2 | Ein Blutproblem

138 22 8
                                    

Sekunden vergingen, in denen Lucy nur zu dem Mann über ihr hochstarren konnte

Ops! Esta imagem não segue as nossas directrizes de conteúdo. Para continuares a publicar, por favor, remova-a ou carrega uma imagem diferente.

Sekunden vergingen, in denen Lucy nur zu dem Mann über ihr hochstarren konnte. Sie bereute jeden einzelnen Schritt, der sie in diese Situation gebracht hatte. Hätte sie doch einfach die Polizei gerufen, als sie eine bewusstlose Gestalt vor ihrem Haus gefunden hatte. Hätte sie nur nicht versucht ihn aufzuwecken. Wäre sie am liebsten gleich ganz zu Hause geblieben und hätte nie diesen Mitternachtsspaziergang gemacht.

»Wer bist du?«, wiederholte der Fremde. Seine Stimme klang aggressiv und kalt, als würde er nicht davor zurückschrecken, den Druck auf ihren Hals zu erhöhen, wenn sie nicht sofort eine Antwort gab.

»Lucinda«, presste sie mühsam hervor. »Ich wohne hier.«

Augenblicklich wollte sie sich selbst für ihre Antwort schlagen. Es war vermutlich eine dumme Idee, einem gefährlichen Fremden zu verraten, wo sie wohnte. Doch die Worte waren raus. Sie hörte das Blut in ihren Ohren rauschen. Noch immer zitterte sie vor Kälte, während gleichzeitig Schweiß aus jeder Pore trat. Immer wieder waberte ein Gedanke durch ihren Geist. Würde er sie töten? Sie konnte an nichts anderes denken.

»Du wohnst hier«, wiederholte er. Noch immer blickte er misstrauisch auf sie hinab, doch der Griff um ihren Hals lockerte sich. »Was machst du um diese Zeit draußen?«

»Spaziergang«, erklärte sie hektisch. »Ich war nur spazieren.«

Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als könnte er nicht glauben, was er da hörte. Doch dann ließ er endlich von ihr ab und gab sie frei. An der Art, wie er sich umständlich von ihr wegbewegte, konnte Lucy sehen, dass sein rechter Arm ihm große Schmerzen bereiten musste. Kaum war sie frei, schob sie sich rückwärts von ihm weg und setzte sich auf.

Unsicher, was sie als nächstes tun sollte, schielte sie zu ihm. Er saß mit geschlossenen Augen an ihre Hecke gelehnt, die morgen sicherlich eine schöne Delle zeigen würde. Seine linke Hand lag auf seinen rechten Oberarm gepresst. Im Schein des Mondlichts konnte sie sehen, dass er blass war, seine Lippen blutleer und sein Gesicht schweißbedeckt. Wäre er in der Lage, sie ins Haus zu verfolgen, wenn sie jetzt schnell aufsprang und die wenigen Meter den Weg zur Haustür sprintete, aufschloss und die Tür sofort hinter sich zuwarf?

»Sorry für das eben«, kam es schwach von dem Mann. Sein Blick lag jetzt auf ihr, ohne das Misstrauen von zuvor. Stattdessen wirkte er beinahe verzweifelt. »Ich hatte heute Nacht eine unschöne Begegnung mit nicht gerade freundlich gesinnten Genossen. Für einen Moment dachte ich, du gehörst dazu.«

Skeptisch erwiderte sie seinen Blick. Konnte sie ihm auch nur ein Wort glauben nach dem, was er getan hatte? Wieso saß sie überhaupt noch hier, anstatt ins Haus zu fliehen? Kopfschüttelnd erhob sie sich. »Traurige Geschichte.«

Er zog eine Grimasse. »Ich weiß, ich kann nichts von dir erwarten. Du solltest vermutlich die Polizei rufen.«

»Das sollte ich«, bestätigte sie abwartend.

