𝟙 - Home Sweet Home

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2022

Man könnte meinen, dass die meisten Menschen immer dasselbe nervige Problem hatten, sobald es ums Packen ging: der verdammte Koffer ging nicht zu. Die darauffolgende Akrobatik schien immer ein wesentlicher Bestandteil zu sein, es mit lautem Ächzen und Fluchen dann dennoch hinzubekommen - wenn auch nur mit Müh und Not. Ich persönlich kannte ebenjenes Problem aber nicht, wie ich zufrieden feststellen musste. Meine Shirts waren ordentlich gefaltet, meine Jeans und Socken gekonnt aufgerollt und platzsparend verstaut. Zerbrechliche Gegenstände wie Bilderrahmen waren vorsichtig mit Papier umwickelt und in die weichen Zwischenräume meiner Kleidung geschoben. Alles schien perfekt in zwei große Koffer hinein zu passen. Vier Jahre. Natürlich hatte ich auch viele Sachen verschenkt oder verkauft, die ich in Deutschland nicht unbedingt brauchte oder gar ersetzen konnte. Dennoch war es ein komisches Gefühl, das jahrelang angestaute Zeug in nur zwei Koffer zu legen. Grübelnd betrachtete ich die türkise Schachtel, welche etwas größer als meine beiden Hände war. Dessen Inhalt hatte ich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr betrachtet und dies würde auch so bleiben - zu viele Erinnerungen und Gefühle waren damit verbunden, die ich bislang erfolgreich verdrängt hatte. Dennoch legte ich diese als letztes vorsichtig in den Koffer, als bestünde sie aus zerbrechlichem Glas und nicht aus festem Karton.

"Bist du noch da?" holte mich die amüsierte Stimme von Miriam aus den Gedanken. Hastig schüttelte ich den Kopf, um wieder in der Realität anzukommen. Das Gesicht meiner besten Freundin bedeckte den kleinen Bildschirm meines Handys und versuchte verzweifelt, hinter die digitale Barriere zu blicken. Hastig trat ich wieder in ihr Blickfeld und lächelte belustigt. "Entschuldige. Da bin ich wieder."

"Weißt du, der Sinn eines mobilen Gerätes ist es, dass du es überall mitnehmen kannst." machte sie sich über mich lustig, als ich das Handy wieder in die Hand nahm. "Ja, ich weiß, Schlaumeier. Nur die Koffer lassen sich einfacher mit zwei Händen packen." Miriam verdrehte nur die Augen. "Schon verstanden. Also alles abflugbereit?" Ihre Vorfreude und Euphorie steckte mich etwas an, daher nickte ich kichernd. Natürlich freute ich mich auf Deutschland, auf Berlin, auf mein Zuhause. Doch gleichzeitig spürte ich den dicken Klumpen an Eis, welcher meine Kehle jedes Mal zuschnürte und mich erzittern ließ. War es die Nervosität, heim zu kommen? Die inzwischen vertraute Umgebung, die ich beinahe als mein zweites Heim nun bezeichnen konnte, verlassen zu müssen? Oder doch einfach die Angst, dass es sich in Deutschland nicht mehr richtig - nicht mehr so wie früher - anfühlen würde? Was war, wenn die altbekannten Straßen und die Umgebung nicht mehr heimisch, sondern fremd wirkten? Mein Lächeln rutschte immer mehr ab, dies bemerkte ich an Miriams skeptischen Blick. Seufzend schüttelte sie den Kopf. "Du willst doch zurückkommen, oder?" fragte sie, wobei ich deutlich den Ernst in ihrer Stimme heraushören konnte. Wohlmöglich sorgte sie sich auch, dass ich tatsächlich noch einen Rückzieher machte und in London blieb. Schließlich war ich hier ein Stück weit erwachsen geworden, hatte Freunde gefunden und mir ein eigenes Leben außerhalb der üblichen Komfortzone aufgebaut. Auch wenn Deutschland immer mein Zuhause sein würde, schmerzte der Abschied dennoch etwas.

"Klar will ich zurück." sagte ich daher, doch meine Stimmlage sagte genau das Gegenteil aus. Seufzend betrachtete ich Miriam. "Aber...ich weiß auch nicht. Ich hätte einfach gedacht, ich freue mich mehr darüber." Ihr Blick schien unergründlich, bevor sie eine Augenbraue hob. "Es liegt aber nicht zufällig an Du-weißt-schon-wem." Sofort erstarrte ich in der Bewegung. Dieses Thema war seit Jahren ein rotes Tuch für mich und nun direkt damit konfrontiert zu werden, ließ mich missmutig werden. "Nein. Warum sollte es."

"Ach, ich weiß auch nicht. Vielleicht weil ihr euch seit einer halben Ewigkeit nicht gesehen habt? Weil ihr unschöner auseinander gegangen seid als mein Ex und ich?" Bevor ich auch nur annähernd eine Antwort geben konnte, ertönte lautes Getrampel und ein weiterer brauner Haarschopf erschien im Hintergrund meines Handybildschirmes. "Warum redest du über deinen Ex?" fragte Tom, dessen Eifersucht manchmal etwas zur Übertreibung neigte. Miriam und ich verdrehten synchron die Augen, was uns anschließend zum Kichern brachte. Mal abgesehen von gewissen anderen Personen hatte ich sie am meisten vermisst - eine beste Freundin hatte man nun mal ein Leben lang. Typen kamen und gingen, wie wir beide schon feststellen mussten. Eine schmerzlicher, als die andere. "Babe, das war nur ein Beispiel." erklärte sich Miriam derweil, als Tom näher herantrat und mir grinsend zu wank. Ich tat es ihm nach. Nach dem Abschluss waren die beiden oft ausgegangen, was wohl auch etwas an meiner Abwesenheit gelegen hatte. Miriam brauchte Trost und hatte eh schon einen Blick auf unseren Freund geworfen, da war es nur eine Frage der Zeit, bis die beiden ein Paar wurden. Bisher hatte es ganze 3 Jahre gehalten und sie waren sogar schon zusammengezogen. Nur zu gern wäre ich bei deren Einweihungsfeier dabei gewesen, doch ich konnte mir dafür nicht extra einen Flug leisten. Du hast vieles verpasst, Eve.

Damals wie HeuteWhere stories live. Discover now