24 | Keine Wahl

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Überrascht hielt Arvid inne

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Überrascht hielt Arvid inne. Obwohl Lucinda so viel kleiner war als er, konnte er ihre bedrohliche Ausstrahlung spüren. Sie war wütend, aber da war auch Unsicherheit in ihrem Blick. Kopfschüttelnd schluckte er die Worte, die er eigentlich hatte sagen wollen, wieder runter.

»Es war kein Fehler. Und ich hatte nicht vor, das zu sagen«, erklärte er beschwichtigend. Das war nicht einmal vollständig gelogen. Der Sex selbst war kein Fehler gewesen. Aber wie nah er gekommen war, die Kontrolle zu verlieren, das war ein Problem. Und ein guter Grund, warum sie es nicht wiederholen sollten. Doch er wusste, das konnte er jetzt nicht mehr sagen, sonst würde sie doch denken, dass er die Nacht bereute.

Das tat er, sehr sogar. Aber nicht so, wie Lucinda es auffassen würde. Als er vorgeschlagen hatte, dass sie sich das Bett teilen, war er der Überzeugung gewesen, dass er sich beherrschen konnte. Sie hatte ihn abgewiesen und er würde seine Finger bei sich behalten.

Doch dann war er aufgewacht mit ihr in den Armen und sie hatte sich einfach so richtig angefühlt. Warm und weich und rundum so unfassbar weiblich. Dass er sie berührt hatte, während sie geschlafen hatte, war unverzeihlich. Er hätte sich beherrschen müssen. Doch dann war sie aufgewacht und statt ihn wegzuschieben, hatte sie sich näher an ihn gepresst und so himmlisch geseufzt.

Er war verloren mit ihr in seinen Armen.

»Gut. Was wolltest du dann sagen?« Erwartungsvoll schaute Lucinda zu ihm auf, immer noch mit dieser verfluchten Unsicherheit in den Augen.

Warum zeigte sie ihre Gefühle plötzlich so offen? Oder war sie sich gar nicht bewusst, wie verletzlich sie gerade wirkte? Wie sollte er ein rationales Gespräch mit ihr führen, wenn er nichts lieber tun wollte, als sie in seine Arme zu ziehen und ihr zu sagen, dass er sie vor allem Übel beschützen würde – inklusive ihm selbst?

Um seinen Händen etwas anderes zu tun zu geben, schnappte er sich die beiden Becher vom Vortag, platzierte zwei Beutel mit Schwarztee und goss vorsichtig das heiße Wasser ein. Zu seiner Erleichterung nahm Lucinda das als Stichwort, um von ihm wegzutreten und sich stattdessen auf einen der Stühle zu setzen.

Mit einem langen Seufzen ließ er sich auf den anderen sinken. Dann riss er sich zusammen und erklärte: »Ich wollte nur sichergehen, dass bei dir alles gut ist?«

Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. »Du warst mehr Gentleman als jeder andere Mann, den ich bisher kennenlernen durfte.«

Er erwiderte das Lächeln, auch wenn er sich nicht danach fühlte. Wenn sie wüsste, wie es wirklich in ihm aussah. Was er wirklich tun wollte mit ihr in seinen Armen. Unter ihm. Ihm schutzlos ausgeliefert. Er in Kontrolle und sie machtlos.

Rasch nahm er einen Schluck vom Tee, auch wenn er sich dabei verbrannte. Er durfte diesen Gedanken nicht folgen. Sie waren unangebracht und am Ende würden sie ihn nur unglücklich machen. Stattdessen widmete er sich dem Thema, das eigentlich gerade wichtig sein sollte. »Hattest du die Chance, über meine Frage nachzudenken?«

Er konnte sehen, dass Lucinda einen Augenblick brauchte, um ihre Gedanken zu sortieren. Das Lächeln verschwand und machte Traurigkeit Platz, doch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Er wünschte, er könnte ihr sagen, dass es besser war, wenn sie Intimität zukünftig mieden. Dass es besser für sie war. Diese Traurigkeit zu sehen, wann immer sie sich abgewiesen fühlte, bereitete ihm Schmerzen. Doch wie sollte er das sagen, ohne dass sie sich noch mehr abgewiesen fühlte?

»Ich habe einen Notfallkontakt«, fing sie schließlich an. »Als Tochter von Regierungsmitarbeitern in gefährlichen Positionen habe ich immer einen gewissen Schutz genossen. Nachdem sie ermordet wurden, hat eine direkte Kollegin von ihnen mir seine Nummer gegeben und mir gesagt, dass ich sie darüber immer erreichen kann.«

»Und du vertraust ihr?«

Lucinda zuckte mit den Schultern. »Bis gestern hätte ich darauf mit absoluter Sicherheit geantwortet. Sie hat viele Jahre mit meinen Eltern zusammengearbeitet, ihre Missionen betreut und sich viel um den Papierkram gekümmert. Der Tod meiner Eltern hat sie schwer getroffen. Das weiß ich noch. Sie hat versucht, mich zu trösten, aber ich glaube, sie hätte selbst auch Trost gebraucht.«

»Aber?«

»Bis gestern wusste ich nicht, dass die von Thulens Verbrecher sind. Meine Eltern wussten das garantiert auch nicht. Und wenn sie das nicht wussten, wie viele andere wussten und wissen es nicht? Ich habe keine Ahnung, ob die Kollegin Kontakt zu deiner Familie hat. Ob sie vielleicht sogar direkt mit ihnen zusammenarbeitet.«

Arvid nickte stumm. Er verstand dieses Problem nur zu gut. Schon als er die Informationen gesichert hatte, war ihm bewusst gewesen, dass das der leichte Teil war. Jemanden zu finden, der mit den Informationen was anfangen konnte und so handelte, dass seine Familie wirklich hinter Gittern landete, war deutlich schwieriger. Und jetzt, da er verstand, wie tief die Verleumdung gegen ihn ging, machte er sich noch mehr Sorgen. Würde ihm überhaupt jemand glauben, wenn selbst Lucinda immer nur Schauergeschichten über ihn gehört hatte?

Er nahm einen weiteren Schluck Tee, diesmal vorsichtiger und ohne sich zu verbrennen. »Wir haben nicht viel Wahl, fürchte ich.«

»Wie meinst du das?«

»Ich wusste von Anfang an, dass es schwer bis unmöglich wird, die Informationen in die richtigen Hände zu spielen. Das hat mich nicht abgehalten, es zu versuchen. Jetzt habe ich eine Chance und auch, wenn es ein hohes Risiko bedeutet, ich muss es versuchen. Ich darf mich nicht davon ablenken lassen, was meine Familie vielleicht tun könnte und auf wen sie vielleicht Zugriff hat. Wenn ich mich davon abhalten lasse, habe ich schon verloren.«

Lucinda legte beide Hände um ihren Teebecher und starrte lange in die dampfende Flüssigkeit. Sie wirkte ganz weit weg, aber keine Emotion war auf ihrem Gesicht zu lesen. Schließlich schaute sie wieder zu ihm auf. »Weißt du, wenn das hier schief geht, sind wir beide tot. Gestern erst wurde auf mich geschossen mit der Absicht, mich zu töten. Dass ich dich in mein Haus gelassen habe, könnte zu einem sehr schnellen, gewaltsamen Tod führen.«

Arvid presste die Kiefer härter aufeinander. Das war derselbe Gedanke, der ihn plagte, seit sie ihn vor dem Verbluten gerettet hatte. Er zwang sich, ihrem Blick standzuhalten. »Es tut mir leid, Lucy. Es tut mir so leid. Ich hatte kein Recht, dich in meine Probleme reinzuziehen.«

Zu seiner Überraschung lächelte sie und schüttelte den Kopf. »Das meinte ich nicht. Was ich sagen will, ist Folgendes: Ich schwebe bereits in Todesgefahr. Der einzige Weg, hier heil rauszukommen, ist, dass es uns gelingt, die Verbrechen deiner Familie aufzudecken. Und selbst dann sind wir noch in Gefahr. Aber wie du schon sagst, wir haben keine Wahl. Wir können uns nicht ewig verstecken, ich kann nicht weglaufen. Das hier wird mich einholen. Also. Lass uns mutig sein und es wagen. Wir rufen Maria an und setzen alles auf eine Karte.«



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