19 | Auf dem Dach

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Mit einem Seufzen ließ sie zu, dass Arvid sie auf seinen Schoß zog

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Mit einem Seufzen ließ sie zu, dass Arvid sie auf seinen Schoß zog. Seinen muskulösen Körper zwischen ihren Beinen zu spüren, verscheuchte auch den letzten Gedanken daran, dass das hier gerade eine ganz schlechte Idee war. Während seine Hände auf ihrem Hintern zu liegen kamen, schlang sie ihre Arme um seinen Hals. Sie wollte mehr. Sie wollte jeden Zentimeter seines Körpers mit ihren Fingern erkunden.

Nach Luft ringend unterbrach Lucy den Kuss. Sie wollte etwas sagen, doch die Worte blieben ihr im Halse stecken, als sich Arvids Lippen auf ihren Hals legten und seine Zunge sanft über ihre sensible Haut fuhr. Stattdessen kam ihr ein unterdrücktes Stöhnen über die Lippen.

Leise lachend ließ er von ihr ab und umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen. »Hätten wir das auch geklärt.«

Irritiert runzelte Lucy die Stirn. Ihr Herz raste noch immer und ihr war beinahe schwindelig von dem Kuss, und Arvid konnte schon wieder lachen und einen Scherz machen? »Was?«

Er presste ihr noch einen Kuss auf die Wange, ehe er erwiderte: »Seit ich heute Nacht in deinen Armen aufgewacht bin, hab ich mich gefragt, ob du dich wohl zu einem Kuss überreden lassen würdest. Mir scheint, die Antwort ist ja.«

Eine Welle der Erregung überrollte Lucy, doch sie zwang sich, die Hitze in ihren Wangen und zwischen ihren Beinen zu ignorieren. Umständlich rutschte sie von seinem Schoß, um sich neben ihm hinzusetzen. Sie war also nicht alleine gewesen mit dem Gefühl, sich wie magisch von Arvid angezogen zu fühlen. Das war gut zu wissen. Aber wie locker er das sagen konnte, während ihr ganzer Körper in Flammen stand und sie kaum klar denken konnte, missfiel ihr.

»Sorry, ich hab dich nicht ausgelacht oder so, falls du das denkst.« Arvid schien ihre gekippte Stimmung bemerkt zu haben. »Es war nur ein blöder Kommentar, der mir rausgerutscht ist, weil ich so erleichtert war. Ich hab mir wirklich Mühe gegeben, meine Finger bei mir zu lassen. Aber du machst das echt schwer.«

Der Blick, den er ihr bei den letzten Worten zuwarf, setzte Lucinda augenblicklich wieder in Brand. Es war nicht so, dass sie nie Komplimente hörte. Aber gepaart mit diesem Ausdruck in seinen Augen, als wollte er sie beim lebendigen Leib auffressen, fühlte sie sich machtlos gegen die Wucht ihres Verlangens.

Mühsam räusperte sie sich. »Das war sehr ehrlich. Danke.« Sie traute sich nicht, noch mehr zu sagen, sonst würde ihre Stimme verraten, wie stark der Effekt seiner Worte auf sie war.

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Arvid mehrmals blinzelte, ehe er sich im Nacken kratzte und nickte. »Okay. Gut. Ich bin dann mal wieder unten.«

Nachdem sich Lucy sicher war, dass er durch die Tür nach drinnen verschwunden war, schlug sie die Hände vor ihrem Gesicht zusammen und stöhnte gequält auf. Sie hasste es, wie ihre Gedanken manchmal schneller die Kontrolle über alles übernahmen, als ihr lieb war. Warum musste sie sich so an einem scherzhaften Satz aufhängen? Die Stimmung war gut gewesen, er hat sogar fröhlich gelacht, und sie musste natürlich sofort wieder jedes Wort dreimal umdrehen und interpretieren, was ihr gerade einfiel.

Anstatt sich darauf zu konzentrieren, dass er mehr oder weniger direkt gesagt hat, dass er sie vom ersten Anblick an attraktiv fand, stürzte ihre Psyche sich natürlich darauf, dass er weniger mitgenommen von dem Kuss wirkte als sie und deswegen natürlich ein Mann war, der reihenweise Frauen küsste und dabei emotional kalt blieb. Sie schlug sich mehrmals frustriert gegen die Stirn. Wenn sie nur öfter aus ihrer eigenen Haut könnte.

So selbstbewusst sie auch war, wenn es darum ging, Dinge zu planen und anzupacken, so schnell verlor sie jeden Halt, wenn es um Emotionen ging. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, dass die Jahre an Therapie einfach einen Schalter in ihr umlegen könnten und sie endlich auch da direkter und offener handeln konnte. Arvid konnte sich doch auch emotional öffnen und er hatte einen deutlich schwereren Lebensweg hinter sich.

Genervt von sich selbst und ihren kreisenden Gedanken richtete Lucy sich auf. Es brachte nichts, wieder und wieder durchzukauen, was sie eh schon über sich wusste. Vielleicht war es besser, dass es bei diesem kurzen Kuss geblieben war. Sie waren in einer viel zu prekären Lage, als dass sie sich von Gefühlen – und sei es nur körperliches Verlangen – ablenken lassen durften. Und sie kannte sich gut genug, um zu wissen, dass es eben nicht bloß beim Körperlichen bleiben würde. Nicht für sie.

Vorsichtig ließ sie sich vom Dach rutschten. Mit dem festen Waldboden unter den Füßen reckte sie sich ausgiebig und streckte ihre Arme so weit sie konnte nach oben. Langes Stillsitzen war nichts für sie. Es war Zeit, dass sie mit Arvid über das eigentlich Wichtige redete: Wie sollte es jetzt weitergehen?

Beherzt griff sie nach der Türklinke, doch in der letzten Sekunde erstarrte sie. Heißer Scham rollte über sie, während sie noch einmal ihre abrupte Reaktion auf den Kuss und den folgenden Scherz durchlebte. Innerlich fluchend packte sie die Türklinke und zwang ihre Gedanken in eine andere Bahn.

»Hey.« Arvid grüßte sie, ohne von seinen Notizen aufzuschauen.

Sie erwiderte den Gruß und setzte sich zu ihm an den Tisch. Er hatte offensichtlich das kleine Notizbuch gefunden, das sie ihm eingepackt hatte. Sie ging nie irgendwohin, ohne etwas zu schreiben dabei zu haben, und sie war der Meinung, dass alle Menschen das so handhaben sollten. Arvid jedenfalls schien ihre Voraussicht zu schätzen, auch wenn er es nicht weiter kommentierte.

Sie verrenkte den Hals, um auf seine hastig geschriebenen Worte zu schauen, doch sofort zog er das Büchlein weg. »Sorry, ich kann dir das nicht zeigen.«

Gekränkt verschränkte Lucinda die Arme vor der Brust und ließ sich im Stuhl zurücksinken. »Du vertraust mir immer noch nicht?«

Endlich schaute er zu ihr auf. Sein Ausdruck war wieder so wachsam und verschlossen, wie sie es schon in ihrem Haus erlebt hatte. Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, doch sie wusste, sie hatte nur sich selbst dafür zu danken.

Arvid hob die Schultern in einer entschuldigenden Geste. »Ich will dir vertrauen, Lucy. Dass du mir meine Geschichte geglaubt hast, bedeutet mir viel. Du hast allen Grund, mir nicht zu glauben. Aber in meiner Situation lernt man, dass man nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich mit anderen teilen sollte.«

Wut stieg in ihr auf. Sie hatte alles riskiert für diesen Mann. Sie hatte sogar zugelassen, dass er Zweifel an den Berichten ihrer Eltern streut. Und er vertraute ihr nicht? Sie hatte gut Lust, ihn einfach hier alleine zu lassen und auf eigene Faust einen Weg zu finden, ihr Leben wieder hinzubiegen.

Sie verschränkte ihre Arme und Beine und atmete tief ein. Sein Verhalten nach dem Kuss hatte sie verletzt und das trübte jetzt ihren logischen Verstand. Genau wie sie vorher keine Zeit gehabt hatte, sich um ihr inneres, verletztes Kind zu kümmern, so konnte sie jetzt nicht ihre wütenden Anteile die Kontrolle übernehmen lassen. Sein Misstrauen war logisch und richtig und für ihn vermutlich überlebenswichtig. Sie durfte ihm das nicht übelnehmen, auch wenn sie es wollte.

»Okay.« Lucy erhob sich mit mehr Energie als sie wirklich hatte vom Tisch. »Ich mach uns eine Dose Ravioli warm. Wenn du Hilfe brauchst oder Rat oder irgendwas anderes, sag Bescheid. Ich bin hier, um dich zu unterstützen, okay?«

Sein Blick wanderte zu ihr hoch, jetzt deutlich wärmer und offensichtlich erleichtert. »Ich weiß, Lucinda. Danke.«




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