8 | Heiße Wut

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Jeder Gedanke an die Möglichkeit eines leidenschaftlichen Kusses mit dem heißen Fremden in ihrer Küche verschwand

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Jeder Gedanke an die Möglichkeit eines leidenschaftlichen Kusses mit dem heißen Fremden in ihrer Küche verschwand. Mit rasendem Herz erwiderte Lucy seinen suchenden Blick. Was sollte sie auf diese Frage sagen? Dass sie ihr Studium abgebrochen und jetzt eine Ausbildung beim Tierarzt machte? Dass sie gerade ihre Großeltern verloren hatte und deswegen jetzt im jungen Alter schon Hausbesitzerin war?

Sie schluckte. Das war alles die Wahrheit, aber nicht das, wonach John gerade fragte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie so durchschaubar war. Aber wie hätte sie das auch ahnen sollen, immerhin war sie bisher außerhalb ihrer Familie nie mit diesem Aspekt ihres Lebens konfrontiert worden. Keiner aus ihrem Freundeskreis hatte je die Seite von ihr gesehen, die sie heute Nacht und am Morgen gezeigt hatte.

Hitze stieg ihr in die Wangen, doch sie war nicht bereit, kleinbeizugeben. »Ich bin Lucinda und mir gehört dieses Haus. Die Frage ist doch viel mehr, wer du bist, John

Sie wollte ihn mit beiden Armen von sich stoßen, doch er war schneller. Noch bevor sie wirklich ausgeholt hatte, packte er ihre Handgelenke und führte sie hinter ihrem Rücken zusammen. Die Kaffeemaschine hinter ihr gab röchelnd das Signal, dass der Kaffee fertig war, doch keiner von beiden schenkte ihr Aufmerksamkeit. Johns Blick blieb hart. »Ich fange an, daran zu zweifeln, dass es nur dein gutes Herz war, dem ich meine glückliche Rettung zu verdanken habe. Woher weiß ich, dass du nicht auch mit denen unter einer Decke steckst?«

Kurz versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien, doch er bewegte sich keinen Fingerbreit. Das war nicht umsonst ihr erster Gedanke gewesen, als sie ihm in ihrem Vorgarten auf die Beine geholfen hatte. Er war ein Hüne und gebaut wie ein Schrank. Ihre körperliche Unterlegenheit war jetzt zu einer sehr realen Gefahr geworden.

Lucy verzog grimmig den Mund. »Mit denen? Ich weiß nicht mal, wer die sein sollen. Ich weiß ja schon nicht, wer du bist! Warum sollte ich die Polizei für dich anlügen, wenn ich mit denen unter einer Decke stecke? Das macht gar keinen Sinn!«

Hinter ihrer Wut versteckte sich eine gehörige Portion Angst, doch sie war nicht bereit, ihm davon irgendetwas zu zeigen. Ihre Wut war berechtig. Er kam zu ihr, ließ sich von ihr retten, ließ sich von ihr ein Bett für die Nacht geben, und dann griff er sie an, nachdem sie für ihn die Polizei belogen hatte? Er hielt sie mühelos gefangen und warf ihr vor, sie sei die Gefahr?

Nur das leise Tropfen des Kaffees hinter ihr war zu hören, während sie sich gegenseitig anstarrten. Johns blick war kalt und hart, ganz im Gegensatz zu seinem Körper, dessen Hitze Lucy auf jedem Zentimeter ihrer Haut spüren konnte. Ein unverrückbarer Fels, der von ihren schwächlichen Versuchen sich zu befreien nicht beeindruckt war.

Schließlich stieß er zischend die Luft aus und gab sie frei. Kopfschüttelnd ließ er sich auf einen der Küchenstühle sinken. »Mit dir stimmt was nicht, Lucinda. Du kannst mir nicht erzählen, dass du ein total normales Leben hast. Das kaufe ich dir niemals ab.«

Sie rieb sich ihre Handgelenke, ehe sie sich umdrehte und zwei Becher für den Kaffee aus einem Hängeschrank nahm. »Hab ich nie behauptet. Aber mein Leben geht dich genauso wenig an, wie mich dein echter Name angeht.«

»Ich sollte wirklich gehen.«

Lucy seufzte tief und stellte ihm einen Becher mit heißem Kaffee auf den Tisch. »Ich versteh das, aber ich glaube immer noch, dass das keine gute Idee ist. Die wissen, dass ich sie angelogen habe. Die wissen, dass du hier bist.«

