08. Idiot

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Dags P.o.V.:

"Nein, nein, bevor du irgendetwas anderes sagst - habt ihr miteinander geredet?", unterbrach mich Shneezin schon in der Sekunde, in der ich das Telefon klingeln lassen hatte. Im Hintergrund konnte ich ein Feuerzeug klicken hören. 

"Nicht direkt", murmelte ich, fuhr mir durchs Gesicht, während ich die Treppen nach oben zu meinem Gleis ging. Zum Glück hatte ich mir mein Zugticket schon vorsorglich gebucht, sonst hätte diese Aktion jetzt ein Vermögen gekostet. 

"Idiot!", war dann die schlichte Aussage meines besten Freundes, "Ich sag: Fahr hin um mit ihm zu reden. Und was machst du natürlich nicht?"

Ich seufzte, ließ mich auf einer der Bank vor dem Gleis fallen und beobachtete nebenbei die Kinder und ihre Eltern, dabei hoffte ich stumm, dass die meisten nicht unbedingt nach Essen wollten, sondern eher schon in Hannover oder Bielefeld aussteigen würden. 

"Dag? Jetzt schweig mich nicht an, Alter", meckerte Daniel direkt los, nachdem ich ihn für ein paar Sekunden ignoriert hatte, "Du weißt genauso sehr, dass du ein Idiot bist, wie ich."

"Ich hab doch versucht mit ihm zu reden."

"Und das glaub ich dir mal so gar nicht."

"Ey", ich rieb mir über die Augen und stand auf, als der ICE846 angesagt wurde, "Ich konnte ja nicht wissen, dass der was mit dem Lieferboten zu tun hat. Was soll das auch?"

Daraufhin herrschte erstmal auf Daniels Seite Stille, während ich in den Zug einstieg und mich auf dem erstbesten Platz fallen ließ. Für einen kurzen Moment schloss ich einfach die Augen und atmete tief durch, genoss einfach die Stille. 

Allerdings hielt diese Stille nicht sehr lange an. 

"Aha", er zog ganz offensichtlich an seiner Zigarette, "Du bist also eifersüchtig."

"Was? So ein Quatsch!", die Oma mir gegenüber sah mich sehr böse an, weswegen ich beschwichtigend die Hand hob und etwas verlegen lächelte. Vielleicht war ich etwas laut geworden. 

"Ich mache mir nur Sorgen, Daniel. Der Typ hat seine Adresse, da könnte sonst was passieren."

Wieder herrschte zwischen uns Stille, weswegen ich die Arme nur verschränkte und meinen Kopf an die Scheibe lehnte, der älteren Dame wieder zulächelte, die sich scheinbar in der Zwischenzeit beruhigt hatte und mein Lächeln erwiderte.

"Das kannst du deiner Großmutter erzählen, Dag", gab er zickig - aber in diesem Moment ziemlich passend - zurück, weswegen ich nur leicht die Augen verdrehte und nach draußen starrte. 

"Als wäre das nicht ein guter Grund, sich Sorgen zu machen."

"Normalerweise schon, aber es kommt gerade von dir. Und na ja, dein Verhältnis zu Vincent ist ja doch gerade etwas - wie sag ich das am besten - speziell."

"Frech", murmelte ich leise, schloss die Augen wieder und genoss die Kälte von der Kälte der Scheibe, auch wenn ich nebenbei fast eine Gehirnerschütterung bekam, "Wir reden später, Daniel."

Mit diesen Worten hatte ich auch schon aufgelegt und seufzte nur, ich wollte eben einfach nicht darüber nachdenken, wie mein Verhältnis zu Vincent war oder eben nicht war. Keine Ahnung. Das war mir auch zu kompliziert. 

Am liebsten wollte ich eigentlich nur, dass es wieder wie früher war. Dass wir beide lachend im Studio saßen, um uns das Mikro stritten und nebenbei das ein oder andere Bier zu viel tranken. 

Wie beste Freunde, ohne irgendwelche Gefühle, die nicht da sein durften. 

Ich kniff die Augen zusammen und biss mir auf die Lippe, versuchte mir das Seufzen zu unterdrücken. 

"Geht es Ihnen gut?", etwas müde blickte ich hoch und in das Gesicht der Dame, "Scheint, als hätten Sie Stress."

Ich zuckte lediglich mit den Schultern. "Wir haben ziemlich unterschiedliche Ansichten gerade, denke ich."

"Hm, das hab ich gehört, lautstark", sie nickte leicht und schmunzelte, sah dann kurz aus dem Fenster, "Man muss sich aber auch immer andere Ansichten anhören. Auch wenn man sich dann vielleicht Dinge eingestehen muss, die man nicht wahr haben will."

Sie rückte ihre rosa Mütze zurecht und lächelte mich warm an. 

"Manchmal ist die Wahrheit schwer zu ertragen", murmelte ich leise, rieb mir wieder über die Augen. 

"Sie sind noch so jung, ich denke, Sie werden damit zurecht kommen", mit diesen Worten stand sie auf, drückte meine Schulter, ehe sie den Zug verließ, weil wir schon in Wolfsburg waren. Ich hatte das gar nicht mitbekommen. 

Nervös fing ich an, mit dem Bein zu wackeln, zog mir die Kapuze tiefer ins Gesicht und seufzte. 

"In diesem Fall vielleicht nicht", murmelte ich für mich selbst, setzte mir meine Kopfhörer auf und sah wieder aus dem Fenster, "Nicht bei meinem besten Freund."

Ich schloss die Augen wieder, versuchte mich möglichst unauffällig zu verhalten und die Zeit bis Essen herum zu kriegen. Dass diese Zeit viel zu schnell verging, hatte vermutlich nicht zuletzt damit zu tun, dass ich dem Gespräch mit Daniel wirklich echt gerne aus dem Weg gegangen wäre. 

Und so fühlten sich die folgenden zweieinhalb Stunden eher wie vier Minuten an.

Ich atmete einmal tief durch, als meine Haltestelle angesagt wurde, alles war ganz genauso, wie immer. Ausstieg rechts, vielen Dank, dass Sie sich für die Deutsche Bahn entschieden haben. 

Als wenn man eine Wahl hätte. 

Ohne darüber nachzudenken sprang ich in die U-Bahn, um ja von diesem überfülltem Bahnhof wegzukommen, sah in ihre Gesichter, die das blaue Licht auf dem Bahnsteig einfingen. 

Ich versuchte mich zu verstecken, damit ich nicht in dieser Situation auch noch Fotos oder ähnliches machen musste - und damit nicht jeder gleich wusste, dass ich einen der 257ers besuchen würde. 

Wie automatisch stieg ich eine Station früher aus, als ich musste, weil Daniels Adresse jetzt nicht auch noch geleakt werden musste, und ging den Rest zu Fuß, steckte mir dabei eine Kippe an und atmete den Rauch aus. Mittlerweile wurde es schon dunkel, aber zu meinem Glück konnte ich den Weg zu Daniel auch blind gehen, wenn es sein musste. 

Weit war es nicht, aber Essen konnte man auch kaum mit Berlin vergleichen. 

Kaum hatte ich auf die Klingel gedrückt, sprang die Tür auch schon auf und ich lief die Treppen nach oben, wo mich Daniel direkt in eine feste Umarmung zog, so fest, dass ich kaum noch Luft bekam. 

"Dag, du weißt ich liebe dich, wie einen Bruder, oder?"

"Ich weiß, Daniel."

"Gut, denn du bist trotzdem der größte Idiot aller Zeiten."


Die kleine Geschichte von Vincent und dem Lieferboten - SDP FanFictionTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon