11 | Der Hinterausgang

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Geschäftig kontrollierte Lucy die Rücksäcke ein letztes Mal

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Geschäftig kontrollierte Lucy die Rücksäcke ein letztes Mal. Während John oben duschen war, hatte sie Sandwiches geschmiert, Eier gekocht und Äpfel aus dem Keller geholt. Das alles hatte sie in einen alten Rucksack, den sie nicht mehr benutzte, gestopft, zusammen mit ein paar weiteren Dingen, die ihm auf der Flucht hilfreich sein könnten.

Zur Sicherheit hatte sie sich auch einen eigenen Rucksack fertig gemacht. Sie hatte nicht vor, ihn zu begleiten, aber sie würde ihm zumindest ein Stück den Weg weisen – und man wusste nie, welche unerwarteten Gefahren dort auf sie lauern würden.

Frisch geduscht kam John die Treppe runter, die Haare noch feucht, aber jetzt offensichtlich wacher als noch am Morgen. Verstohlen ließ Lucy ihren Blick über seinen Oberkörper wandern. Das frische Polohemd, das sie ihm rausgelegt hatte, war ein bisschen zu klein und schmiegte sich so an seine Brust und Oberarm, dass die Muskeln besonders gut zur Geltung kamen. Es war ein Anblick, an den sie sich gewöhnen könnte.

Doch dazu würde es nie kommen. Kopfschüttelnd verschloss sie ihren Rucksack und bedeutete John, sich an den Küchentisch zu setzen. »Ich mache den Verband noch einmal neu. Die Wunde scheint nicht mehr zu bluten und mit etwas Glück heilt alles gut ab. Aber wenn du kannst, solltest du unnötige Strapazen vermeiden die nächsten Tage.«

Er nickte bloß. »Was ist das?« Er wies mit seinem Kinn auf die Rücksäcke.

Während sie mit geübten Griffen seinen Verband abrollte, erklärte Lucy: »Ich hab dir wie versprochen ein kleines Survival Pack zusammengestellt. Essen, zwei Flaschen Wasser, Zahnbürste und sowas.«

»Und der andere Rucksack?«

»Das ist meiner. Keine Sorge, ich hab nicht vor mitzukommen. Aber zumindest ein Stück muss ich dir den Weg weisen und ich bin lieber doppelt vorbereitet als gar nicht.« Sie inspizierte seine Wunde kurz, ehe sie zufrieden nickte. »Sieht sauber aus und ich kann keine Entzündung jenseits des üblichen Rahmens erwarten. Du hast Glück gehabt.«

Es war nervenaufreibend, so nah an ihm zu stehen und ihn zu berühren, während sein Blick unverwandt auf ihr lag. Sie wusste, dass er versuchte, hinter ihre Geheimnisse zu kommen, und das bereitete ihr Sorgen. Dass er sich sogar dazu herabließ, mit ihr zu flirten, um mehr aus hier rauszubekommen, hatte ein ungutes Gefühl in ihr hinterlassen. Sie war viel zu anfällig für Männer von seinem Typ. Wenn er es wirklich drauf anlegte, würde sie ihm früher oder später alles erzählen.

Und genau deswegen war es gut, dass sie ihn jetzt loswurde.

Sie steckte den Verband fest, dann richtete sie sich wieder auf. »So gut wie neu. Ich hab dir noch einen Pulli und eine andere Jacke rausgelegt. Und ich hab von meinem Opa eine alte Schiebermütze gefunden. Ist nicht viel, aber besser als gar nichts.«

Folgsam zog John sich den schlichten blauen Pullover über. »Wie kommt es eigentlich, dass du so viele Klamotten in meiner Größe hast?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Die gehören meinem Vater. Seine Statur war deiner ähnlich.«

Lucy konnte sehen, dass John zu einer Nachfrage ansetzte, doch dann senkte er bloß den Blick und schlüpfte in die gefütterte Regenjacke. Mit der Mütze auf und der dunkelgrünen Jacke an sah er jetzt definitiv nicht mehr nach demselben John aus, den sie blutend in einer Lederjacke vor ihrem Haus gefunden hatte. Das war gut.

»Verrätst du mir jetzt, welchen Hinterausgang wir nehmen?«

»Ausgang ist vielleicht ein bisschen zu viel versprochen.« Sie grinste ihn von unten an, während sie ihre Laufschuhe sorgsam zuknotete. »Ich hoffe, du bist nicht geruchsempfindlich. Warte hier.«

Lucy riskierte einen schnellen Blick durch das Fenster neben der Haustür, aber noch immer war alles ruhig auf der Straße. Sie vergewisserte sich, dass die Tür abgeschlossen war, dann kniete sie sich hin und schob zuerst den Riegel unten und dann oben an der Tür vor. Sie war versucht, auch ihre Jalousien runterzulassen, entschied sich aber dann dagegen. Sie wollte die Beobachter draußen nicht früher als nötig merken lassen, dass die Beute ausgeflogen war.

Sie schnappte sich ihre gefütterte Weste und Regenjacke, dann kehrte sie zu John zurück, der tatsächlich brav im Flur gewartet hatte. »Okay, auf geht's.«

Noch einmal ließ sie ihren Blick durch alle Räume im Erdgeschoss wandern, ehe sie die Tür zum Keller öffnete und, ohne das Licht anzumachen, die Treppe runter stieg. »Pass auf, wohin du trittst, die Treppe hat bessere Tage gesehen.«

»Wenn du nicht extra Rucksäcke für uns gepackt hättest, wäre ich spätestens jetzt besorgt, dass du mich in den Keller entführst, um mich kalt zu stellen.« Johns Stimme klang belustigt, aber sie konnte Anspannung darunter entdecken.

Lucy konnte es ihm nicht verdenken. Alles an ihrem Verhalten war seltsam, das musste sie sich inzwischen selbst eingestehen. Dass er ihr schon vorher nicht getraut hatte, machte es nicht besser. Doch es gab nichts, was sie sagen konnte. Stattdessen holte sie eine winzige Taschenlampe aus ihrer Hosentasche und leuchtete ihnen den Weg.

Versteckt hinter einem Regal, in dem nur leere Kisten standen, legte sie eine verstecke Klappe frei. Besorgt drehte sie sich zu John um, der wie sie in die Hocke gegangen war. »Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, ob du hier durch passt. Für meinen Vater hat's gereicht, aber du bist noch ein Stück größer als er.«

In der Dunkelheit, die kaum von ihrer Taschenlampe erhellt wurde, konnte sie seine Gesichtszüge nicht lesen, aber sein Tonfall verriet, dass das Misstrauen wieder da war. »Ein versteckter Ausgang in deinem Keller? Ernsthaft, Lucy. What the fuck?«

»Willst du ungesehen rauskommen? Dann halt die Klappe und folge mir.« Sie ging auf alle Viere und kletterte durch das Regal in den niedrigen Tunnel. »Sag Bescheid, falls du nicht durchpasst.«

Ohne auf eine Antwort zu warten, kroch sie vorwärts. Sie konnte John verstehen, aber es war sinnlos, ihm jetzt groß etwas zu erklären. Wenn alles gut ging, würden sie sich in spätestens einer halben Stunde trennen und nie wieder sehen. Je weniger er über sie wusste, desto besser.

Gerade als sie befürchtete, dass er es sich anders überlegt hatte, hörte sie ein genervtes Stöhnen hinter sich und dann verriet das Rascheln der Regenjacke ihr, dass er ihr folgte. Sie warf kurz einen Blick zurück und musste sofort an sich halten, nicht zu kichern. Anders als sie musste John sich auf dem Bauch vorwärts robben, um durch den niedrigen Tunnel zu passen, ohne den Rucksack zu verlieren.

Grinsend kroch sie weiter. Nach etwa fünf Minuten kam das Ende des Tunnels in Sicht. Umständlich steckte sie die Taschenlampe zurück in ihre Hosentasche, ehe sie nach dem Knauf tastete, der die Tür von innen entriegeln würde. Mit etwas Kraftaufwand schaffte sie es schließlich, die Klappe aufzudrücken.

Vorsichtig schob sie ihren Kopf durch die Öffnung und blickte schnell nach rechts und links. Außer dem strengen Geruch, den sie erwartet hatte, war die Luft rein. Rasch kletterte sie raus und bedeutete John, ihr zu folgen.

Als sein vor Ekel verzogenes Gesicht in der Tunnelöffnung erschien, konnte sie sich einen ironischen Kommentar nicht verkneifen. »Willkommen im Reich der Kanalratten, wo niemand freiwillig länger als nötig bleibt und die Luft immer den wundervollen Mix der Stadt mit sich bringt.«



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