• we were alive in the summer sun •

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Juni 2009

Es war Sommer in Hamburg. Nachdem es fast den gesamten Mai über ausschließlich geregnet hatte, kletterten die Temperaturen nun seit einer Woche täglich weit über 30 Grad und es lag eine drückende Hitze über der Stadt.

Von dem schönen Wetter - das ihre Kommiliton:innen zum schwimmen gehen und zu langen Abenden mit einem Bier an der Alster nutzten - bekam Annalena nicht viel mit: Die letzten Prüfungen des vierten Semesters standen an und so verbrachte sie fast ihre gesamte Zeit mit Lernen in der Bibliothek.

So auch heute: Seit Stunden saß sie schon in der Bibliothek, versuchte die ganzen Inhalte irgendwie in ihren Kopf zu kriegen. Ihre Augen brannten vom hellen Licht ihres Laptop-Bildschirms und sie hatte keine Ahnung, wieviel Uhr es eigentlich war. Es war jedenfalls schon länger dunkel draußen. Sie hatte furchtbare Kopfschmerzen, sehnte sich nach ihrem Bett und ein paar Stunden Schlaf und war gleichzeitig viel zu überdreht, um jetzt zu schlafen.
Seit Tagen stand sie so unter Strom: Sie konnte nicht mehr richtig schlafen, hatte keinen Appetit mehr und aß nicht genug. So war es ihr beim letzten Mal während der Abiturprüfungen gegangen. Sie wusste selbst, dass sie in Prüfungsphasen dazu neigte, sich ein wenig ins Lernen hineinzusteigern und sie sich selbst zu sehr unter Druck setzte. Aber sie war nun mal ehrgeizig. Sie wollte nicht nur irgendwie bestehen. Sie wollte gut sein, zu den Besten gehören.

Sie zuckte zusammen, als plötzlich die Tür aufging und Sekunden später jemand etwas vor ihr auf den Tisch knallte. Sie kniff die Augen zusammen, stellte mit Erschrecken fest, dass sie einige Sekunden brauchte, um zu erkennen, wer da vor ihr stand und was er vor ihr auf den Tisch gestellt hatte: Robert und auf dem Tisch eine Tüte und ein Pappbecher.

Misstrauisch zog sie die Augenbrauen nach oben. Sie hatte ihn vor Stunden mal hier gesehen. Lange war er allerdings nicht da geblieben. Irgendwann hatte sie mit halbem Ohr mitbekommen, dass Paul und er das Wetter für „zu schön zum Lernen" befunden hatten und schließlich wieder abgedampft waren. Ein wenig beneidete sie ihn ja schon. Bei ihm wirkte alles immer so mühelos, als müsste er überhaupt nichts für seine guten Noten tun. Und sollte er sich nicht völlig verstellen, was das anging, waren ihm seine Noten auch ziemlich egal - Und trotzdem war er so gut.

„Was ist das?", fragte sie argwöhnisch.

„Kaffee.", erwiderte er und deutete auf den Becher. „Und Donuts.", meinte er mit Blick auf die Tüte.

„Aber-, aber warum?", hakte sie nach.

Er verdrehte leicht die Augen. „Weil du seit Stunden hier bist und ich dich weder was essen, noch was trinken sehen habe. Es ist inzwischen fast 3 Uhr.", schnaubte er. „Wie hast du es überhaupt geschafft, dass du nach Mitternacht in der Bibliothek bleiben darfst?"

„Hab' die Bibliothekarin bestochen.", erwiderte sie schulterzuckend. „Ich habe jetzt einen Schlüssel."

Er schüttelte schnaubend den Kopf. „Mach mal nh' Pause, Annalena. Du wirst sicher so oder so eine der Besten sein. Du musst doch total fertig sein."

„Und das interessiert dich, weil...?"

Verlegen guckte er auf den Boden und sie bildete sich ein zu sehen, dass er ein kleines bisschen rot wurde. „Jetzt iss schon! Die Donuts sind mit dunkler Schokolade. Die magst du doch so."

Dass er sich das gemerkt hatte, überraschte sie. Sie wusste nicht, wann sie das überhaupt mal erwähnt hatte. Doch sie rührte sich noch immer nicht von der Stelle, musterte stattdessen argwöhnisch den Becher und die Tüte. „Du zuerst!", erwiderte sie kühl.

„Was? Warum das denn? Denkst du, ich will dich vergiften?", grinste er amüsiert.

„Vergiften nicht, nein. Aber wer weiß?! Nachher willst du mich ausstechen und ich hab' morgen heftigen Brechdurchfall oder so und kann nicht mehr lernen."

golden ageWhere stories live. Discover now