Er schnaubte. »Kannst du mir wirklich vorwerfen, dass ich misstrauisch bin? Ich hab dich gerade bedroht und jetzt stellst du mir seelenruhig einen Kaffee hin und machst dir Sorgen darum, was passiert, wenn ich aus deiner Tür trete?«

Ergeben nahm sie ihm gegenüber Platz und schloss ihre Hände um ihren eigenen Kaffeebecher. »Okay, okay, ich habs verstanden. Wenn du unbedingt darauf bestehst, bitte. Hier ist eine kleine Brotkrume. Ich habe meine eigenen schlechten Erfahrungen mit der Polizei. Ich weiß aus Erfahrung, dass die manchmal auf der falschen Seite des Gesetzes stehen. Selbst hier in Deutschland, einem viel gepriesenen Rechtsstaat.«

John nippte vorsichtig an seinem Kaffee. »Das bringt mich kein Stück weiter, aber gut. Du lässt mir meine Geheimnisse, ich lasse dir deine.«

»Na endlich.«

Er schaute sie über den Tisch hinweg mit einer hochgezogenen Augenbraue an. »Du bist viel zu frech für so eine kleine Frau. Wenn ich wollte, könnte ich dich mit einer Hand auf den Küchenschrank heben und dort oben versauern lassen.«

Gegen ihren Willen musste Lucy grinsen. »Das würde ich zu gerne sehen.« Schnell wurde sie jedoch wieder ernst. »Leider müssen wir das verschieben. Wir sollten eine Lösung für dein Problem mit der Polizei finden.«

John nickte ebenso ernst. »Ich denke immer noch, dass ich einfach abhauen sollte. Ehrlich, Lucinda. Jede Minute, die ich hier verbringe, bist du in Gefahr.«

»Auf einer Skala von eins bis zehn, wie groß ist die Gefahr?«

Er rollte mit den Augen. »Zehn, Lucinda. Ist das so schwer zu verstehen? Diese Menschen gehen über Leichen.«

Ein eiskalter Schauer lief ihr den Rücken runter. Sie hatte das bereits angenommen, aber es so aus seinem Mund zu hören, machte die Gefahr plötzlich real. Ohne ihr Zutun schossen ihre Gedanken zu ihren Eltern. Dass sie die letzten Schuljahre bei ihren Großeltern gelebt hatte, war die Schuld ihrer Eltern gewesen. Sie hatten in einer ähnlichen Situation die Gefahr eher als fünf eingestuft und dafür mit ihrem Leben bezahlt.

Lucy zwang sich, langsam ein- und auszuatmen. Erinnerungen an ihre Eltern halfen ihr gerade nicht weiter. Sie würde die zehn ernstnehmen. Und auch, wenn sie John genaugenommen nicht kannte, sie würde nicht zulassen, dass er dasselbe Schicksal erlitt wie ihre Eltern.

»Okay«, presste sie angestrengt hervor. »Okay. Verstanden. Ich nehme die Sache ernst, versprochen. Aber ich kann trotzdem nicht zulassen, dass du einfach aus meiner Tür spazierst. Ich hab dich nicht die halbe Nacht zusammengeflickt, nur damit du von einem x-beliebigen Polizisten in meinem Vorgarten erschossen wirst.«

»Lucinda–«

»Nenn mich Lucy«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Meine Freunde nennen mich Lucy. Nachdem ich dir schon ein Mal das Leben gerettet habe und es jetzt vermutlich wieder tue, halte ich es nur für angemessen, dass du mich Lucy nennst.«

Ein ehrliches Lächeln trat auf seine Lippen. »Lucy. Okay. Ich sehe schon, Widerstand ist zwecklos.«

Erwartungsvoll schaute sie ihn an, doch John schien nicht mehr zu sagen zu haben. Enttäuschung machte sich in ihr breit, die sie sofort als erbärmlich wegschob. Warum hatte sie auch erwartet, dass er als Reaktion auf ihren Spitznamen mit seinem echten Namen rausrückte? Nur weil sie ihm ein Stück weit vertraute, hieß das noch lange nicht, dass er ihr auch vertrauen musste. Es war dumm und naiv, so zu denken.

Energisch erhob sie sich von ihrem Stuhl. »Ich back uns Brötchen auf. Mit vollem Magen lässt es sich besser Pläne schmieden. Und wenn wir das hier beide überleben wollen, brauchen wir die besten Pläne.«



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