32. Schwierige Entscheidungen

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Dags P.o.V.:

"Dag, die Rechnung ist ganz einfach: Wenn du Vincent sehen willst, dann sag zu, und wenn nicht, dann sagst du ab", erklärte Daniel mit ruhiger Stimme, während er seine Lungen vergiftete.

Es war bestimmt schon die vierte oder fünfte Zigarette, die er rauchte, seit wir wieder in meiner Wohnung waren.

Nervös lief ich auf dem kleinen Balkon hin und her, hielt den Chat mit Vincent geöffnet, hatte aber nicht einmal angefangen, eine Nachricht zu schreiben. Ich war ziemlich verunsichert und auch ein bisschen überfordert.

Die Umarmung war so schön, ich hatte mich ewig nicht mehr so sicher gefühlt - und so geborgen.

Eigentlich sehnte ich mich schon wieder, bei Vincent zu sein, mich mit ihm auszusprechen.

"Du bist witzig, Daniel", murrte ich leise, "Das ist ja das Problem, ich weiß es ja nicht."

Mein bester Freund schüttelte einmal leicht den Kopf, fuhr sich durch die Haare und überlegte scheinbar, sich schon die nächste Zigarette anzuzünden. Aber er entschied sich dann doch dagegen.

"Also willst du ihn sehen, ich kenn dich doch", er grinste leicht, zog mich wieder mit in die Wohnung. Seine Hände zitterten ziemlich stark, "Außerdem hab ich eure Umarmung gesehen. Und die war verdammt intensiv, erzähl mir, was du willst."

Seufzend ließ ich mich auf das Sofa fallen, zog die Beine an meine Brust und stützte das Kinn auf meine Knie. Für einen Moment schloss ich die Augen, stellte mir den Moment noch einmal vor.

"Scheiße, ja, das war sie", flüsterte ich leise, "Und ich vermisse ihn. So sehr."

"Und er vermisst dich auch, Dag", ein warmes Lächeln legte sich auf sein Gesicht, aber er war ziemlich blass, "Luca hat geschrieben, dass er gerade etwas durchdreht, weil du nicht zurückschreibst."

"Oh", ich senkte etwas den Blick, versuchte mir vorzustellen, wie Vincent gerade durchdrehte und musste leicht schmunzeln. Ja, das passte zu ihm. Ich wusste noch genau, wie er immer wahnsinnig geworden war, wenn die Künstler, für die er produzierte, sich nicht zeitnah zurückmeldeten.

Ich fuhr mir durch die Locken und durch mein Gesicht, atmete einmal tief durch.

"Dann schreibe ich ihm, dass ich mich mit ihm treffen möchte", ich lächelte scheu, "Aber du kommst mit!"

Ich zog schnell mein Handy hervor, tippte die Nachricht ein. Dann musste er auch nicht mehr nervös sein.

Dag; 23:07 Uhr
Okay, wir treffen uns. Sag mir nur wann und wo!

Ich sah noch einen Moment auf mein Handy, sah, dass Vincent die Nachricht sofort las, wurde aber von Daniels Stimme davon gelöst.

"Dag, ich weiß nicht, das ist doch euer Ding. Ihr braucht Zweisamkeit", er musterte mich einmal, "Obwohl, denkst du, dass Luca auch da sein wird?"

"Der Pizzabote?", ich wurde etwas hellhörig, sah ihn überrascht an. Seine Haut war so blass, dass die Tattoos ziemlich hervor stachen - vermutlich weil er wieder so starke Kopfschmerzen hatte, wie die die letzten Tage oft.

Ich konnte das leichte Schlucken sehen, wie er nervös mit seinen Händen spielte und sein Blick unsicher wurde. Aber er sagte keinen Ton mehr, starrte nur auf den Boden.

"Er liefert nicht nur Pizza aus. Manchmal auch Nudeln", nuschelte er leise, "Und ich glaube, ich hab mich verliebt."

Mir klappte die Kinnlade herunter, sah ihn mit großen Augen an.

"Aber ich kann nicht in Berlin bleiben. Ich habe einen Sohn", er schloss verzweifelt die Augen, "Einen Sohn, der mich total vermisst, der seinen Papa wiedersehen will."

Seine Wangen wurden nass, seine Schultern fingen an zu zittern. Das leise Schluchzen, das über seine Lippen kam, hätte ich fast überhört.

Ich konnte auch an einer Hand abzählen, wie oft ich Daniel weinen gesehen hatte. Das letzte Mal, als er und seine Exfrau sich getrennt hatten und als ihm bewusst wurde, dass sein Sohn nicht mehr bei ihm wohnen würde.

Das Weinen wurde heftiger und sofort zog ich ihn in meine Arme, hielt ihn ganz fest - so, wie er mich immer festgehalten hatte, wenn ich wegen Vincent geweint hatte.

"Und jetzt ist in Berlin, der, in den ich mich verliebt habe. Und ich kann ihn ja wohl kaum mit nach Essen nehmen. Aber für immer hier bleiben, das kann ich doch auch nicht machen", er schluchzte einmal laut auf, krallte sich an mir fest und vergrub das Gesicht an meiner Schulter.

Er zitterte so stark, dass ich ihn am liebsten fest in eine Decke eingewickelt hätte, vor allem, als er das Gesicht wegen den Kopfschmerzen verzog, die von dem Weinen sicherlich nicht besser geworden waren.

"Ich mag ihn wirklich, Dag. Er ist was besonderes. Und ich glaube, er mag mich auch", seine Stimme wurde ganz leise, seine Augen schwammen, während er den Kopf weiter auf meiner Schulter liegen ließ. Vorsichtig kraulte ich ihm durch die Haare, fuhr beruhigend hindurch.

Ich hätte ihm so gerne geholfen, hätte ihm so gerne gesagt, was er tun sollte. Aber es war so eine schwierige Situation.

Es war nicht so, dass Daniel seinen Partner jeden Tag sehen wollte, oder so etwas - aber er hatte einmal eine Fernbeziehung geführt und sie war schnell in die Brüche gegangen.

Er sah es nicht, aber ich wusste, dass er damals nicht so viele Gefühle hatte, wie jetzt.

"Ich wünschte, ich könnte dir helfen, Daniel. Wirklich", murmelte ich leise, "Ihr bekommt das irgendwie hin. Wenn ihr euch wirklich mögt, dann bekommt ihr das hin."

Er nickte, wischte sich etwas verzweifelt die Tränen aus dem Gesicht. "Danke. Ich hoffe, du hast Recht!"

Daniel sah wirklich müde aus, überanstrengt. Vorsichtig nahm ich seine Hand, nahm ihn mit ins Schlafzimmer und holte ihm noch schnell seine Kopfschmerztabletten.

Tatsächlich nahm er gleich zwei auf einmal, drückte sein Gesicht in das Kissen.

Ich legte mich neben ihm, nahm ihn in den Arm und löste seine Hände um das Bettlaken, weil er sich so fest darin hinein krallte, dass ich Angst hatte, dass seine frisch gemachten Nägel jeden Moment abbrechen würden.

"Ich weiß nicht, ob ich hier bleiben soll oder zurück nach Essen", er starrte an die Decke, fuhr sich durch sein Gesicht, "Warum müssen wir beide immer so schwere Entscheidungen treffen? Kann es nicht mal leicht sein?"

"Es wird alles gut", murmelte ich, auch wenn ich selbst ein Pessimist durch und durch war, alles immer nur schwarz und weiß sehen konnte. Aber wenigstens für Daniel wollte ich etwas Farbe sehen können, nur einmal.

Ich drückte ihn fest an mich, hielt ihn im Arm und murmelte beruhigende Sachen, bis er eingeschlafen war.

Kurz bevor ich einnicken konnte, sah ich noch, dass Vincent mir geschrieben und mir einen Gute Nacht gewünscht hatte. Ein leichtes Lächeln huschte über mein Gesicht.

Mittlerweile dachte ich, dass zumindest eine Sache wieder gut werden würde.

Die kleine Geschichte von Vincent und dem Lieferboten - SDP FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt