Des Herrschers bescheidenes Heim

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Meine Hand lag weiterhin an seinem Hinterkopf. ,,Darf ich fragen, wie alt du geworden bist, Zhongli?"
Sein Atem, der bei einem Seufzer über meinen Hals strich, löste eine Gänsehaut aus. ,,Willst du das wirklich wissen?"
Ohne seinen Kopf von meiner Schulter zu nehmen, sah der Gott zu mir hoch.

Vorsichtig nickte ich, worauf wieder ein Seufzen folgte. ,,Ich bin über sechstausend Jahre alt."
Ich erstarrte, meine Hand ließ seine weichen Haare in Ruhe und sank nach unten.
Aus Zhongli's Kehle dröhnte ein tiefes, aber leises Lachen. ,,Alt, nicht wahr? Wohl kaum ein Lebewesen wird älter sein als ich. Das hat dich erschreckt, ist es nicht so?" Es klang, als würde er mich necken wollen, aber ich wusste, dass meine Reaktion ihn verletzt hatte. Wie viele wussten schon, wie alt er wirklich war?

Nun war ich diejenige, die das ganze mit einem Seufzen kommentierte, als ich wieder anfing, mit seinen Haaren zu spielen. ,,Du hast recht, ich hätte nie gedacht, dass du so alt bist. Aber es ist okay, schließlich lebe ich auch schon mein zweites Leben." Mit einem Lachen versuchte ich die Stimmung etwas aufzuhellen und es funktionierte.

Zhongli lächelte. ,,Dann heißt es wohl, dass wir beide nicht normal sind."
Ich stimmte ihm zu. ,,Was wünschst du dir denn zum Geburtstag?" Ich bereute es, ihn nie nach seinem Geburtstag gefragt zu haben, dann würde ich jetzt nicht wie der größte Trottel dastehen.
Zhongli überlegte. ,,Was ich mir wünsche? Ich habe keine Wünsche. Und wenn, dann erfülle ich sie mir selbst." Er lächelte, was ich auch nur gezwungen erwiderte. Toll ... Also gibt es nichts, was ich ihm schenken kann?

,,Aber ich habe einen Wunsch." Ich sah ihn ernst an.
Zhongli hob überrascht seinen Kopf von meiner Schulter, dann schmunzelte er. ,,Ich soll dir an meinem Geburtstag einen Wunsch erfüllen? Das ist ... interessant." Er schien kurz zu überlegen, nahm seine Hände von meinem Bauch und trat einen Schritt zurück. ,,Nun denn, was es auch sein mag ... " Er neigte seinen Kopf und verbeugte sich. ,,Der Geo-Archon ist hier, um dir deinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen." Anschließend hob er seinen Kopf mit einem höflichen Lächeln auf den Lippen und seine Bernsteinaugen strahlten im Mondlicht. Mein Herzschlag verdoppelte sich ... mindestens.

Mit roten Wangen wich ich seinem Blick aus. ,,Es ist nicht so, dass ich etwas Materielles möchte ... "
Zhongli stellte sich aufrecht hin und kam wieder auf mich zu, ich hatte mich zu ihm hingedreht.
,,Nichts Materielles, hm?" Sein Blick wanderte zu meinen Lippen, dann wieder hoch zu meinen Augen. ,,Was ist es?"

,,Antworten. Ich wünsche mir Antworten. Antworten auf all diese ungeklärten Fragen, die seit unserem Aufenthalt in der Höhle in meinem Kopf herumschwirren." Das war mein sehnlichster Wunsch. Im Moment.
Zhongli nickte. ,,Ich verstehe." Dann streckte er seine Hand aus. ,,Komm, gehen wir an einen Ort, an dem wir ungestört reden können."

Damit machte er mich darauf aufmerksam, dass wir uns noch immer direkt vor unserer Hütte im Qingce-Dorf befanden, wo jeder uns hätte sehen können. Da musste ich plötzlich an Childe denken, der drinnen friedlich schlief. Es tat mir leid, dass wir so vieles hinter seinem Rücken taten.

Etwas unentschlossen nahm ich die Hand des Mannes. Was hatte er vor?
,,Eigentlich wollte ich es dir erst später zeigen ... " Zhongli schloss seufzend seine Augen.
,,Was meinst du-" Gerade als ich nachfragen wollte, erschien aus dem Nichts ein goldenes Portal. Es war riesig und leuchtete so grell, dass ich fürchtete, die Bewohner des Dorfes könnten alarmiert werden.

Ich warf Zhongli einen fragenden Blick zu, aber er lächelte mich einfach nur an. Dann zog er mich mit sich und trat durch das Portal. Die Welt hinter uns verschwand und eine neue tauchte vor uns auf.

Vogelgezwitscher drang in meine Ohren, warme Sonnenstrahlen streichelten meine Haut, genau wie es auch der leichte Wind tat. Dort, wo wir nun waren, war es nicht dunkel und es war auch kein Winter.
Der Himmel war rosarot, wie ein endloser Sonnenaufgang, der schönste, den ich je gesehen hatte.

Memories | Zhongli x ReaderWhere stories live. Discover now