. Langsam und kraftlos hob sie ihre Hand und legte sie an meine Wange.

Ich hielt ihre Hand fest und schmiegte mich ein wenig näher an sie heran. "Es wird alles wieder gut." Ich wusste nicht genau, ob ich ihr Mut zusprechen wollte oder ob es nur dazu diente mich zu beruhigen. Vielleicht weil ich im Grunde nicht mehr daran glaubte, dass sie es schaffen würde. Sie würde mich verlassen, wie jeder andere auch. Ihr Kopf kippte wieder zur Seite und ihre Hand rutschte aus meiner. "Wie weit ist es noch?", fragte ich angespannt. "Nicht mehr weit nur noch zwanzig Minuten.", auch Tyreese klang angespannt. "Das schafft sie nicht. Fahr schneller.", knurrte ich durch meine zusammengebissenen Zähne. Ich riss mir die Ärmel meines Hemdes ab und drückte diese auf ihre Wunde; der durchgeblutete Verband fiel leise klatschend in den Fußraum des Autos.

"Wenn ich noch schneller fahre überschlagen wir uns am Ende noch." Trotzdem trat er das Gas noch ein wenig mehr durch. Die Bäume des Waldes flogen nur so an uns vorbei. Doch ich hatte nur Augen für die zierliche Frau unter mir; sie wirkte mit jeder Minute blasser. Ihre Lippen waren fast weiß und sie sah noch zerbrechlicher aus als sonst. Sie konnte doch nicht einfach so sterben. Sie durfte mich nicht verlassen. Nicht sie auch noch. Plötzlich stoppte das Auto. "Wie lautet der Code für das Tor?", fragte Tyreese aufgeregt. Michonne schwieg, sie wusste ihn nicht. Verzweifelt überlegte ich.

Ich wusste nur noch, das er achtstellig war und mit 01 begann. "Ich weiß es nicht mehr. Ich glaube es war 01091534 oder 01091924 ich hab keine Ahnung mehr." Man konnte hören, wie Tyreese hektisch auf dem Tastenfeld herum tippte. Beim zweiten Code leuchtete das Tastenfeld grün auf und das Tor schob sich ratternd zur Seite. Tyreese gab Gas. Die Räder drehten durch und der Kies spritze unter den Rädern weg, bevor der Wagen sich mit einem Ruck in Bewegung setzte. Als wir vor dem Anwesen zum Stehen kamen, rannte Rick sofort auf uns zu.

Michonne war, kaum dass das Auto gehalten hatte, ausgestiegen und rannte ins Haus um Maggie und Beth Bescheid zu sagen. So umständlich wie ich zusammen mit ihr ins Auto geklettert war, kletterte ich auch wieder raus. Sie kam mir leichter vor als vorhin, fast so als hätte sie 10 Kilo verloren. Ihr Bruder rannte zwar auf uns zu, doch ich ignorierte ihn und ging Beth hinter her. Sie brachte uns hoch in Melinas Zimmer. Auf dem Bett war eine Decke ausgebreitet, damit sie die Matratze nicht durchblutete.

Ganz vorsichtig legte ich sie ab. Beth schnitt ihr das Top auf, Maggie kam mit einer Pinzette und versuchte die Kugel raus zu holen. "Halt sie fest, falls sie aufwacht wird sie sich wehren.", meinte Maggie. Den Kommentar, dass sie das wahrscheinlich nicht tun würde, weil sie schon fast tot ist, ersparte ich mir. Doch sie hatte Recht Melina schlug tatsächlich die Augen auf. Sie hatte den Mund zu einem stummen Schrei geöffnet. Ihr traten Tränen in die Augen und liefen ihr über die Wangen. Ich drückte sie an den Schultern auf die Matratze und ihren linken Arm drückte ich mich mit meinem Knie runter. Beth hielt ihren anderen Arm fest und setzte sich auf ihre Beine. So war sie fast bewegungslos. Maggie suchte noch nach der Kugel in der Wunde. Melina schwitzte, doch gleichzeitig zitterte sie wie Espenlaub. Ihr ganzer Körper schien unter meinen Händen zu vibrieren.

"Ich hab sie. Die Wunde muss nur noch genäht werden." Sie legte die Kugel auf einem Tablett ab und nahm sich stattdessen Nadel und Faden. Melina hatte die Augen wieder geschlossen, doch sie atmete noch sehr unregelmäßig und abgehackt. Das Nähen war schnell erledigt. Nachdem Maggie noch ein Pflaster auf die Wunde geklebt hatte, um es abzukleben, ließen wir Melina los. Beth reichte mir ein nasses Tuch damit ich meine Finger vom Blut befreien konnte.

Ich ignorierte es gekonnt um Mel den Schweiß, das Blut und die Tränen von Wangen und Stirn wischen. Als ich mit meinen Fingern ihre Haut streifte schien sie zu glühen. "Ich glaube sie hat Fieber." Maggie kam zu mir herüber und legte ihr eine Hand an die Stirn. "Ja, ich hole kurz Tabletten und dann sollten wir sie in Ruhe lassen. Sie muss sich erholen." Eindringlich sah sie mich an. "Ich geh nirgendwo hin, jemand muss aufpassen, dass ihr Fieber nicht steigt und dass es ihr nicht schlechter geht.", meinte ich fest entschlossen. Maggie schüttelte zwar den Kopf doch sie versuchte nicht mich zu überreden. Während Maggie runter ging um die Tabletten zu holen, ging ich ins Bad um mir das Blut von den Händen zu waschen.

Nur schwer ging das, an einigen Stellen eingetrocknete, Blut von den Fingern. Ich sah dabei zu, wie die rote Flüssigkeit im Abfluss verschwand, bis sich das Wasser ganz aufgeklart hatte. Nachdem ich den Wasserhahn abgedreht hatte, hörte ich Maggie vor der Tür mit Melinas Bruder diskutieren. Er wollte unbedingt nach seiner Schwester sehen. Maggie wollte erst nein sagen, weil ihr zu viel Stress schaden würde, und Christopher klang alles andere als entspannt, doch er ließ nicht locker. Schließlich knickte Maggie ein. Im gleichen Moment ging die Tür auf und Christopher kam rein.

Er stürmte auf seine Schwester zu. Melina hatte die Augen zwar noch geöffnet, doch sie schien nichts was um sie herum geschah mitzubekommen. Sanft strich er ihr durch die blutbefleckten Haare und zog ihr die Decke noch ein Stück höher. "Denkst du sie erholt sich wieder?", fragte er. Seine Stimmte klang zweifelnd und er schien den gleichen Gedanken zu haben wie ich. Und zwar, dass sie sterben konnte. "Wenn das Fieber nicht sinkt haben wir ein Problem, sie hat viel Blut verloren. Ich bin mir nicht zu hundert Prozent sicher, aber ich denke, sie schafft es.", meinte Maggie. Er nickte und stand wieder auf. Wir konnten nichts mehr für sie machen, das musste sie alleine schaffen. Nachdem er ihr noch einmal über den Kopf gestrichen hatte verschwand er nach unten. Auch Maggie verschwand, doch davor schenkte sie mir ein aufmunterntes Lächeln.

TWD The Angel Beside MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt