𝟜𝟞 - Gefühle

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Ende November zog das Wetter deutlich an und die Temperaturen fielen weiter. Das Abendessen bei meinen Eltern war mittlerweile ganze zwei Wochen her und dennoch fühlte es sich an, als hätten wir erst gestern beisammen gesessen. Vielleicht hatte ich aber auch dieses Gefühl, weil meine Gedanken seitdem nur um die neue Erkenntnis kreisten. Dass ich tatsächlich ernsthafte Gefühle für Gabriel entwickelt hatte, konnte ich noch immer nicht gänzlich realisieren. Doch bei jedem Aufeinandertreffen in den vergangenen Tagen, sei es auch nur zufällig im Hausflur, bestätigte es mir erneut. Mein Herz wurde unruhig und flattrig, meine Handflächen wurden schwitzig und vor Nervosität brabbelte ich meist dummes Zeug. Erst vorhin, als ich die Wohnung verließ und auf dem Weg nach unten war, kam er mir zufällig entgegen. Mehr als ein lahmes "Hi" hatte ich nicht zustande gebracht, auch wenn ich stets bemüht war, mir nichts anmerken zu lassen. Die verheerenden Worte nach dem Abendessen hingen mir schließlich immer noch im Kopf und zwangen mich, so normal wie möglich zu handeln. Vergessen wir den Kuss. Wenn das nur so leicht gehen würde!

Als Krönung des Ganzen schafften wir es doch tatsächlich, immer im Weg des Anderen zu stehen, als wir uns gegenseitig ausweichen wollten. Die Treppe bot eigentlich genug Platz um aneinander vorbei zu gehen, doch wir beide bewegten uns aus Versehen synchron in eine Richtung, sodass kein Durchkommen möglich war. Während die Situation absurd unangenehm und peinlich war, musste mein Gesicht mittlerweile die Farbe einer reifenden Tomate angenommen haben. Gabriel lachte nur belustigt auf (wenigstens schien ihn diese Szene zu amüsieren), bevor er uns erlöste und beide Hände auf meine Schultern drapierte. Während er mich leicht zur Seite schob und das Hin und Her somit beendete, konnte ich es nur perplex geschehen lassen und überfordert auf seine Nähe reagieren. Selbst wenn er mir mein komisches Verhalten in der letzten Zeit angemerkt hatte, so behielt er seine Gedanken für sich. Es schien eher so, als würde er nach dem klärenden Gespräch wieder aufblühen und zum altbekannten Gabriel mutieren, den ich so...mochte. Inzwischen war er sogar ein weiteres Mal allein bei seinen Eltern gewesen, um sich mit ihnen auszutauschen. So wie ich es durch meine Eltern mitbekommen hatte, lief es zwar noch äußerst angespannt ab, doch Dani und Chris hatten Zuversicht, dass es in Zukunft besser werden würde.

Ein Grund mehr, um meine eigenen wirren Gefühle herunterzuschlucken und so zu tun, als wäre nie etwas geschehen. Das konnte ich schließlich am Besten.

"Hörst du mir eigentlich zu? Wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken, Eve? Du benimmst dich in letzter Zeit echt komisch."

Oder auch nicht.

Miriam hob fragend eine Augenbraue, während ich wieder in der Realität ankam und nur ein entschuldigendes Lächeln zustande brachte. "Tut mir Leid, ich...war wohl einfach in Gedanken versunken." antwortete ich und merkte selbst, wie lahm diese Ausrede eigentlich klang. Miriam zeigte daher deutlich, was sie von dieser Aussage hielt und seufzte dramatisch auf. "Offensichtlich." schnaubte sie und hing das Kleidungsstück, welches sie bis eben noch gehalten hatte, wieder zurück an den angebrachten Platz. "Wir können auch für heute abbrechen, wenn du nicht in Stimmung bist fürs Shoppen."

Sofort schüttelte ich den Kopf und versuchte einen besänftigenden Gesichtsausdruck anzunehmen. Mir und ich hatten uns an diesem Samstag extra zum Bummeln verabredet, um uns auf den Dezember vorzubereiten. Einerseits fand in zwei Wochen meine Weihnachtsfeier statt und andererseits wollten wir dieses Jahr so früh wie möglich mit den Geschenken für die Bescherung beginnen. Es war ohnehin immer schwierig, für jede Person etwas passendes zu finden, daher wollte ich es dieses Mal nicht wieder auf dem letzten Drücker tun. "Nein, nein, das ist es nicht." gab ich zu und überlegte fieberhaft. "Vielleicht...habe ich einfach nur Hunger." Auch wenn es nicht die plausibelste Ausrede für mein Verhalten war, schien es dennoch nicht allzu abwegig. Mal ehrlich, wer konnte sich schon hungrig auf etwas konzentrieren? Miriam schien derweil misstrauisch abzuwägen, ob ich ihr die Wahrheit sagte oder nur eine nächste Ausrede erfand, um nicht über das eigentliche Thema reden zu müssen. Ich hatte ihr bisher verschwiegen, wie es neuerdings um meine Gefühle für Gab stand. Zu Beginn eigentlich nur, um wirklich sicher zu gehen, dass diese auch echt waren. Inzwischen hatte ich allerdings eher die Befürchtung, den berüchtigten Satz "Ich hab's dir ja gesagt" zu hören und darauf konnte ich eigentlich gern verzichten. Und wie sagte man so schön? Sobald man es aussprach, wurde es auch wahr.

Damals wie HeuteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt