☑️Kapitel 2 ♔

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~Alt genug um zu verstehen was kaputt geht, aber zu jung, um es zu verkraften.~

Mit einem starken Aufsprung, der mir mit einem steckenden Schmerz an den Sohlen zieht, lande ich wieder auf dem dreckigen Waldboden. Die Nacht ist angebrochen und es ist dunkel, kalt und alles ist ruhig, der Mond leuchtet hell am Nachthimmel, und tränkt den gesamten Horizont mit einem blassen Licht.
Ich höre vereinzelte Vögel zwitschern, Ameisen krabbeln und rasseln von kleinen Krabbeltieren.
Rieche alles unglaublich intensiv und nehme alle möglichen Gerüche wahr, den der Wald mir zu bieten hat.

Meine weißen Wolfspfoten setzen sich, nach einer kurzen Atempause, wieder in schneller Bewegung, jeden Schritt den ich mache und setze, jede Bewegung die ich vollbringe, gibt mir ein Gefühl der Vollkommenheit.
Jeder Atemzug den ich mache, fühlt sich rein und unendlich sauber an.

Man kann den Wald nicht verstehen, nur seine Perfektion spüren.

Meine Bewegungen werden langsam und fließender bis ich am Straßenrand der Stadt Brooklin's stehen bleibe und meinen Kopf nach rechts und links drehe. Ich blicke die vielen Häuser an. So totenstill und blass.
Nach einem Instinkt heraus reiße ich meinen Kopf in die Höhe und jaule laut und lange auf, ehe ich mich wieder rückartig in Bewegung setze.

Es ist erstaunlich wie am Tag der stressige Trubel beginnt und in der Nacht diese Stadt wie ausgestorben scheint.

Das einzige wonach ich lausche, sind meine Pfotenstapfen, die bei jeden Untergrund ein rascheln abgeben. Mit geschmeidigen Schritten gehe ich die leeren Straßen entlang.
Ich recke meinen weißen Wolfskopf etwas in die Höhe und schnaufe kopfschüttelnd aus.

Ich liebe dieses Gefühl von Macht.
Bedingungslos.

Ich fange an zu laufen und wie von selbst tragen mich meine Pfoten zu einem Ort. Zu meinem Ort.
Nach zwei Minuten lasse ich mich am Ende meiner Klippe nieder, ich blicke abermals zum Mond und schließen meine Augen während ich meinen Kopf zu Boden richte und versuche den Mondschein bis aufs vollends in mich hinein zu saugen.

Meine Mutter hat mich früher immer hier her gebracht, sie in Wolfsform und ich als Kind.
Zusammen bis ans Ende der Welt.
Diese Stelle ist seither mein Zufluchtsort, hier bin ich jede Nacht und jeden Tag.
Es fühlt sich so an als wäre sie hier, neben mir, und das scheint mich zu beruhigen.

Ich öffne meine Augen und blicke auf das offene Meer mit dem anliegenden Strand. Diese Aussicht ist die schönste wo ich je in meinem ganzen Leben sehen durfte, und das einzig besondere in dieser farblosen Stadt.
Doch niemand kommt hier her.
Man müsse durch den Wald, und wer geht schon durch einen dunklen grausamen Ort, der nur nach dem Geruch vom Tod triefte?
Wenn sich schon ein Biest darin befindet?

Ich fange an mich abzuwenden, vorher jaule ich jedoch laut und lange auf, ein Zeichen der Reue an meiner Mutter.
Ein Ritual an sie, und unserem Ort.

Ich drehe mich vollends um und fange an wieder in den, mit Bäumen besiedelten Wald zu laufen.
Ich weiche geschickt den Wurzeln und Bäumen aus und versuche meine Beine immer schneller und schneller im Takt und klang des Waldes zu bewegen. So schnell, wie noch nie zuvor.
Mein Blickfeld wird verschwommener, desto schneller ich Pfote an Pfote bewege.
Meine Atemzüge werden schneller und stoßweiser und meine Augen kreisen konzentriert in der Gegend umher.
Der Mond scheint hell am Himmel und schenkt mir Kraft bis ins Unendliche.

Einatmend erreicht mich sogleich ein süßer, unwiderstehlicher Geruch, der mich abrupt zum stoppen bringt.
Mit einem Mal ramme ich meine Vorderpfoten in den erdigen Boden, sogleich dringen sie ein und heben, durch den plötzliche Ende, meinen gesamten Hinterkörper nach vorne.
Ich splittere fünf Meter über dem Boden entlang, bis ich letztens Endes zum stehen komme und gleich meine Ohren aufstelle. Ich recke meine Schnauze neugierig in die Höhe.
Und da ist es schon wieder; ein Geruch so süß wie Honig.
Getrieben von dieser Unwiderstehlichkeit tapse ich langsames Schrittes voran, bedacht darauf, keine lauten Geräusche oder rückartigen Bewegungen zu machen und dann sehe ich ihn:
Einen Riesen Tier.
Ein Hirsch, so groß wie ich ihn noch nie sah.

Eine Herausforderung- doch nicht unmöglich.
Ich nähere mich leise dem Tier, atme noch einmal tief ein und aus, ehe ich den Mut aufbringe und mit einem Satz in die Höhe auf seinen mächtigen Rücken springe, kaum entfährt dem Hirsch einen Laut und schon fahre ich meine Krallen aus und ramme sie ihn in den Nacken.
Das Tier unter meiner Gewalt fängt an mich zu realisieren, und versucht sich sogleich aus meinen Klauen zu befreien.
Der Hirsch klappt mit seinen zwei Hinterbeinen nach oben und versucht mich runter zu stoßen.
Adrenalin durchpumpt prompt meine Venen, getrieben von dem Wahnsinn reiße ich mein Maul auf und beiße ihm innerhalb binnen Sekunden in die Seite.
Er gibt einen undeutbaren Laut von sich.

Eine Sekunde, abgelenkt.
Plötzlich tritt das mächtige Tier abermals mit den Hinterbeinen in meine Richtung und trifft.
Ein stechender Schmerz durchzieht sogleich meine Seite, dieser breitet sich in Sekundenschnelle in meinem ganzen Oberkörper aus.

Aus dem Augenwinkel erhasche ich zwei Sekunden einen Blick zur betroffen Stelle.
Mein Fell so rot wie Rubin.
Mein kurzes entsetzen sieht er als Vorteil und beißt mich abermals in mein Bein, womit ich jedoch dann vollends zu Boden gehe.
Erschöpft winsle ich und zwinge mich dazu, meine Augen offen und wachsam zu halten.
Ich hatte mich überschätzt.

Der Hirsch dreht sich erschrocken zu mir um, keinen einzigen Moment später springt dieser plötzlich auf mich zu.
Durch mein Adrenalin gestärkt reiße ich meine blauen Augen auf und rolle meinen Körper in unmenschlicher Geschwindigkeit gerade noch zur Seite.
Der stechender Schmerz reißt mich aus allen Wolken.

Ich zwinge mich, meinen Körper aufzuraffen. Schnell ist das auch geschafft, trotz meines kaputten Beines und meine Blutgetränkte Seite, nehme ich meine letzte verbliebene Kraft zusammen und springe auf dem Tier zu, das sich gerade aggressiv zu mir umdreht.
In der Luft reiße ich meine Schnauze auf und halte seine Kehle in meinen Blick gefangen, kaum eine Millisekunde später ramme ich dem Tier meine spitzen Zähnen in die betroffene Stelle und bohre sie tief in das Fleisch des hilflosen Geschöpfes.

Mit einem letzten wimmernden Laut fällt das Tier Augenblicklich zur Seite, ich lasse von dem leblosen Körper ab, und taumle einen kraftlos Schritt mach links.
Regungslos starre ich das erledigte Wesen auf dem Boden liegend an.

Mein Triumph hält jedoch keine zwei Sekunden, denn mein kaputtes Bein ringt mich mit unglaublicher Kraft zu Boden, ich lass meinen Körper fallen und kämpfe nicht einmal gegen den Schmerz an.
Ich lasse das Naturschauspiel geschehen und spüre meinen Kopf zur Seite fallen, während mir im gleichen Moment meine Tonnenschweren Augenlieder zufallen.
Das letzte was ich sehe, ist eine dunkle Gestalt, das sich aus den tiefen des Waldes bewegt.

***

Ich weiß nicht wie lange ich weg war, Sekunden? Minuten? Stunden?
Mein Körper fühlt sich schwer an, ausgelaugt und erschöpft. Ich schaffe es nach einigen Versuchen meine Augen leicht zu öffnen. Die plötzliche Helligkeit verwirrt mich einen Augenblick lang. Unentwegt blinzle ich dagegen an. Meine Gedanken fangen an auf Hochtouren zu laufen und schnell erinnere ich mich, was als letztes geschah.

Alarmiert reiße ich meine Augen auf und versuche mich rückartig aufzusetzen. Ein stechender Schmerz jedoch lässt mich aufwinseln.
Mein Blick fällt sogleich auf ein braunes Wesen neben mir. Der Hirsch. Tod.

Meine Sicht klärt sich schnell vollends.
Der Himmel wird heller und der Mond liegt noch sichtbar am Horizont.
Mein Kopf reckt sich verwirrt nach unten.
Als erstes springt mir ein zehn Zentimeter langer Strich ins Auge, die sich über meine Seite zieht.
Ich realisiere ziemlich schnell und stelle mich jaulend und wimmernd unter Schmerzen auf.

Jemand hatte meine Wunden genäht.
Ich blicke zu meiner Pfote, sie umschließt ein weißer Druckverband.

Eine Panikwelle durchströmt sogleich meinen Wolfskörper.
Ich drehe meinen Kopf alarmiert nach links und nach rechts, lasse meine Augen genauestens durch die Umgebung schweifen, nehme jedes Detail in acht und spitze die Ohren angestrengt.

Das kann nur ein Mensch gewesen sein.





M.

Wolfsmond - Wolf der LegendeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt