21. Wut

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Daniels P.o.V.:

"Vincent, wir müssen miteinander reden. Dringend."

Etwas triumphierend lächelte ich, dass ich ihn endlich erwischt hatte, aber das erlosch fast sofort wieder. Die Angst und Sorge in mir war viel zu groß, um lange zu lächeln. 

Zwar ging es Dag gesundheitlich etwas besser - wir hatten zumindest einen Tag überstanden, an dem er sich nicht übergeben musste - dafür war er immer noch innerlich so gebrochen, dass er ständig schreiend oder wimmernd aufwachte, sich an mich klammerte. 

Ich hatte seit mehreren Tagen nicht geschlafen und wenn, dann nur so kurz, dass ich mich daran nicht erinnern konnte. Meistens traute ich mich nicht zu schlafen, weil ich meinen besten Freund nicht aus den Augen lassen wollte oder ich blieb einfach mit ihm zusammen wach. 

Die Dosen der Energy Drinks stapelten sich langsam. Doch für ihn machte ich das gerne, würde es immer wieder tun.

Und jetzt stand ich vor dem Mann, der für all das verantwortlich war, der Dag das Herz gebrochen hatte und seit Tagen ständig abhaute, bevor ich die Tür aufmachen konnte - und ich musste mich echt beherrschen, dass ich ihm keine reinhaute. 

Ich sah auf seine Hand, in der er eine Stoffkatze hielt, die genauso aussah, wie Dags Kater damals und seufzte, ehe ich mit dem Blick zu seinem traurigen und etwas erschrockenen Gesichtsausdruck wanderte.

Aber in meinem Kopf war nur der Gedanke verankert, dass er dafür selbst verantwortlich war. Er hätte Dag nicht das Herz brechen müssen und einfach die Wahrheit sagen können.

"Warum machst du das? Bringst uns jeden Tag Sachen und haust dann wieder ab?", fragte ich direkt, musterte ihn weiterhin. Um seine Hand war immer noch eine Bandage gewickelt. 

"Ich weiß nicht, ich-", fing er an, verstummte dann aber wieder, strich wie automatisch über das Fell der Katze. Mit zusammengezogenen Augenbrauen beobachtete ich das, sagte dazu aber nicht. 

Ich wollte ihn immer noch schlagen. 

"Was erhoffst du dir davon? Willst du dein Gewissen reinigen, oder was?", ich konnte nicht zurückhalten, ich war einfach so wütend. Und je länger ich bei Dag blieb und je mehr ich mitbekam, desto wütender wurde ich nur. 

"Nein, ich-", etwas erschrocken sah er mich an, trat einen Schritt zurück, aber dieses Mal war ich derjenige, der ihn unterbrach. 

"Gut, weil du ihm trotzdem das Herz gebrochen hast und es deswegen nicht heilen wird", ich versuchte einmal tief durch zu atmen, sprach möglichst leise, weil Dag im Schlafzimmer schlief, "Er weiß nicht mal, dass das ganze Zeug von dir kommt."

Ich konnte sehen, wie er schluckte und anschließend den Blick senkte. Er sah wirklich traurig aus, aber so etwas wie Mitleid spürte ich wirklich nur ganz tief in mir drinnen. 

Er litt, das sah man deutlich, aber er war ja selber schuld. 

"Denkst du wirklich, ich sage ihm das? Das würde ihn nur noch fertiger machen, als er ohnehin schon ist", ich seufzte, sah für einen Moment an die Decke und ihn dann wieder an, "Außerdem ist er immer noch krank."

Vincent nickte einmal leicht, drückte die Katze etwas fester an sich. Vermutlich traute er sich nicht mehr einen Satz anzufangen, denn entweder würde ich oder er sich selbst wieder unterbrechen. 

Seine Augen glitzerten leicht und da sie ohnehin ganz gerötet waren, schloss ich darauf, dass er nicht das erste Mal heute weinte. 

"Fuck, man, Vincent, mach es mir ja nicht so schwer und fang jetzt an zu heulen", ich schüttelte den Kopf, "Ich bin so verdammt sauer auf dich, du hast meinem besten Freund das Herz gebrochen. Und ich will jetzt einfach kein Mitleid mit dir haben."

Erschrocken nickte er schnell, hob etwas abwehrend die Hände. 

Eine Zeit lang herrschte sehr, sehr angespannte Stille zwischen uns, er schien sich sammeln zu müssen. Und ich wollte nicht weiter reden, weil ich Angst hatte, sonst zu laut zu werden und Dag zu wecken - der brauchte Schlaf nämlich ganz dringend. 

