Kapitel 60

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Ich hatte mich letztes Jahr schon gefragt, ob am Kings Cross immer so viele Muggel herumeilten, oder ob es sich dabei um ein Phänomen des ersten Septembers handelte. War das eine Art Sport bei den Muggeln, es den Hexen und Zauberern schwer zu machen, zu ihrem Gleis zu kommen.

Ich duckte mich unter dem Regenschirm eines älteren Herrn weg und drehte mich zur Seite, um einer Frau mit Kinderwagen nicht im Weg zu stehen. Eine kräftige Windböe fegte unter meine Kapuze und wischte sie von meinem Kopf. Regen schlug mir ins Gesicht und ich versuchte, schützend die Hand zu heben. Gut, dass ich meinen Koffer verkleinert in die Manteltasche gestopft hatte. Um den konnte ich mich unmöglich auch noch kümmern.

Es grenzte an ein Wunder, dass ich es tatsächlich unbemerkt durch die Absperrung zwischen Gleis neun und zehn schaffte. Vielleicht hätte ich doch besser apparieren sollen. Ein Pfiff hallte über den Wind und mit einem Schnaufen setzte sich der Hogwarts Express in Bewegung.

Eiligen Schrittes hetzte ich den Bahnsteig entlang und bekam glücklicherweise eine der Türen zu fassen. Der Schüler, welcher sie soeben versucht hatte zu schließen, sah mich überrascht an. Der Hellste schien er nicht zu sein, denn ich musste ihm die Tür förmlich aus der Hand ziehen und an ihm vorbei in den Zug springen.

Heute hatte ich anscheinend wirklich verflucht viel Glück. Anders konnte ich mir das nicht erklären. Leicht aus der Puste stemmte ich die Hände an meine Hüfte und atmete tief durch. Dann machte ich mich auf den Weg durch den Zug.

Ich musste die Slytherins finden. Tatsächlich beendete ich meine Suche schneller, als ich erwartet hatte. Gleich im zweiten Waggon wimmelte es nur so von meinen Hausgenossen. Allerdings waren sie bei Weitem nicht so erleichtert mich zu sehen, wie ich sie. Abfällige Blicke und Getuschel setzten ein, sodass ich verwirrt stehen blieb.

Erst jetzt fiel mir auch auf, dass die Aufteilung im Zug geändert wurde. Es gab nicht mehr die einzelnen Abteile, die durch Türen vom Gang getrennt waren. Stattdessen standen an den Seiten einzelne Sitzgruppen, in denen es sich die Schülerinnen und Schüler bequem gemacht hatten und alle Blicke schienen auf mich gerichtet.

„Lou?" rief jemand und ich entdeckte auf einer Bank weiter vorne Blaise, welcher die Hand hob, damit ich ihn besser finden konnte. Automatisch zogen sich meine Lippen zu einem Lächeln und ich lief mit schnellen Schritten zu ihm.

„Dreckige Blutsverräterin."
„Was sucht die denn hier?"
„Verräterin."
„Eine Schande für unser Haus."
„Widerlich."
„Was will Blaise von der?"
„Ob sie die Ferien auf der Straße verbracht hat?"
„Kein Wunder, dass ihr Vater sie versteckt hat."
„Jetzt weiß ich, was die Gryffindors an ihr finden."
„Soll sie doch zu den Blutsverrätern gehen."

Meine Hände zu Fäusten geballt und den Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst, kam ich schließlich bei Blaise an. „Setz dich", forderte er, noch immer mit dem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Suchend betrachtete ich die anderen in seiner Sitzgruppe.

Pansy sah mich aus finsteren Augen an, Millicent hatte den Blick aus dem Fenster gerichtet, Theo war in den Tagespropheten vertieft und Crabbe und Golye bauten sich auf ihrer Bank zur vollen Größe auf. Nur Daphne, welche Blaise gegenüber saß, lächelte mich an, auch wenn ich meinte, in ihren Augen einen traurigen Schimmer zu sehen. Für den Bruchteil einer Sekunde fragte ich mich, wo Brandon war, bis mir wieder einfiel, dass er vorm Sommer seinen Abschluss gemacht hatte.

„Wisst ihr, wo Draco ist?" fragte ich leise und beugte mich zu meinen beiden einzigen Freunden in diesem Abteil hinunter. „Irgendwo hier im Zug", meinte Daphne und zuckte mit den Schultern. „Als wir losgefahren sind, ist er auf und davon. Keine Ahnung wohin", stimmte Blaise ihr zu. „Da lang?" Ich wies in Richtung Ende des Zuges und Blaise nickte.

Lucinda - The Mask of a SlytherinWhere stories live. Discover now