Müde schaute er zu ihr auf. »Ich weiß nicht, ob du's bemerkt hast, aber ich hab hier ein kleines Blutproblem. Genauer gesagt, ein Problem mit Blutverlust. Ich glaube, wenn ich da nicht sehr bald was gegen unternehme, kannst du einen Totengräber statt er Polizei für mich rufen.«

Ungläubig klappte Lucy der Mund auf. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. »Fragst du mich gerade ernsthaft nach Hilfe?«

Er grinste humorlos. »Ich weiß, ich weiß. Ziemlich schamlos. Aber ich mein's ernst. Ich glaube, ich verblute gerade in deinem Vorgarten.«

Schnaubend stemmte sie ihre Fäuste in die Hüften. Das allerletzte, was sie tun sollte, war, ihm zu helfen. Sie sollte die Polizei rufen, oder mindestens einen Rettungswagen, und dann in ihr Haus verschwinden, in Sicherheit, weg von ihm. Ihr Blick wanderte auf ihren gepflasterten Weg. Dort, wo er gelegen hatte, war eine große Blutlache zu sehen, die beinahe schwarz im Schatten schimmerte. Sein rechter Arm hing reglos herab, aber sie konnte im Mondlicht erkennen, wie ein dünnes Rinnsal von Blut von seinen Fingern auf das Pflaster tropfte.

Fluchend warf sie die Arme in die Luft. »Schön, okay. Ich helf dir, die Blutung zu stoppen, und dann rufe ich einen Rettungswagen, der dich ins Krankenhaus schafft.«

»Das ist ... danke. Das habe ich nicht verdient nach meinem Angriff. Du hast ein gutes Herz.« Seine Stimme klang schwach, doch sie hörte eine Wärme darin, die sie überraschte. Vielleicht war dieser Mann kein schlechter Mensch.

Sie drehte sich um, den Schlüssel in der Hand, und wollte gerade die Tür aufschließen, da rief er leise nach ihr. »Sorry, Lucinda, ich will nicht mehr Umstände machen als nötig, aber ich glaube, ich komme alleine nicht auf die Beine.«

Lucy atmete bewusst langsam aus. Dieser Kerl fing an, ihr auf die Nerven zu gehen. Jeden Schritt entlang des Weges schien er mehr von ihr zu wollen. Vielleicht sollte sie ihn einfach vor ihrer Tür verbluten lassen.

Über sich selbst den kopfschüttelnd drehte sie sich wieder um und stampfte zu ihm zurück. Ungeduldig hielt sie ihm eine Hand hin. Beinahe beschämt blickte er sie an, ehe sich seine große Hand um ihren Unterarm legte. Sie packte seinen Unterarm mit beiden Händen und zog, während er sich stöhnend hocharbeitete. Beinahe wäre sie unter seinem Gewicht gestrauchelt, doch sie stemmte sich verbissen dagegen, bis er schließlich aufrecht stand.

Jetzt konnte sie sehen, wie groß er tatsächlich war. Sie wusste, dass sie selbst eher klein war, aber dass er sie um beinahe zwei Köpfe überragte, war trotzdem eine unangenehme Überraschung. Seine breiten Schultern deuteten zudem auf einen trainierten Körper hin, den er selbst unter der Lederjacke nicht verbergen konnte. Eines war klar: Dieser Mann war ihr selbst in diesem Zustand körperlich absolut überlegen. Zögernd biss sie sich auf die Lippe.

»Du überlegst es dir gerade anders, hm?« Er klang wenig überrascht. »Ich kann nichts für mein Aussehen, weißt du? Ich bin nicht absichtlich ein Riese.«

Gegen ihren Willen musste sie grinsen. Worüber dachte sie hier eigentlich nach? Jeder Mann war ihr körperlich überlegen, das hatte sie ihr ganzes Leben lang schon zu spüren bekommen. Gerade eben hatte sie sich dazu durchgerungen, ihm zu helfen. Sein Körperbau sollte sie davon jetzt nicht abhalten. Denn ein Fakt blieb gleich: Er blutete gerade vor ihren Augen aus.

»Schön«, grummelte sie. »Komm rein.«



Ops! Esta imagem não segue as nossas directrizes de conteúdo. Para continuares a publicar, por favor, remova-a ou carrega uma imagem diferente.
Mitternachtsspaziergang | ONC 2024Onde as histórias ganham vida. Descobre agora