Ich sah ihn einfach nur an, zog die Augenbrauen zusammen und biss mir auf die Lippe. Es wurde mir wirklich gerade zum Verhängnis, nicht der ruhigste Mensch zu sein, aber bisher konnte ich mich ja doch ganz gut zurückhalten. 

"Daniel, ich wollte ihm nicht das Herz brechen, ich-", er erstarrte, sah plötzlich von meinem Gesicht weg und starrte stattdessen auf irgendetwas hinter mir, was ihm einen fragenden Blick von mir einbrachte, "Ich muss gehen."

Keine Sekunde später hatte er die Tür hinter sich zu gezogen und war verschwunden, während ich sofort hinter mich schaute. 

Meine Augen weiteten sich und sofort rannte ich zu Dag und fing ihn halb auf, weil er sich kaum auf den Beinen halten konnte. "Dag, was machst du? Du musst im Bett bleiben."

Er war gar nicht richtig da, atmete nur etwas schwer und wimmerte leise - vermutlich war eher noch total im Halbschlaf. 

Ich zögerte nicht lange, schob meinen Arm unter seine Kniekehlen, und legte seinen Arm um meine Schultern, um ihn wieder ins Bett zu tragen, drückte ihn dabei dicht an mich, um ihm wenigstens irgendwie das Gefühl zu geben, dass er nicht alleine war. 

Ganz behutsam legte ich ihn auf dem Bett ab, deckte ihn sanft zu und wartete, dass er wirklich richtig wach wurde. Währenddessen kümmerte ich mich darum, dass wir gleich Wasser und Medikamente am Bett hatten, räumte die Sachen von Vincent in der Küche ein. 

Danach setzte ich mich wieder auf das Bett, nahm Dags Hand vorsichtig in meine und wartete, dass er wach wurde - und lange musste ich nicht warten. 

Komplett fertig sah er mich aus halbgeöffneten Augen an, hustete und ich zögerte nicht lange, hielt ihm das Glas Wasser vor den Mund, damit er ein paar Schlucke trinken konnte, reichte ihm danach die Medikamente. 

Zwischen uns herrschte Stille, er schien in Gedanken zu hängen und ich ließ ihn, war schon froh, dass er nicht wieder schrie. Das zog nämlich ziemlich an meinen Nerven und meinem Herzen. 

"Vincent war hier", flüsterte er leise mit heiserer Stimme, "Traum oder nicht?"

Wir hatten angefangen, so über seine Albträume und Fieberträume zu reden, weil ich gemerkt hatte, alles besser zu sortieren und zu verarbeiten. Ich wusste, dass sich grundsätzlich gerade alles sehr echt für ihn anfühlte. 

Meistens konnte ich zum Glück sagen, dass es ein Traum war, aber jetzt geriet ich ins Stocken. 

Ich wusste nicht, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte, weil ich mir einfach nicht sicher war, wie er darauf reagieren würde. In mir zog es sich zusammen, kaute auf meiner Lippe herum. 

"Daniel?", seine Stimme brach leicht und mit seinen vor Fieber glänzenden Augen sah er mich an, drückte meine Hand, in der seine immer noch lag. Ich schluckte, tippte nervös mit einem Fuß auf den Boden. 

"Kein Traum", flüsterte ich so leise, dass er es kaum hören konnte. 

Er erstarrte und nickte dann langsam, sehr langsam. Sein Ausdruck wurde leer und mir brach es das Herz. 

Er legte sich wieder hin, starrte ins Nichts. Vor meinem inneren Auge sah ich ihn wieder vor der Kloschüssel hocken. 

Ich schluckte wieder schwer, legte mich hinter ihn und zog ihn vorsichtig an meine Brust, vergrub das Gesicht in seinen Haaren, strich dabei vorsichtshalber leicht über seinen Bauch und versuchte ihn irgendwie zu beruhigen - und vielleicht auch ein Stück weit mich selber. 

"Warum war er hier?", murmelte er leise und völlig erschöpft, schon alleine an der Stimme konnte ich hören, dass er wieder weinte, "Ich dachte, er ist die ganze Zeit bei diesem Pizzaboten."

Ich erstarrte, zog ihn mehr zu mir, um ihn mehr festhalten zu können. 

Mir wurde plötzlich sehr bewusst, dass ich dringend Kontakt mit diesem Pizzaboten aufbauen musste. 


Die kleine Geschichte von Vincent und dem Lieferboten - SDP FanFictionWhere stories live. Discover now