𝟛𝟝 - Geschmäcker sind verschieden

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P.o.V. Gabriel

Ich war genervt. Möglicherweise lag es an der stickigen Luft des Rebels, der lauten Musik oder gar, dass ich ein neues Anhängsel dazubekommen hatte. Und auch wenn sie - ich glaube, ihr Name war Hannah - mehr als nur hübsch war, so langweilte sie mich zu Tode. Wie konnte ein einziger Mensch nur so viel über sich selbst reden? Seit sie auf mich zugetreten war, sprach sie nur über sich selbst, als würde sie mich mit allen Mitteln von sich überzeugen wollen. Ich kannte solche Frauen zur Genüge, schließlich war ich mit mehr als genug davon ausgegangen und anschließend im Bett gelandet. Diese Kaliber mochten für heutige Standards eine 10/10 sein, doch innerlich waren sie so spannend wie eine Dokumentation über Kieselsteine. Richtig, nämlich gar nicht.

Aber nicht mal ihre Anwesenheit nervte mich so sehr, wie ich mich selber ankotzte. Nach der mehr als nur geladenen Taxifahrt konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Der Fluchtinstinkt hatte direkt eingegriffen, als wir den Parkplatz erreicht hatten und ausgestiegen waren.

Ich hatte Eve fast geküsst.

Wie dämlich war ich eigentlich? Wie hatte ich es so weit treiben können? Eigentlich lag die Antwort auf der Hand: sie hatte mich regelrecht umgehauen. Seit sie sich im Hausflur zu mir umgedreht hatte, konnte ich nicht aufhören, sie anzustarren. Gott, war sie schön. Das kurze Kleid unterstrich ihre langen Beine und die unwiderstehlichen Kurven, die sie zu gern versteckte. Ihre Augen stachen durch das aufgetragene Make-up noch mehr hervor als sonst und hatten mich direkt vereinnahmt. Auch wenn ich sie in Jeans und Shirt anziehend fand, so wirkte sie heute mehr als nur erwachsen und sexy.

Dennoch hatte ich kein Wort herausbekommen.

Ich fühlte mich wie der pubertäre Junge von damals, der sich nie getraut hatte, ihr direkte Komplimente zu machen. Damals war es die Befürchtung gewesen, dass sie meine Gefühle erraten könnte. Im Taxi wollte ich schließlich über meinen Schatten springen und hatte sie angesprochen, doch die plötzliche Nähe und mein schwaches Herz machten mir einen Strich durch die Rechnung. In diesem Moment realisierte ich es. Ich liebte sie noch immer, hatte nie damit aufgehört und würde es wohl auch nie. Wenn ich es in den letzten vier Jahren Abstand nicht hinbekommen hatte, wie würde ich es dann jemals schaffen?

Für einen klitzekleinen Moment hatte ich das Gefühl, dass es ihr auch so ging wie mir. Dass Eve sich ebenfalls zu mir hingezogen fühlt und sich diesem Kuss hingegeben hätte, wären wir allein gewesen. Zu meinem Verdruss hatte ich nämlich kurzzeitig vergessen, dass wir mit Miriam und Tom in einem Taxi saßen. Glücklicherweise hatten die beiden von diesem intimen Moment nichts mitbekommen, zumal es für Außenstehende vielleicht nur ein paar Sekunden gewesen waren. Doch für mich hatte sich dieser kleine Augenblick unendlich lange angefühlt. Tausend Gedanken sind mir durch den Kopf gerast, doch letztendlich hätte mir keine davon etwas gebracht.

Es war vielleicht besser so, dass wir unterbrochen wurden - wer weiß was passiert wäre, hätte ich sie wirklich geküsst. Im schlimmsten Fall wäre sie zurückgeschreckt oder hätte so getan, als wäre nichts dergleichen geschehen.

Und dennoch: so nah war ich dieser Chance noch nie gewesen. Einerseits fühlte ich mich deswegen beflügelt, andererseits könnte ich mir selbst eine reinhauen. Zumal ich Eve seitdem regelrecht stehengelassen hatte, um erstmal klarzukommen.

Ich klang echt wie ein Weichei.

„...wirklich witzig, nicht?" kicherte derweil Hannah - oder doch Helen? - und lehnte sich weiter an mich an. Der kräftige Duft ihres Parfüms stieg mir in die Nase, sodass ich beinahe eine Grimasse zog. Zu viel des Guten. Aber andererseits eine willkommene Abwechslung, um sich nicht mit dem Vollpfosten Mike zu unterhalten. Auch wenn dieser sich momentan glücklicherweise mit Tom unterhielt, hatte ich durchaus seine Annäherungsversuche bei Eve bemerkt. Wir waren keine fünf Minuten im Club und schon tatschte er sie an! Hätte ich vorher gewusst, dass er ebenfalls mit von der Partie war, wäre ich wohl zuhause geblieben. Obwohl ich sie bestimmt dennoch begleitet hätte, einfach nur um ihn und Eve im Blick zu behalten. Diese tanze noch immer mit Miriam und dieser Kollegin Sarah - die mir leider ebenfalls schon bekannt war. Mel, meine ehemalige Nachbarin und Bettbekanntschaft, war ihre beste Freundin. Da lernte man sich zwangsweise irgendwann kennen, wenn man über längere Zeit hinweg mit der BFF schlief. Die Welt war einfach ein gottverdammtes Dorf.

Damals wie HeuteWhere stories live. Discover now