• take me to a golden age •

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September 2010

Als Annalena am nächsten Morgen aufwachte, tastete sie in der Dunkelheit blind auf der anderen Seite des Bettes herum, stellte jedoch mit einer leisen Enttäuschung fest, dass das Kissen und die Matratze kalt war. Da war kein wohlig warmer Körper, an den sie sich morgens immer so gerne angekuschelt hatte, kein leises Schnarchen, kein Robert. Er war weg.

Durch den schmalen Spalt der Jalousien fiel bereits Licht ins Zimmer, was ihr verriet, dass es Zeit zum Aufstehen war. In dem spärlichen Licht erkannte sie, dass er ihre Klamotten, die gestern Abend wild durchs ganze Zimmer geflogen waren, ordentlich gefaltet und über ihren Schreibtischstuhl gelegt hatte.

Bevor sie sich dazu aufrappeln konnte, ihr gemütliches Bett zu verlassen und sich für die Abschlussfeier fertig zu machen, ließ sie sich noch einmal nach hinten in ihr Kissen sinken, griff nach seinem Kissen und vergrub ihre Nase darin: Sie konnte noch immer schwach seinen Geruch erkennen und dieses Gefühl, das dabei in ihr ausgelöst wurde, machten sie beinahe ein wenig wehmütig. Sie verspürte ein merkwürdiges Gefühl in ihrem Bauch, legte kurz ihre Hand auf ihren Bauch, entschied sich dazu es zu ignorieren.

Das sollte eigentlich ein schöner Tag sein. Das Studium war vorbei und schon bald würde sich ihr bisher größter Traum, in London zu studieren, erfüllen. Sie hatte wirklich jeden Grund dazu, glücklich zu sein und diesen Tag zu feiern und zu genießen und trotzdem wollte diese komische Gefühl einfach nicht weggehen.
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Einige Stunden später saß Annalena in der dritten Reihe des großen Saals, lauschte den Reden über die Absolventinnen und Absolventen. Rechts und links von ihr saßen ihre Mutter, die vermutlich aufgeregter als sie selbst war, dass ihre erstgeborene Tochter nun ihren Uni-Abschluss hatte und die beim Anblick von ihr mit Talar und Hut heute schon einige Tränchen verdrückt hatte, und ihr Vater, der ihr vorhin zum fünften Mal an diesem Tag zugemurmelt hatte, wie stolz er auf sie war.

Annalena reckte ihren Hals, erwischte sich selbst schon wieder dabei, wie ihr Blick zu Robert schweifte, der eine Reihe schräg vor ihr mit seinen Eltern und seinem Bruder saß. Er sah wirklich gut aus. Wenn jemandem dieses Gewand stand, dann ihm. Das musste sie einfach zugeben.

Es war ein seltsames Gefühl, ihn nun so zu sehen: Fertig mit seinem Abschluss, wo sie doch gefühlt erst gestern mit dem Studium angefangen und sich kennengelernt hatten. Sie fragte sich, ob es ihm mit ihr wohl genauso ging. Sie konnten wirklich stolz auf sich sein und Annalena konnte nicht anders, als kurz darüber nachzudenken, ob sie wohl auch so erfolgreich gewesen wäre, wenn sie diese Konkurrenz zu ihm, das Bedürfnis besser als er zu sein, nicht so motiviert hätte.

Letztendlich hatte sie es geschafft, war genau 0,2 Notenpunkte besser als er gewesen. Als sie das erfahren hatten, hatte er zwar so getan, als würde ihn das furchtbar ärgern, aber ihr war das freudige Grinsen, das er einfach nicht hatte verstecken können, nicht entgangen.

Und ihr ging es ja genauso: Als Roberts Name schließlich aufgerufen wurde und er unter Applaus auf die Bühne trat, durchströmte sie ein warmes Gefühl von Stolz und sie war es, die neben seiner Mutter wohl am lautesten in der Halle klatschte.

Robert strahlte geradezu, als er ihr Blick inmitten des Jubels einfing. Er zwinkerte ihr lächelnd zu, als wüsste er ganz genau, was sie gerade dachte. Vermutlich tat er das auch.
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Der darauffolgende Abend war geprägt von zahlreichen Umarmungen und Abschiedstränen, insbesondere als sie sich von Carla verabschieden musste. Ihre Eltern wurden schon langsam ungeduldig, denn es dämmerte bereits und sie mussten ja heute Abend noch zurück nach Hannover fahren und ihr Vater hasste es im Dunklen noch unterwegs zu sein, da tippte ihr plötzlich jemand von hinten auf die Schulter. Noch bevor Annalena sich umdrehte, wusste sie instinktiv, wessen Hand da auf ihrer Schulter lag.

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