Am Meeresgrund

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Mein Schädel brummte, mein Hals brannte, als ich panisch die Augen aufschlug. Ich schien ohnmächtig gewesen zu sein, aber mein Problem war, dass ich nicht atmen konnte. Oder konnte ich es doch? Alles fühlte sich so seltsam an.
Ich war unter Wasser.
Trotzdem bekam ich keine Probleme mit der Luft.
Warum?

Irritiert sah ich mich um. Ich befand mich in einem Raum, offenbar ein Schlafzimmer, mit den üblichen Möbeln, die allerdings allesamt sehr kostbar bestückt waren mit Perlen, Muscheln und Steinen. Gräser wie auch Korallen in den verschiedensten Farben verliehen dem Zimmer eine lebhafte Atmosphäre. Ein Blick aus dem Fenster und ich merkte, dass ich mich auf dem Meeresboden befand. Mein Herz rutschte mir vor Schreck beinahe in die Hose, als ich das endlose Blau sah.

Plötzlich klopfte es an der Tür und ich fragte mich, warum das Klopfen so normal klang und nicht gedämpft. Nervös drehte ich mich zur Tür und rechnete damit, dass man mich holen würde, um mich den Haien zum Fraß vorzuwerfen.
Der Blauhaarige trat ein und schloss die Tür hinter sich. ,,Schön, dass du wach bist. Wie geht es dir?" Er lächelte mich an. Wie gerne hätte ich ihm jetzt das Lächeln aus dem Gesicht geschlagen, aber das wäre ein glattes Selbstmordkommando gewesen.

Also schwieg ich und funkelte ihn zornig an. Daraufhin zuckte er gleichgültig mit den Schultern. ,,Gut, komm mit." Er ging zur Tür hinaus. Zögernd blieb ich zurück, dachte nach, wie ich am schnellsten von hier wegkam und folgte ihm.
Hier war man so leichtfüßig unterwegs. Jeder Schritt fühlte sich an, als würde ich fliegen, wie es meine Haare und Kleidung taten, die seidenen Badesachen, die plötzlich wieder sauber waren.

Wir liefen Treppen hinunter und befanden uns in einem großen Saal. Kein Wunder, dass dieser Mann in einem Palast wohnte.
Zhongli's Tempel war schöner. Wo er wohl gerade war ... Ob er mich suchte?
Jeder Gedanke an ihn ließ meine Schultern tiefer sinken und mein Herz schwerer werden.

,,Darf ich dir ein Glas Wasser anbieten?" Der Mann sah mich an, grinsend und ohne jegliche Schuldgefühle.
Wenn Blicke töten könnten ... ,,Nein danke, ich habe noch genug." Beim Sprechen achtete ich darauf, nicht versehentlich das Salzwasser zu schlucken. Die Augen brannten mir schon davon, der Geschmack lag mir auf der Zunge, da musste ich das Salz nicht auch noch in meinen Körper pumpen. Es wunderte mich inzwischen nicht mehr, dass ich problemlos sprechen konnte, auch wenn es sich seltsam anfühlte, schließlich wurde dieser Ort von seiner Magie beeinflusst.
Er lachte, während wir den Palast verließen und einen beeindruckenden Vorgarten betraten. Korallenriffe waren schön, das konnte ich nicht leugnen, und dieses hier war so unfassbar schön, dass ich dachte, ich träumte.

,,Ich nehme an, du hast viele Fragen?"
Ich wurde bedauerlicherweise schnell des Staunens beraubt. Argwöhnisch sah ich den Mann an, der friedlich neben mir herlief. Seine blauen Haare flogen, wie meine, schwerelos im Wasser. Die seltsamen Schlangenköpfe waren verschwunden.
Hatte er vergessen, dass er mich entführt hatte?
,,Wer bist du?" Ich hatte viele Fragen.
,,Ich heiße Osial und wie du vielleicht schon geahnt hast, bin ich ein Gott." Er sagte das so verständlich, als wäre jedes zweite Lebewesen auf der Welt eine Gottheit.

Die kurzweilige Überraschung wurde schnell von mir unterdrückt und ich nickte. ,,Aha und ich kann atmen, weil..." Nachdenklich und vorsichtig fuhr ich mit der Hand an meinem Hals entlang. Dort, wo es brannte, waren tiefe Risse.
,,Weil ich dir Kiemen geschenkt habe, du solltest dich also geehrt fühlen, kleine Perle." Zufrieden nahm er die Arme hinter den Rücken und marschierte mit erhobenem Kinn voran.

Als ob ich dafür dankbar sein könnte. Ich schnalzte genervt mit der Zunge, dann versuchte ich, mit ihm Schritt zu halten. ,,Warum hast du mich entführt?"
Mit gehobenen Augenbrauen warf er mir einen flüchtigen Seitenblick zu, dann schmunzelte er. ,,Das wirst du schon noch herausfinden. Glaube mir, ich tue dir einen großen Gefallen."
,,Pff, bestimmt." Die Neugier packte mich und ich zerbrach mir den Kopf, was er wohl meinen könnte.

Wir befanden uns irgendwann auf einer großen steinernen Fläche, die umzäunt war von mächtigen Skeletten, Walknochen, wie Osial mir beiläufig erklärte.
,,Was machen wir hier?" Misstraurisch warf ich meinen Kopf hin und her und suchte nach möglichen Gefahren. Der Mann vor mir blieb die scheinbar einzige Gefahr.
,,Es wäre schade, wenn mein wunderschöner Palast zu Fall käme, darum sind wir hier."
Wow, eine Antwort, die für noch mehr Fragen sorgte.

,,Was hast du vor?"
Er sah mich mit seinen graublauen Augen an, während er einige Schritte zurückging und mir mit einem Handzeichen befahl, an Ort und Stelle stehen zu bleiben. ,,Hörst du das?" Er hielt sich eine Hand ans Ohr. So sehr ich mich auch anstrengte, ich hörte nichts, rein gar nichts.
Ein freudiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. ,,Das Wolkenmeer ist in Aufruhr, die Wellen wurden durchbrochen und zornige Schwingungen kitzeln in meinen Ohren. Hach, wie lange ist es her?"

Bevor ich hätte nachfragen können, spürte ich, was er meinte. Die Meeresbewohner verkrochen sich, als die Vibration im Wasser stärker wurde, begleitet von einem immer lauter werdenden Brüllen. Ein riesiger Schatten breitete sich über uns aus und als ich meinen Kopf schreckhaft nach oben warf, wäre ich beinahe in Ohnmacht gefallen.

Die gewaltige, durch die Geschwindigkeit verzerrte Silhouette eines schlangenartigen Ungeheuers sauste direkt auf uns zu, mit tiefem Grollen und blitzenden Zähnen. Erst, als ich die leuchtenden Bernsteinaugen sah, die bedrohlich den blauhaarigen Mann fokussierten, erkannte ich, dass es kein Ungeheuer, sondern ein Drache war.
Ich kannte ihn nur zu gut.
Er begann, sein Tempo zu drosseln, das Bild wurde schärfer, die Gestalt größer und beinahe wäre ich von den massiven Druckwellen, die der Drache uns entgegenwarf, gegen die Knochenwand geschleudert worden, hätte sich das große Geschöpf nicht in diesem Moment in Luft aufgelöst.

An seiner Stelle war dort nun ein weiterer Gott, mit offenen Haaren, schwebendem Gewand, funkelnden Bernsteinaugen und gefletschten Zähnen. Mit einem Speer, dessen goldene Klinge zum Angriff nach unten gehalten wurde, stürzte er sich auf den Meeresgott. Dieser lachte gehässig auf, hob den Arm und bevor Zhongli seinen Speer in Osial's Haut bohren konnte, warf sich eine Schlange aus purem Wasser zwischen sie und Zhongli wurde zurückgeschleudert, knallte mit einem dumpfen Aufprall gegen die Knochenwand.

Panisch eilte ich auf ihn zu. ,,Alles in Ordnung?" Er war keuchend auf dem Boden zusammengesackt, rammte nun das Ende seines Speeres in den Boden und nutzte es als Stütze, um wieder auf die Beine zu kommen. Als ich meine Hand auf seinen Rücken legte, sah er mich an. Seine Augen waren getränkt mit Zorn und Hass. Es galt nicht mir, das wusste ich.
Sein Blick wanderte von meinen Augen zu meinem Hals. Mit seiner freien Hand fuhr er über die Rillen, die inzwischen nicht mehr brannten. ,,Du kannst atmen." Diese Feststellung klang etwas düster.

Dann betrachtete er meine Knie, deren Wunden beinahe verheilt waren. Fälschlicherweise dachte er, dass Osial mir das angetan hätte, denn sein Zorn wuchs und er stellte sich dem Feind gegenüber.
Osial hatte uns belustigt beobachtet, nun klatschte er begeistert in die Hände, seine Haare liefen in fünf Schlangenköpfe über. ,,So sehen wir uns wieder, Morax. Es ist lange her, nicht wahr? Sag, hast du mich vermisst?" Er grinste und doch sah ich in seinen Augen, dass auch er einen Groll hegte, der sich wohl niemals legen würde.

Zhongli nahm eine kampfbereite Haltung ein, die Haarspitzen leuchteten wie seine Augen. ,,Ich habe dich schon einmal am Meeresboden festgenagelt, Osial, und ich scheue mich nicht davor, es erneut zu tun."
Ein Lachen ertönte, Osial verschränkte selbstgefällig die Arme vor der Brust. ,,Versuch's doch. Es gibt allerdings eine kleine Änderung im Vergleich zu früher ..." Spannung lag in der Luft, als er eine kurze Pause einlegte. ,,Das hier-" Mit erhobenen Armen blickte er um sich. ,,Ist mein Reich." Sein Blick fiel wieder auf Zhongli, diesmal war er ernst.
,,In diesen Gewässern bin ich der Herr."

Nervös stand ich im Hintergrund, beobachtete, wie die beiden Männer sich gegenseitig anfunkelten.
Wenn die beiden Götter gegeneinander kämpften, würde es an diesem Tage keine ruhige See mehr geben. Ob der Sturm, der sich in Osial's Augen anbraute, auch oberhalb der Wellen zu sehen war?

Fortsetzung folgt ...

Memories | Zhongli x ReaderWhere stories live. Discover now