• when we were young •

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März 2029

Vier Jahre später kam Robert wieder einmal spät abends nachhause. In den vergangenen Jahren war das so häufig vorgekommen, dass ihm das inzwischen nicht mal mehr ein Déjà-vu wert war. Leise schloss er die Haustür auf, betrat ihr gemeinsames Haus, das sich in den letzten Jahren merklich verändert hatte: Im Eingangsbereich, wo früher Ordnung geherrscht hatte - darauf hatte Robert penibel geachtet - lagen heute die Turnschuhe der Zwillinge und während Theo, ganz wie sein Papa, darauf achtete seine Jacke an seinen Garderobenhacken zu hängen, lag Ellas Jacke mitten im Flur auf dem Boden.

Kopfschüttelnd griff Robert nach dem mintgrünen Anorak und hängte sie neben die gelbe Jacke seines Sohnes. Es war immer wieder erstaunlich für ihn, wie sehr seine Tochter nach Annalena kam: Von dem fehlenden Sinn für Ordnung über ihr großes Herz bis hin zu ihrem Mut und ihrem ausgeprägten Temperament... Nur das Aussehen, das hatte Ella wohl eher von ihm geerbt: Die dunkelblonden Locken und die Gesichtsform hatte sie jedenfalls von ihm.

Theo war da ganz anders: Er hatte die dunkelbraunen Haare von Annalena, sah allgemein aus wie seine Mama auf deren alten Kinderfotos. Nur die blau-grauen Augen, die hatte er von Robert. Sein Sohn war viel ruhiger und zurückhaltender als Ella und Robert war schon oft froh gewesen, dass Theo seine Schwester hatte, die ihn im Zweifel vor alles und jedem beschützen würde.

Es war für Robert immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich zwei kleine Menschen sein konnten, die doch aus den beinahe gleichen Genen gemacht waren und wie unglaublich sehr er diese beiden kleinen Menschen liebte - Obwohl sie so verschieden wie Tag und Nacht waren.

Robert hörte kleine Schritte über den Parkettboden trippeln und im nächsten Moment tauchte auch schon das freudige Gesicht seines Sohnes, der bereits seinen Schlafanzug trug, in der Tür auf. „Papi!!", kreischte Theo, angelockt durch das leise Quietschen der Haustür, und stürmte auf Robert zu.

„Hallo, mein Mucki.", strahlte Robert, ging in die Knie, als Theo ihm um den Hals fiel.

„Papa!!", rief nun auch Ella, ebenfalls schon im Pyjama, und Robert stolperte zurück, landete beinahe auf dem Hintern, als sich seine Tochter mit erstaunlicher Kraft ebenfalls in seine Arme warf und sich ein zweites Paar kurze Arme um seinen Hals schlang.

Glücklicherweise konnte er sich noch fangen und einen Sturz verhindern, stand mit seinen Kindern auf dem Arm auf und drehte sie einmal im Kreis, drückte den beiden anschließend jeweils einen Kuss auf die Wange.

„Meine beiden Mäuse.", grinste er. „Ich hab' euch so vermisst."

„Wir dich auch, Papi.", kicherte Ella glücklich, vergrub ihr Gesicht zufrieden an Roberts Halsbeuge.

„Und mich? Wer hat mich vermisst?", hörte er nun die Stimme seiner Frau, die im Türrahmen stand, die Arme vor der Brust verschränkt, und die ganze Szene lächelnd beobachtet hatte.

„Aber du bist doch immer da, Mama.", warf Theo daraufhin ein, zog die Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch.

Robert lachte leise. Damit hatte sein Sohn Recht: Nach der letzten Bundestagswahl 2025 hatte Annalena ihr Amt als Außenministerin aufgegeben, hatte sich dagegen entschieden in der neuen Bundesregierung ein Ministeramt anzunehmen. Während Robert nun Finanzminister und Vizekanzler in der rot-grünen Regierung war, war Annalena inzwischen wieder einfach nur Bundestagsabgeordnete. Sie hatten vor der Geburt der Zwillinge schon entschieden, dass sie nicht beide Eltern und Minister sein konnten. Ihre Kinder hatten es verdient, Eltern zu haben, die nicht beide ständig auf Reisen quer durch die Republik und im Ausland waren.

Sie hatten zahlreiche Gespräche und Diskussionen geführt und natürlich wäre Robert bereit gewesen, seine Karriere für Annalena und die Zwillinge aufzugeben, aber schließlich war es sie gewesen, die ihr Amt abgegeben hatte. Nicht weil sie eine Frau war, nicht weil sie jetzt Mutter war und das von ihr erwartet wurde, sondern weil sie der Meinung gewesen war, dass nun auch mal Robert an der Reihe war, nach vorne zu treten: Sein Leben lang hatte er ihr den Vortritt gelassen, hatte sie ihm im Rampenlicht stehen lassen und nun war eben seine Zeit gekommen.

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