• when we were young •

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TW Tod, Trauer
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Dezember 2009

Robert stapfte durch den Schnee, zog sich den Reißverschluss seines dicken Anoraks bis zur Nasenspitze hoch, als der Wind ihm eisig um die Ohren pfiff. Heute war der erste Dezember und pünktlich zum meteorologischen Winteranfang hatte es in der Nacht tatsächlich ein wenig geschneit. Robert hatte sich wie ein kleines Kind gefreut, als er heute Morgen aus dem Fenster die weißen Dächer gesehen hatte. Es hatte seine Laune - zumindest für den Moment - ein wenig gebessert, denn zwischen Annalena und ihm herrschte seit ihrem Streit vor gut einer Woche noch immer Funkstille.

In den ersten Tagen hatte Annalena ihn gekonnt ignoriert, wenn sie sich in der Uni über den Weg gelaufen waren, aber seit zwei Tagen kam sie gar nicht mehr zu den Vorlesungen und Tutorien. Das kam ihm inzwischen doch etwas seltsam vor, denn normalerweise verpasste Annalena die Vorlesungen um keinen Preis. Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie sich einmal mit einer heftigen Grippe mitsamt Fieber in die Uni geschleppt hatte, um auch bloß nichts zu verpassen.

So kam ihm ihre plötzliche Abwesenheit doch etwas seltsam vor und er machte sich inzwischen ernsthaft Sorgen um sie. Vielleicht war sie krank oder es war sonst irgendetwas passiert. Dass Carla ihm sagte, dass sie auch nichts von Annalena gehört hatte und nicht wusste, wo die Brünette steckte, nachdem er sie unauffällig ausgehorcht hatte, besorgte ihn nur noch mehr und so entschied er sich dazu, nach der letzten Vorlesung des Tages einfach mal ihr vorbeizuschauen. Selbst wenn sie noch immer wütend auf ihn war und ihn hochkant wieder rauswarf, wusste er dann wenigstens, dass es ihr gut ging.

Es dämmerte bereits und von draußen sah er, dass zumindest Licht in ihrem Zimmer brannte. Das beruhigte ihn schon mal ein wenig, aber trotzdem verspürte er das dringende Bedürfnis sie zu sehen - Besonders, weil er die kleine Hoffnung hegte sich wieder mit ihr zu versöhnen.

Als sie auf sein mehrmaliges Klopfen nicht reagierte, stöhnte er schließlich frustriert auf. „Annalena, ich bin's. Mach' bitte auf. Ich weiß, dass du da bist."

Es herrschte weiterhin Stille auf der anderen Seite der Tür und so entschied er sich dazu, einfach hineinzugehen. Aus Erfahrungen wusste er, dass Annalena gerne mal vergaß, die Tür abzuschließen - er hatte ihr schon ein paar Mal einen Vortrag gehalten, wie unverantwortlich das war - und auch heute hatte er Glück.
Doch das Bild, dass sich ihm bot, als er ihr Zimmer betrat, erschreckte ihn im nächsten Moment ziemlich: Annalena lag zusammengerollt in ihrem Bett, die Decke bis zu den Ohren gezogen und sie sah verheult aus, ziemlich verheult. Nicht so, als wären die Tränen frisch, aber so, als hätte sie in den letzten Tagen ziemlich viel geweint. Unter ihren Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab und sie sah unendlich müde und erschöpft aus. Augenblicklich sank ihm das Herz in die Hose und er spürte, wie sich ein Gefühl des tiefen Unwohlseins in ihm ausbreitete.

„Hey...Annalena!?", rief er erschrocken, näherte sich vorsichtig ihrem Bett. „Was ist denn passiert?"

„Robert?", erwiderte sie leise, schaute ihn an, als hätte sie erst in diesem Moment realisiert, dass er vor ihr stand. „Was-, was machst du denn hier?"

„Ich-, ich wollte nach dir sehen. Ich hab' mir Sorgen gemacht. Du warst nicht in der Uni und es wusste keiner so richtig, wo du bist und- Naja..." Er schaute sie prüfend an. „Was ist denn mit dir? Bist du krank?"

„Nein.", murmelte sie schwach. „Ich- Meine Oma ist vorgestern gestorben und-, und ich konnte einfach nicht-"

Ihre Stimme brach ab und er konnte sehen, wie sie mühsam versuchte die Tränen, die ihr erneut in die Augen stiegen, zu unterdrücken. Robert haderte einen Moment mit sich, hatte keine Ahnung, was er tun sollte, was man in so einer Situation am besten machte. Nach einem Moment der Überforderung, der sich für ihn wie eine halbe Ewigkeit angefühlt haben musste, folgte er aber schließlich seinem ersten Impuls und nahm sie in den Arm.

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