13 | Gemeinsame Flucht

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»Warum zum Teufel hast du mir nicht gesagt, dass du Arvid von Thulen bist?«

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»Warum zum Teufel hast du mir nicht gesagt, dass du Arvid von Thulen bist?«

Die Welt schien still zu stehen. Aus Lucindas Augen sprach Wut, während Arvid sie nur regungslos anstarren konnte. Es ergab keinen Sinn. Sie saßen hier hinter einem Auto versteckt, während irgendwo ein Scharfschütze auf sie lauerte, und irgendetwas an dieser Situation hatte ihr seinen Namen verraten? Nichts davon ergab Sinn.

»Ich hätte dir glauben sollen, als du gesagt hast, dass es eine zehn von zehn ist.« Ihre leise gezischten Worte trieften vor Ärger.

Er wollte zu einer Antwort ansetzen, irgendetwas sagen, was die Situation erklären konnte, doch Lucinda brachte ihn mit einer harschen Handbewegung zum Schweigen. Ihr Blick wanderte über die Straße. Der Verkehr war dicht und nichts erweckte den Anschein, dass andere Passanten mitbekommen hatten, dass Schüsse gefallen waren. Nur dass sie beide neben einem Auto am Boden hockten, zog misstrauische Blicke auf sich.

»Okay, John. Was war dein grandioser Plan, bevor auf uns geschossen wurde?« Ihr Fokus lag noch immer auf der gegenüber liegenden Straßenseite.

Arvid holte tief Luft. Er konnte später Fragen stellen. Jetzt zählte nur, dass sie beide lebend hier weg kamen. »Der Wald auf der anderen Seite deines Wohnviertels. Es gibt da eine kleine Jägerhütte. Unauffällig und nicht mehr in Benutzung. Da wollte ich untertauchen, nur für eine Woche oder so, bis meine Familie hoffentlich überzeugt ist, dass ich nicht mehr in der Stadt bin.«

»Eine Hütte im Wald? Ernsthaft?«

Arvid spürte, wie langsam auch in ihm Wut hochstieg. »Spar dir deinen Spott, Lucinda. Ich hab dir tausend Gelegenheiten gegeben, mich loszuwerden. Du hast drauf bestanden, an mir zu kleben wie eine Klette.«

Sie wirbelte zu ihm herum, das Gesicht rot vor Zorn. »Ich dachte, ich helfe jemandem, der unschuldig ein paar Kriminellen in die Quere gekommen ist. Wenn ich gewusst hätte, wer du wirklich bist, hätte ich dich vor meiner Tür verbluten lassen.«

»Was, weil ich ein von Thulen bin?«

Lucinda schnaubte. »Weil du Arvid von Thulen bist.«

Damit schien für sie das Gespräch beendet zu sein. Arvids Gedanken wirbelten aufgebracht in seinem Kopf herum. Wenn sie etwas gegen seine Familie gehabt hätte, hätte er das verstehen können. Kopfgeldjäger waren nicht hochangesehen. Er wusste das am besten, immerhin hatte er die letzten Jahre darum gekämpft, sich aus dem Familiengeschäft zurückzuziehen. Auch wenn er immer noch nicht wusste, wie sie auf seine Identität gekommen war, er hätte Abneigung gegen seine Familie verstanden.

Aber gegen ihn persönlich? Er hatte nichts getan, außer sich zu weigern, seiner Familie dabei zu helfen, mit Morden Geld zu verdienen.

»Wie auch immer.« Lucinda wechselte das Thema, offensichtlich etwas ruhiger, nachdem sie ihn angefaucht hatte. »Ich schätze, wir können uns aus der Deckung wagen. Kein von Thulen wäre so fahrlässig, sein Geschäft auf offener Straße auszuführen. In der kleinen Seitenstraße hätte niemand etwas bemerkt, aber hier würde es auffallen, wenn plötzlich Menschen erschossen werden. Wir sollten der Hauptstraße folgen und dann so schnell wie möglich wieder untertauchen.«

»Wir?« Arvid konnte nicht glauben, was er da hörte. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich auch nur eine Sekunde länger an meiner Seite haben will.«

Lucinda drehte sich wieder zu ihm um und legte ihm eine Hand sachte genau dort auf den Oberarm, wo seine Wunde war. »Oh nein, John. So leicht kommst du nicht aus der Sache raus. Deine Familie weiß jetzt, dass ich dir geholfen habe. Ich werde ganz bestimmt nicht wie auf dem Präsentierteller darauf warten, dass sie mich umbringen. Ich tauche mit dir zusammen unter. Das bist du mir schuldig.«

Sein Blick wanderte zu ihrer Hand. Sie hatte ihm das Leben gerettet, das konnte er nicht leugnen. Auch wenn sie es inzwischen offenbar bereute, er wäre nicht besser als seine Familie, wenn er sie jetzt alleine zurückließ. Trotz all ihrer überraschenden Tricks war sie definitiv nicht gewappnet, die volle Wucht des Zorns seiner Familie auszuhalten.

»Schön«, presste er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Komm halt mit. Aber wenn ich auch nur eine Sekunde das Gefühl bekomme, dass du mir in den Rücken fallen willst, bist du tot, verstanden?«

Unsicherheit trat in Lucindas Augen, doch sie nickte. »Verstanden.«

***


Erleichtert ließ Arvid die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Sie hatten es tatsächlich geschafft, ungesehen aus der Stadt rauszukommen. Spätestens im dichten Tannenwald hatten sie eventuelle Verfolger schließlich verloren. Die Jagdhütte lag genauso verlassen da, wie sein Informant es ihm versprochen hatte, und der Schlüssel war unter einem nahen Stein versteckt gewesen.

»Nicht mehr in Benutzung, in der Tat.«

Lucindas trockener Kommentar ließ seinen Blick über die Inneneinrichtung wandern. Eine dünne Staubschicht überzog alle offenen Flächen, aber zumindest das kleine Bett in der Ecke war mit einem weißen Lacken überzogen, das es vor Dreck schützte. Direkt neben dem Eingang war eine winzige Spüle, an die sich eine schmale Arbeitsplatte und zwei Kochfelder anschlossen. Ein Tisch mit zwei Stühlen und ein Schrank waren alles an Möbeln, was es hier gab.

Arvid ließ seinen Rucksack auf den Boden fallen und entledigte sich seiner Jacke. Während Lucinda es ihm gleichtat, durchschritt er den Raum und öffnete die kleine Tür neben dem Schrank. Dahinter befand sich ein winziges WC und die Box mit den Schaltern, die Wasser und Strom wieder anstellten. Er legte beide um und drehte dann probeweise den Wasserhahn auf. Es dauerte einen Moment, dann kam zunächst leicht bräunliches, aber zunehmend klarer werdendes Waser aus der Leitung.

Als er aus dem Bad wieder rauskam, saß Lucinda bereits am Tisch und hatte ihren Laptop aufgeklappt, während ihr Handy daneben lag. Sie schaute nicht einmal auf, als er gegenüber von ihr Platz nahm. »Du hast deinen Laptop dabei?«

Ohne aufzublicken zuckte sie mit den Schultern. »Ich bin gerne gut vorbereitet. Und so kann ich die Überwachungskameras an meinem Haus aus der Ferne abrufen.«

Arvids Blick fiel auf ihr Handy, das sie anscheinend als Hotspot für den Laptop nutzte. Dafür, dass sie ihn nur aus dem Tunnel hatte rausführen wollen, war sie zu gut vorbereitet. Er beugte sich vor und klappte mit einer Hand ihren Laptop zu, ehe er ihr direkt in die Augen schaute.

»Ich glaube, es ist langsam Zeit, dass du mir mal verrätst, wer wirklich du bist.«



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